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October 1, 2019

„Wahre Wenden bemerkt erst, wer außer sich gerät.“ Emanuel Maeß

Kunigunde Weissenegger

Emanuel Maeß war vor Kurzem zu Gast in Südtirol. Der Franz-Tumler-Literaturpreis hat ihn Mitte September nach Laas gelockt. Neben Niko Stoifberg, Marko Dinić, Lola Randl und Angela Lehner war er für den Preis für Erstlingsromane nominiert. Letztere hat ihn gewonnen.

Emanuel Maeß, Jahrgang 1977, geboren in Jena, studierte Politologie und Literaturwissenschaft in Heidelberg, Wien und Oxford, brachte „Gelenke des Lichts“, erschienen bei Wallstein, auch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, mit ins Vinschgau. Nachdem wir seinen Roman gelesen hatten, wollten wir auch nach Austragung und Feier des Literaturpreises mehr über ihn und sein Schreiben, sein Lieblingszitat im Buch, den Geruch, Schönes und weniger Schönes wissen.

Sag mal, Emanuel, wie bist du zum Schreiben gekommen? 

Ich habe einfach damit angefangen, sehr früh, eigentlich sobald ich Buchstaben aneinanderreihen konnte, noch in der Grundschule. Der Vorgang hatte etwas eigenartig Entrückendes an sich und brachte ähnliche Verwandlungsmomente mit sich wie sonst nur Fasching oder Fußball. Wenn man ein großes Mitteilungsbedürfnis, aber nicht die rhetorischen Mittel hat, sich angemessen auszudrücken, bleibt man auf das Papier angewiesen.  

Wie gestaltet sich dein Entwickeln einer Geschichte? 

Ist wahrscheinlich bei jedem Buch anders. Hier musste ich nur hin und wieder nachhelfen, da es nicht in erster Linie um die Geschichte ging. Sie durfte dem Strömen dieser verrauschten Seele nur nicht im Weg stehen, die am Ende der tiefere Fluss ist.  

Was hat es mit der Widmung am Anfang von „Gelenke des Lichts“ auf sich? 

„Der Einen, dem Einen“. Das könnte zunächst natürlich an konkrete Personen gerichtet sein, vielleicht ist es das ja auch. Andererseits bezieht sich der Erzähler im Buch hin und wieder in etwas ausgefallener Weise auf die „Liebe selbst“ und das Erhabene, Göttliche, das höchste Prinzip, das man in der philosophischen Tradition oft auch das „Eine“ genannt hat. Wem das etwas sagt, kann es auch so sehen, ich wollte es ein bisschen offenlassen. 

Inwiefern hat das Zitat von Augustinus Relevanz für den Roman? 

„Aber freilich, auf gar mannigfache Weise opfern wir den abtrünnigen Engeln.“ Vielleicht sollte man die Deutung auch hier dem Leser überlassen. Als Literaturwissenschaftler würde ich ihn nur heillos verwirren, wenn ich etwa anfinge zu erklären, dass Augustinus mit den abtrünnigen Engeln eigentlich seine Sünden meint, der Erzähler wahrscheinlich jedoch auf seine abtrünnige Geliebte Angelika anspielt, überhaupt auf die Engel als „Gelenke des Lichts“, eine Metapher, die ich mir aus Rilkes zweiter Duineser Elegie geborgt habe. Beide, also Augustinus in seinen Bekenntnissen und der sehr viel schmächtigere Protagonist in meinem Buch, wenden sich darüber hinaus an ein Du, das am Ende mehr über sie weiß als sie selbst. Aber das sind alles so gelehrte Gedanken, die man letztlich gar nicht braucht, um sich selbst einen Reim darauf zu machen.

Ich lese und lese und blättere zurück und nach vorne und verliere mich in deinen Zeilen – ist das gut? 

Ich glaube, schon. Man müsste eigentlich für die Lektüre dieses Buches eine Art Geschwindigkeitsbegrenzung vorwegschicken, dann hat man mehr davon. Die Sprache ist etwas dichter und vertrackter, als man es gewohnt ist, gibt einem in gelungeneren Passagen aber auch mehr zurück als der leichter zugängliche, aber mehr oder weniger journalistische Duktus weiter Teile deutscher Gegenwartsprosa.  

Was würdest du anders machen als der Ich-Erzähler in deinem Buch? 

Ich würde meine Liebe breiter streuen. Der Eros der Ferne ist ja eine gewichtige Angelegenheit und sollte nicht geringgeschätzt werden, aber das Spektrum des Erotischen lässt sich mit größerer Reife doch etwas erweitern

Kennst du Franz Tumler? Was hältst von ihm? 

Ich habe ihn bis vor kurzem noch nicht gekannt. Dann habe ich neulich aber seinen frühen Gedichtband „Anruf“ gelesen (hoher Ton und gewaltiges Pathos, ich finde das manchmal ganz reizvoll, aber die Zeiten sind wohl darüber hinweggegangen) und auch seine spätere Erzählung „Nachprüfung eines Abschieds“. Die ist sehr gekonnt, wenn auch komplexer als sie anfangs scheint und es ein Lektor, Kritiker oder Leser heute noch goutieren würde. Aber das hat sie mit den lohnenderen Teilen der Literatur vergangener Tage gemein, für die uns immer häufiger die Geduld und gedankliche Tiefe fehlen.

Emanuel Maeß

Hier noch einige Impulse zu deinem Erstling „Gelenke des Lichts“, auf die ich dich bitte zu reagieren: 

Darum geht’s: Ein Junge verliebt sich in ein Mädchen, das er auf einem Neptunfest am DDR-Ostseestrand tanzen sieht. Die Liebe ist etwas unglücklich, da sie weitgehend einseitig bleibt, aber sie wirft ihn in alle großen Fragen des Lebens nach Wahrheit, Schönheit und Selbsterkenntnis, auch nach dem Gott im elterlichen Pfarrhaus, der ja nun angeblich ein Gott der Liebe sein soll. Antworten findet er aber weder in der im Schatten des Eisernen Vorhangs liegen gebliebenen Provinz­idylle seiner Heimat noch in den leidenschaftslos postmodernen geisteswissenschaftlichen Fakultäten der Nachwende-Zeit, sondern in jenen eigentümlichen Momenten des ekstatischen Selbstverlusts, in denen er von Landschaften, Musik, alten Gedichten und erotischen Begegnungen in einen Bereich hineingezogen wird, der ihm weitaus angenehmer als die übrige Welt erscheint, ein Gebiet allerdings, in dem sich immer auch die Götter und Dämonen wohlgefühlt haben. In diese wirft er sich am Ende mit großer innerer Konsequenz hinein (vielleicht, um von ihnen erzählen zu können). 

Lieblingszitat: „Nur die Sonne selbst lachte mich aus und überschwemmte mich mit Untergangsstimmung, mit einem allerdings etwas aufgesetzten Selbstvertrauen, das vielleicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass sie Hilfe brauchte.“ 

Riecht … nach einer Mischung von Irisch Moos und Grey Flannel. Etwas gesetzter, nicht unelegant und immer etwas nach Wald und Wiese. 

Schön …, mit dem Buch durch zu sein und den Stoff aus dem Weg zu haben.  

Weniger schön …, dass das Buch nun etwas von einem Volljährigen hat, der ausgezogen ist und über den man alle Handhabe verloren hat. Man weiß nicht, ob man sich noch versteht, wenn man sich irgendwann wieder über den Weg läuft.  

Unbedingt lesen, wenn … man sich mal wieder wundern möchte. Und sich mal wieder spannen und nicht nur entspannen will.

Gut für … die Hirndurchblutung, insbesondere des medialen präfrontalen Cortex.  

Resümierend: „Wahre Wenden bemerkt erst, wer außer sich gerät.“

Fotos: (1) Franziska Unterholzner; (2) Emanuel Maeß 

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