Music

August 23, 2019

Gibt es noch Techno-Schamanen? Plauderei mit Biospin & Baboon

Florian Rabatscher

Da war doch mal was?… Ich erinnere mich vage an versteckte Rave-Orgien im Wald, in alten Tunneln, Ruinen oder sogar im Hinterhof deines Hauses … Verrückte Leute tummelten sich dort auf einem Haufen. Es sah fast nach irgendeinem Voodoo-Ritual aus. Alle Arten von Freaks, die gleichmäßig zu monotonen Bässen mit den Füssen in den Boden stampften und so fest an ihren Lippen knabberten, bis Blut raus rann. Fast wie halluzinierende Indianer, die ihren Kriegstanz um das Feuer ausführen. Ich spreche hier aber nicht von herkömmlichem Rave, sondern von … Goa? Psy-Trance? Goa-Psy-Trance? Ach, was weiß ich! Ist auch scheißegal, dazu kommen noch gefühlte eine Million Untersparten und wahrscheinlich ebenso viele Fachbegriffe. Also bleiben wir einfach beim Begriff Goa, benannt nach der ehemaligen indischen Hippie-Insel. Hippies der neuen Zeit also? Naja, im Grunde genommen ja nicht, denn wohin ist diese Musik eigentlich verschwunden? Gibt es diese Techno-Schamanen zwischen leuchtenden Pilzen und Kobolden überhaupt noch? Oder verstecken sie sich mittlerweile eben nur noch besser? Oder ist diese Musik einfach ganz verschwunden? 

Um diesen Fragen nachzugehen, sprechen wir zum einen mit DJ Biospin und dazu noch mit Fabian aka Baboon, dem Gründer des Kollektivs „StompfMaschin“. Beide könnt ihr übrigens am 24.08.2019 in Graun beim Electric Mountain erleben. Einen Tag, den ihr euch fett im Kalender anstreichen solltet, denn für Südtirol war diese Musikrichtung immer schon wichtiger, als man meinen möchte. Aber wer meint das schon?  Denn es spielte sich ja alles im Hintergrund ab und das Land verdiente damit kein Geld. Die einzigen, die dort etwas absahnten, waren wahrscheinlich irgendwelche zwielichtigen Drogendealer, die dir die feinsten, mit äußerst gesunden Mitteln gestreckten, bunten Munter- und Müde-Macher verkauften. Geld, das in keiner Statistik aufgeführt wird und im gleichen schwarzen Loch wieder verschwindet, in das man es hineinwirft. Aber lassen wir die Drogenthematik einmal außen vor, das Image dieser Subkultur ist schon zur Genüge angeknackst. Und Drogen gibt es in der Volksmusikszene auch … Also hört mir auf mit diesen beschissenen Vorurteilen. 

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Das Festival, das von „Stompfmaschin und dem Kulturverein „The Graun Village People“ organisiert wird, schenkt der spirituellen, elektronischen Musik wieder einen wunderschönen Platz. Und was für einen, obwohl der Ort komplett irrelevant wäre, da sie mit ihren Dekos sogar ein Altersheim in eine psychedelische Höhle verwandeln würden. Trotzdem, Hippie-Bewegungen hatten es nie wirklich leicht, ihren Charakter aufrecht zu erhalten. Seht nur, was aus Woodstock geworden ist, 1969 noch Frieden und Liebe, 1999 dann Ausschreitung, Plünderung und Belästigung. Zudem ist in den letzten Jahren die elektronische Musikszene unglaublich gewachsen, sodass man bereits auf jedem noch so beschissenen Dorffest einen DJ findet. Erfahren wir jetzt aber, welchen Wandel die spirituelle Variante in den letzten Jahren vollzogen hat …

Wann habt ihr in der Szene angefangen?

Baboon: Früher war ich Mitglied in einem Snowboardclub, wo ich die Feten organisierte, 2015 rief ich das Kollektiv „Stompfmaschin“ ins Leben und lege nun seit vier Jahren als Baboon auf. Das kommt daher, dass ich früher Fabian Pavian genannt wurde – deswegen Baboon. Angefangen habe ich mit Progressive und mittlerweile geht es schon mehr ins Pssychedelische, also Psy-Trance. 

So lange bist du also noch nicht unterwegs? 

Baboon: Ich bin aber genau im richtigen Moment auf den Zug aufgesprungen, denn als ich anfing, waren die Läden immer voll. Es gab bloß Local-Acts und die Leute gingen dazu ab, das war ein richtiger Boom. Genau zu jener Zeit mochten die Leute das; jetzt flaut es auch schon wieder ein bisschen ab. Zurzeit sind andere Richtungen wieder angesagt und in der Goa-Szene ist es eher gemütlicher geworden.

Biospin: Ja, vielleicht begann es schon 2016 oder 2017 abzuflachen. 

Baboon: Auf und ab geht es schnell. Die Leute, die vor drei Jahren noch zu meinem Sound abgingen, rufen mir jetzt zu: Scheiß Progi, ich will Hitech!

Biospin: Ist ja normal, diesen Wandel, den die Leute vollzogen haben, hat man ja persönlich auch früher irgendwie mitgemacht. 

Aber du als Biospin bist schon länger dabei?

Biospin: Ja, immer Psy-Trance, seit 2008. Mit 18 Jahren war ich das erste Mal auf der Mendel beim Roenaissance-Festival – ein legendäres Psytrance-Festival bei uns hier. Ich bin an einem Sonntagnachmittag dort hin und war sofort fasziniert von diesen Leuten. Wie sie unter der Sonne im Sand rumstampften und tanzten. Herrlich. 

Wirklich besondere Jahre! Aber dann kam die Zeit, wo dieses einzigartige Feeling irgendwie verschwand, oder nicht?

Biospin: Damals waren noch die Urgesteine der Szene am Werk, die Hauptorganisatoren von Roenaissance, z. B. Markus, dem die Roen-Hütte gehörte, war auch dabei. Roenaissance ging bis 2010, glaube ich, und genau diese Typen waren für mich die Gründerväter hier bei uns. Wenn man sich heute das damalige Line-up anschaut, kann man es fast nicht glauben. Diesen Acts bezahlst du heute locker 5.000–6.000 Euro Gage. Wahre Größen der Goa-Szene waren damals in Südtirol. Trotzdem steckte sie hier irgendwie noch in den Kinderschuhen. Für die große Masse war die Szene unbekannt und nur etwas für wirklich Interessierte, was aber wahrscheinlich auch das besondere Feeling ausmachte … 

… wenn man an früher denkt, fallen einem in der Tat all die versteckten Feste auf den Almen ein, wie beispielsweise in Barbian … war nicht genau das, das eigentlich Wahre?

Biospin: Ja, Barbian war immer schon sehr präsent. Das Sonnwendfest dort ist auch irgendwie das Aushängeschild für Goa in Südtirol. 

Baboon: Dazu muss man sagen, früher wurden die Acts noch strenger selektiert und heutzutage fällt mir auf, dass oft mehr Vetternwirtschaft betrieben wird. 

Biospin: Und die Mendel-Urgesteine gibt es leider auch nicht mehr …

Baboon: … versteckte Feten auf den Almen gibt es schon noch, aber mit weniger als 100 Leuten. Es werden dauernd weniger, auch weil sich die ganze Arbeit einfach nicht mehr auszahlt. 

Biospin: Aber ist nicht genau das das Feeling? Dass es zurück zu den Wurzeln geht und nicht mehr die breite Masse anzieht. Je mehr Leute, desto mehr Probleme. Mehr Aufmerksamkeit zieht auch die Behörden an, die dann rumnerven. Und kaum wird es Mainstream, macht plötzlich jeder gleich auf „Goaner“, Peace and Love usw. Aber wenn er irgendwo einen Bettler trifft, beachtet er ihn gar nicht … Verstehst du?

Baboon: … genau das sag ich immer! Das ist das Goa-Starterpaket, sozusagen: Dreadlocks, Vegetarier werden und „Respect the Nature“ schreien! Aber kaum von der Fete raus, einen Plastikbecher in die Büsche werfen. Was soll das? Ok, ich bin jetzt wirklich kein Vorzeige-Goaner, mich interessiert einfach die Musik, das Zusammensein und die Leute auf den Feten, aber trotzdem. Jedenfalls, das Gute an den kleinen versteckten Partys ist, dass sie viel familiärer sind.

Electric Mountain gehört aber schon zur größeren Variante. Also nicht recht familiär?

Biospin: Ist es aber dennoch, du bringst ja Leute von ganz Südtirol zusammen, die sich vielleicht schon lange nicht mehr gesehen haben, und die Szene kennt sich ja. Es verbindet und die Stimmung tobt einfach!

Wozu auch die psychedelische Deko beiträgt, nicht wahr?

Baboon: Die ist mir extrem wichtig, weshalb ich auch immer ein gutes Deko-Team anheuere und dann eher beim Headliner spare. Viele meinen, es wäre nur irgendein Hintergrund. Auch wenn du nicht genau darauf achtest, sobald du drinnen stehst, gibt es dir trotzdem ein anderes Gefühl als eine leere Betondecke. Du sollst eintreten und in eine Scheinwelt abtauchen. 

Biospin: Die Deko samt Lichtspielen und Lasershows gehört einfach zum Goa dazu. Es ist typisch für die Szene und grenzt sie von anderen ab. Hier wird sicher mehr Wert auf das Optische gelegt, der DJ ist ja auch meistens eher im Hintergrund. Es soll komplett „outer space“ wirken, wie wenn wir uns alle miteinander im „Mothership“ befinden würden. Zusammen mit den abstrakten Klängen, tauchst du dann völlig ab. Natürlich gibt es manchmal auch viel Kitsch, wie Elfen, Pilze oder Kobolde, aber jeder hat eben seinen eigenen Stil. 

Baboon: Und in anderen Orten gibt es das auch schon gar nicht mehr. DJs von außerhalb sind oft sehr verblüfft, wie viel junge Leute bei uns hier im Publikum sind und dass alles dekoriert ist. In vielen anderen Orten gibt’s nur noch Club-Musik und der Sound wird auf Pool-Partys oder in leeren Industriehallen aufgelegt. 

Dann hat Goa also einen ziemlichen Wandel vollzogen?

Baboon: Ja, für Leute, die es als Mainstream sehen, ist die Deko auch scheißegal. Die kommen her, horchen fünf Stunden den Sound, weil er ja bekannt und angesagt ist. Bestes Beispiel ist die Schweiz, dort siehst du die Tussi, bauchfrei, mit Stöckelschuhen, neben einem Typen mit zerrissener Kleidung und Dreadlocks tanzen. Wahnsinn! Clubgänger trifft auf spirituellen Waldmensch. Genau das ist der Konflikt zurzeit, dass diese beiden Welten aufeinander knallen.

Biospin: Ich bin ja Teil von SarnarShourt Records, welche schon von Anfang an große Gegner davon waren, Goa in Clubs zu spielen. Die sind wirklich noch „radikale Goaner“, was ich auch komplett respektiere, aber heutzutage ist das einfach schwer. Du kommst fast nicht drum rum mit der Zeit zu gehen. Und mittlerweile machen das viele, sonst spielst du eben nirgends mehr …

Baboon: … genau, deswegen wurde mir oft vorgeworfen, ich mache Goa zu Mainstream. Mittlerweile sehen die meisten aber ein, dass andernfalls überhaupt nichts mehr los wäre. 

Biospin: Die Zeiten haben sich eben geändert, früher war die Szene auch noch exklusiver, da für die Partys keine Werbung über Facebook usw. gemacht wurde. Heute weiß jeder Bescheid und das gibt dem Ganzen auch wieder einen anderen Charakter. Es nimmt ihm etwas das Mystische …

  

Biospin, du bist also Teil von SarnarShourt Records, sind das nicht die Urgesteine der hiesigen Szene?

Biospin: Kann man schon sagen, sie sind schon lange dabei und haben auch schon einiges auf die Beine gestellt, was ihr übrigens auf ihrer Facebook-Seite alles nachlesen könnt. Um bei ihnen aufgenommen zu werden, musste man sich sogar erst einmal beweisen. Sie befanden sich auf einer höheren Stufe. Bei mir dauerte es übrigens ein halbes Jahr, bis ich aufgenommen wurde, und in der Zeit musste ich ihnen verschiedene Mix-Tapes schicken … 

Wie sieht ein Live-Set bei dir aus?

Biospin: Ich spiele „Full On/Psy-Trance“. Mittlerweile auch etwas schneller und dunkler, aber es kommt ganz auf meinen Gemütszustand an. Auch hängt es davon ab, wo ich spiele, ich orientiere mich komplett nach dem Festival. Und die Uhzeit ist ein Faktor: Nachmittag, Abend oder Nacht ändert bei meinem Set alles, ich kann entweder einen „Morning-Psy“, „Night-Psy“ oder „Melodic-Psy“ für den Nachmittag spielen. Es ist wenig vorbereitet, passiert also immer im Moment, und wirklich live. Übrigens spiele ich noch mit CDs, möchte ich nur anmerken, was heutzutage nicht gerade typisch ist. 

Ist die Szene trotz des Wandels immer noch sehr naturbezogen?

Biospin: Klar, das war sie schon immer. Goa-Feten findet man ja speziell häufiger auch auf Berghütten oder irgendwo in der Natur und nicht Hardcore oder so was. Aber wie gesagt, nicht wegen der Pseudo-Hippie-Ansichten mancher Leute. Es gibt eben auch solche, die einmal zu viel ins falsche Glas geschaut haben, aber mit denen kann man nicht mehr viel anfangen …

Baboon: Logisch, Holz schwimmt lange im Wasser, aber irgendwann sinkt es auch … 

Sind nicht genau diese Typen der Inbegriff eines Goaners?

Biospin: Nicht wirklich, diese Typen gab es immer, mit denen hast du drei Worte gewechselt und dann wusstest du: Ok, der ist schon länger auf den Beinen. Es waren irgendwie Vorzeigetypen, die auch immer wussten, wann die nächste Fete steigt …

Baboon: (lacht) Genau die Typen, die dann barfuß dastehen und schreien: Seit drei Tagen wach! Jawohl! 

 

Aber seht ihr eine Besserung im Konsumverhalten, im Gegensatz zu früher?

Achim: Oh nein, ich glaube, es ist sogar schlimmer als früher. Aus meiner Sicht werden die Konsumenten immer jünger und das ist beunruhigend. 

Baboon: … und wenn sie schon etwas nehmen müssen, dann nicht alles durch die Bank … Den Konsum kann man ja nicht verhindern, aber wenigstens mit Maß und Ziel wäre angebracht. 

Also kommen wir doch noch zum Klischeethema: Viele meinen ja, es gehe nur um Drogen in der Goa-Szene. Wie seht ihr das?

Biospin: Der Goa-Szene eilt dieser Ruf voraus, aber irgendwie gibt es das ja in jeder Szene. Sogar auf Volksfesten, wird so viel gesoffen, bis keiner mehr stehen kann. Ob das besser ist? 

Baboon: Und wenn die Behörden dann eine Razzia auf einer Fete machen und meinen, sie hätten den großen Coup gelandet, ist das totaler Bullshit. Die wirklichen Drogenkonsumenten triffst du nicht auf einer Party an, die hängen zuhause in ihrem Keller rum oder auf der Straße. Aber genau das wird bei uns hier totgeschwiegen, ebenso wie die Selbstmordrate. Ach, schicken wir sie einfach irgendwohin, wo sie keiner sieht und dann passt das. Aus den Augen, aus dem Sinn und anschließend crashen wir einfach wieder einmal eine alternative Party und schreiben in die Zeitung, dass wieder etwas gegen den Drogenkonsum bei jungen Leuten unternommen wurde … So ein Scheißdreck.

Wie würdet ihr die Goa-Szene also beschreiben? Welche Aussage steckt dahinter?

Biospin: Naja, Aussage … als politisch würde ich sie schon mal nicht sehen. „Peace and Love“ ist wirklich ein wesentlicher Bestandteil: Man fühlt sich willkommen und jeder schenkt dir ein Lächeln. Die Stimmung ist einfach positiv und du kannst so kommen, wie du willst. Moderne Hippies einfach. 

Baboon: Es gibt keine Schlägereien und jeder hilft jedem. Obwohl keiner so sein müsste, es kommt einfach von alleine. Keiner verurteilt dich, du kannst so kommen, wie du bist, und total aus dir rausgehen. Es wird einfach zusammen gefeiert und dann, wenn Schluss ist, setzt jeder wieder seine Maske auf und kehrt ins normale Leben zurück.

Biospin: Und ich muss noch speziell etwas erwähnen: Mir fällt nämlich auf, dass sich auf solchen Festen immer echt wunderschöne Leute tummeln. Keine Ahnung weshalb, ich empfinde das aber so. Vielleicht ist es auch einfach ihre innere Ausstrahlung … 

Fotos: (1) Baboon, Biospin; (2) Lukas Larcher; (3) The Graun Village People 

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