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July 31, 2019

Franziska Gilli: Ja, so sei es

Maria Oberrauch

Wenn man als Boznerin in Bozen über in etwa gleichaltrige Bozner schreibt, ist vorprogrammiert, den berichtenswerten Menschen irgendwie zu kennen. Manchmal gibt man dann ab, Befangenheit, nennt man so etwas. In diesem Fall aber sind Jahre vergangen, seit frau sich zuletzt gesehen hat. Damals saßen wir, getrennt von einer dünnen Wand, im grauen Baucontainer, in den die SchülerInnen des Kunstlizeums vom ehrwürdigen Humanistischen Gymnasium verbannt wurden. Jetzt stehen wir in Karthaus im Schnalstal, wo Franziska Gilli neben sieben anderen Südtiroler FotografInnnen die diesjährige Kunst in der Kartause einläutet. Sie ist  eindeutig das Küken in dieser Riege, neben ihr stehen beim obligatorischen Gruppenfoto Walter Niedermayr, Paul Thuile und Co. Ihre Arbeit steht den anderen aber in nichts nach. Es sind Portraits in Schwarzweiß, Athleten nach dem Zieleinlauf eines extrem anspruchsvollen Triathlons im Laufen, Fahrradfahren und Skitouren.

Von Naturns bis auf den Schnalser Gletscher müssen die Teilnehmer dieses Marathons, du hast ihre Erschöpfung direkt nach dem Rennen fotografiert … 

Mich fasziniert nicht so sehr der Lauf, der Prozess des Erarbeitens, sondern das Ankommen. Ich habe versucht, die ersten Momente zu erfassen, wie hinter der Ziellinie alles abfällt und der Kopf hinter den Körper der TeilnehmerInnen zurücktritt. Denn wenn der Kopf das Rennen bestimmt und der Körper zu leisten hat, ist dies der Moment, wo der Körper den Menschen wieder einholt und irgendwo auch überwältigt. Ich denke, diese Dualität funktioniert in sehr vielen Lebensbereichen so. Das Ziel, etwas erreichen zu wollen, kennen wir ja nicht nur im Extremsport.

kik_franziskaigilli_mariaoberrauch

Wobei der Extremsport heute eine immer größere Rolle einnimmt und regelmäßig neue Sportarten erfunden werden, um körperlich über die eigenen Grenzen hinauszugehen …

Wir leben im Luxus unser Überleben gesichert zu wissen. Der Sport ist Ersatz für die körperliche Arbeit, die wir heute nur mehr selten leisten. Manche tun das in extremer Weise. Dabei ist der Lauf auf den Berg, der Lauf zum Gipfelkreuz, irgendwo auch ein Kreuzweg für den Athleten … 

Und nach Durchlaufen dieses Kreuzgangs, dieses vorgefertigten Weges, entstehen diese  intensiven Momente des Seins. Jetzt hängen die Bilder im Kreuzweg der Karthause. Amen?

Das Wort Amen kommt ja aus dem Hebräischen und bedeutet: Ja, so sei es. Der Titel dieser Serie gibt meine Einstellung wieder, diesem Tun, der Suche nach dem Extremen, dem Austesten der eigenen Grenzen, der anspruchsvollen Zielsetzung gegenüber. Ich kann gut nachvollziehen, weshalb jemand so etwas macht und was es einem geben kann. 

AMEN_KiK_2019_Franziska_Gilli

Wo gehst du sonst gerade so um?

Ich komme gerade aus Italien und war dort auf Recherche für „Bambola“ unterwegs … 

… eine Fotoreportage, mit der du letzthin auf dem Copenhagen Photo Festival präsent warst. Es geht noch weiter?

Ja, das Projekt war eigentlich die Abschlussarbeit meines Fotografiestudiums in Hannover. „Bambola“ hinterfragt das tagtäglich verbreitete Frauenbild im italienischen Unterhaltungsfernsehen. Ich möchte diese Geschichte noch weiter verfolgen, gemeinsam mit der Journalistin Barbara Bachmann. 

Deine letzte größere Reportage „Fabrik der Eurokraten“ über EU- PraktikantInnen in Brüssel hast du mit ihr entwickelt.  

Sie schreibt sehr gut, ich habe sie im Rahmen eines Projekts an der Uni in Hannover kennengelernt und seitdem machen wir immer wieder was zusammen. Die EU-Reportage konnten wir in mehreren Medien unterbringen, mit „Bambola“ ist es gar nicht so einfach in den deutschen Medien. Italien steht aktuell für ganz andere Themen: die Flüchtlingskrise, die Poltik, die Rezession – das Bild der Frau im italienischen Fernsehen hat nicht genug zeitgemäße Relevanz für ausländische Medien … und männliche Chefredakteure. Bambola_Franziska Gilli-1

Obwohl es eine doch essentielle Komponente kontemporärer italienischen Kultur ist. Hast du als Kind italienisches TV geschaut?

Nein, ich wuchs ohne Fernsehen auf. Ich wusste natürlich, dass es die „Veline“ gibt, aber hatte mich nie wirklich damit beschäftigt. Nach zwei Wochen Recherche war ich erst mal vollkommen fertig. Ich war erschüttert. Für so viele junge Frauen ist es ein Kindheitstraum, im Fernsehen als Velina aufzutreten.  

War es schwer, Zugang zu den italienischen TV-Studios zu bekommen?

Manchmal war es prinzipiell nicht möglich, in einigen Fällen hat sich der Sender vorbehalten im Nachhinein noch zu zensieren. Auffallend dabei war, dass jene Darstellungen, die als nicht passend empfunden wurden, selten diejenigen waren, um die es mir ging … 

So viel zur italienischen Selbstwahrnehmung.

Italien ist noch immer extrem patriarchal: Die Männer tragen Anzüge, sind erheblich älter und erklären einem die Welt. Die Frauen hingegen haben meist keine tragende inhaltliche Funktion, Moderatorinnen müssen Inhalte und den eigenen Körper gleichermaßen präsentieren. Ein alternatives Frauenbild gibt es kaum.

Bambola_Franziska Gilli-2_low

Hast du mit den Frauen, die du fotografiert hast, gesprochen?

Ja, immer. Es geht in meiner Arbeit aber nie um eine Einzelperson. Die fotografierten Gesichter stehen für eine Gesamtheit, ein System oder eine Gesinnung. 

Auch wenn man z. B. Skispringerin Elena Runggaldier portraitiert?

Irgendwie schon. Auf Elena aufmerksam wurde ich, als erstmals über das weibliche Skisprungteam berichtet wurde, und das nicht der sportlichen Leistungen wegen, sondern aus Kuriosität. Bei so was will ich dann näher ran. Wie ein Skisprungtraining funktioniert, hat mich dann vollkommen überrascht. Man erhält Einblick in eine Welt, die einem vorher verschlossen war. Als Fotografin finde ich das am schönsten. 

Portraet_Franziska Gilli_© Daniel Pilarlow 

Franziska Gilli studierte internationales Kunst- und Musikmanagement und arbeitete mehrere Jahre in diesem Bereich, bevor es sie von Berlin  an die Hochschule Hannover zog, wo sie Fotojournalismus und Dokumentarfotografie studierte. Dort lebt sie auch heute, Hannover habe eine Unaufgeregtheit, die man sehr zu schätzen wisse, wenn man viel unterwegs ist, sagt sie. Franziska Gillis Fotos sind bei Die ZEIT, Süddeutsche Zeitung, NZZ am Sonntag, F.A.Z., Der SPIEGEL, GEO Wissen, IO Donna und weiteren erschienen. Das Magazin für jungen Fotojournalismus „emerge“ hat ihre Arbeit „Fabrik der Eurokraten“ mit einer Honorable Mention bedacht, von der Stiftung Kulturwerk „VG Bild-Kunst“ erhielt sie 2019 ein Stipendium. Wettbewerbe hingegen wären nicht so das ihre, sagt Franziska, Fotopreise gingen oft an Aufmerksamkeit heischende Bilder und Thematiken und das läge ihrer Arbeit fern. Nach ihrem Abschluss nimmt sie sich jetzt erst einmal die Zeit, eigene Projekte zu vertiefen. Der Alltagsjournalismus läuft ja nicht davon. 

Fotos: Franziska Gilli, Maria Oberrauch (2), Daniel Pilar (6)

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