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July 9, 2019

Real emotions. No bullshit. – Fotografin Mirja Kofler

Verena Spechtenhauser
2016 hatten wir von franz die Gelegenheit mit der freischaffenden Fotografin Mirja Kofler für ein Fotoprojekt zusammenzuarbeiten, bei dem es um das Thema Musik ging. Seitdem blicken wir immer wieder neugierig über die Alpen nach München, wo Mirja seit rund zehn Jahren lebt, um zu beobachten, an welch spannenden Dingen sie gerade arbeitet. “München war für mich der Ort, der es mir ermöglicht hat, Fotografie zu studieren und mich kreativ und grenzenlos zu entfalten”, beschreibt sie die bayrische Hauptstadt. Viel unterwegs ist sie dennoch, wer ihren Insta-Account verfolgt, den nimmt sie mit nach Spanien, Deutschland, Süditalien oder Schweden. Publikationen wie im The Weekender, die Einladung von Magnum Photos zu einer Portfolio Review mit Matt Stuart bei Visa pour l’Image oder die fotografische Dokumentation des Münchner DOK.fest  sind nur einige der unterschiedlichen Stationen ihrer Karriere.
 
Mirja, niemand kann dich und deine Arbeit besser beschreiben, als du selbst, darum an dich das Wort …

Ich bin Mirja Kofler, 34 Jahre alt und stamme ursprünglich aus dem Passeiertal. Als ich mit dem Studium anfing, träumte ich von einer Karriere als Modefotografin, von Veröffentlichungen in der Vogue, vom “fame”. Heute kann ich darüber schmunzeln. Sehr schnell habe ich gemerkt, dass die Modewelt viel zu oberflächlich für mich ist und ich mich lieber mit Menschen und ihren Geschichten befasse und die Welt entdecken möchte. Deshalb habe ich mich im Bereich Reportage und Portrait spezialisiert. Wenn ich Lust auf Abwechslung habe, was recht oft vorkommt, mache ich aber auch gern mal was anderes. Eine Konstante in meiner Arbeit gibt es aber immer, ich arbeite gerne mit natürlichem Licht und mir wird oft gesagt, dass meine Bilder sehr “aufgeräumt” und clean wirken.
Mirja Kofler

Du hast in München vor kurzem ein Fotoprojekt vorgestellt, bei dem es um die Krankheit Endometriose geht. Wie bist du auf dieses Thema gekommen. Kannst du uns mehr darüber erzählen?

Endometriose ist ein Thema, mit dem ich mich persönlich täglich befasse. Die Krankheit wurde bei mir letztes Jahr diagnostiziert, nachdem ich jahrelang den Verdacht hatte, daran erkrankt zu sein. Die Tatsache, dass die durchschnittliche Diagnosedauer zwischen sechs und acht Jahren liegt, ist für mich einfach unglaublich, besonders da viele Frauen immer wieder an den selben Symptomen leiden. Das liegt teils an den fehlenden Kenntnissen seitens der Ärzte und andererseits daran, dass Menstruationsschmerzen in unserer Gesellschaft als normal abgestempelt werden bzw. solche intimen Angelegenheiten totgeschwiegen werden. 

Wann war es für dich klar, dass du dich auf künstlerische Art und Weise mit dem Thema auseinandersetzen möchtest?

Für mich war es einfach naheliegend, mich auch fotografisch mit dem Thema zu beschäftigen. Ich bin inzwischen weit darüber hinaus, nur schöne Bilder machen zu wollen, mir geht es darum, mit meiner Arbeit etwas zu verändern. Ich möchte ein Sprachrohr für andere Menschen sein und einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Für das Projekt habe ich auf Social Media einen Aufruf gestartet und nach kürzester Zeit um die 100 E-Mails von Frauen erhalten, die teilnehmen und der Endometriose ein Gesicht geben wollten. Jede einzelne hatte ein starkes Bedürfnis, ihre Geschichte zu erzählen und zu schildern, was sie in den Jahren bis zur Diagnose erlebt hatte. Ich habe dann schlussendlich acht Frauen portraitiert und gemeinsam mit Noelle Grzanna weitere neun Frauen interviewt. Daraus entstanden dann eine kleine Portraitserie und ein Buch mit gesammelten Zitaten.

Mirja Kofler

Interessant ist auch der Rahmen, in welchem deine Portraitserie ausgestellt wurde. Welche Geschichte steckt hinter 14x2m?

14x2m steht für 14 Frauen, die ihre Arbeiten auf je 2 Metern Wandfläche zeigen. Wir 14 kennen uns nun seit knapp einem Jahr und sind Fotografinnen und Filmerinnen aus den unterschiedlichsten Bereichen und mit den unterschiedlichsten Werdegängen. Jede von uns war anfangs auf der Suche nach Austausch mit anderen Fotografinnen. Seit unserem ersten Treffen im Oktober 2018 kommen wir regelmäßig einmal monatlich in München zusammen, um uns zu unterstützen, zu pushen, neue Ideen anzustoßen und uns gegenseitig bei offenen Fragen und schwierigeren Themen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Um uns in der Öffentlichkeit zu präsentieren, haben wir dann entschieden, gemeinsam auszustellen. Eine unter uns, Verena Vötter, hatte dann auch schon den passenden Raum für Juni 2019 parat, den sie dann mit uns teilte: den Farbenladen. Da jede von uns zeigen durfte, was sie wollte, habe ich mich dazu entschieden, mich mit meinem persönlichen Endometriose-Projekt zu präsentieren.

Du bist außerdem Teil des Gemeinschaftsprojektes Rainbow Refugees (Stories). Wie kam es dazu und worum handelt es sich dabei?

Rainbow Refugees (Stories) ist ein wunderbares Gemeinschaftsprojekt, das von Francesco Giordano initiiert wurde. Rainbow Refugees sind Geflüchtete, die der LGBTIQ Community angehören und aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in ihrem Herkunftsland verfolgt werden. Um der Gewalt und der Unterdrückung zu entfliehen, kamen viele nach Europa. 27 der Geflüchteten wurden für das Projekt interviewt und fotografiert. Dabei wurde jedem Flüchtling ein Fotograf und ein Journalist zugeteilt, sodass jede Geschichte intensiv und individuell beleuchtet werden konnte. So habe ich gemeinsam mit Annika Bavendiek Gilberts Geschichte erzählt. Annika hat ihn interviewt, ich habe ihn fotografiert. Die Geschichten, illustriert mit unseren Bildern, kann man heute in einem bunten Buch nachlesen.

Die Thematik der Rainbow Refugees war mir bereits seit 2017 bekannt, da ich gemeinsam mit meiner Mitbewohnerin Corinna Mayer an einer Auftragsarbeit für die Rainbow Catholics arbeitete. Hier habe ich Aktivisten der Rainbow Catholics Gemeinschaft portraitiert, die aus aller Welt anreisten, um ihre Situation und die weitere Vorgehensweise zu diskutieren. Den Rainbow Catholics geht es darum, die katholische Kirche von innen zu verändern und für mehr Akzeptanz für die LGBTQI Community in dieser zu kämpfen. Die katholische Kirche hat in vielen afrikanischen und südamerikanischen Ländern auch heute noch auf Regierungsebene und bezüglich der Gesetze sehr viel Einfluss. Hier wird Homosexualität nicht geduldet und bestraft. Die Geschichten, die ich damals hörte, verursachen noch heute Gänsehaut bei mir, weshalb es für mich klar war, Francesco bei seinem Projekt Rainbow Refugees (Stories) zu unterstützen. Die Portraitserie und die von Corinna gemachten Interviews wurden dann als Wanderausstellung in ganz Deutschland gezeigt, unter anderem auch auf dem Kirchentag 2018.

Mirja Kofler

Bereits 2012 waren deine Bilder in einer Soloausstellung in der Bozner Galerie Foto Forum zu sehen. Dazwischen liegen sieben sehr produktive Jahre. Welches waren deine beruflichen Highlights, worauf schaust du sehr gerne zurück?

Puh, das ist eine sehr gute Frage, sieben Jahre sind eine ziemlich lange Zeit. Wenn ich zurückdenke, glaube ich, dass jede Herausforderung ein Highlight war, weil ich dadurch gewachsen bin und näher zu mir gefunden habe. Sehr gerne denke ich an die Zeit in London zurück und an meine Bachelorarbeit. Damals bin ich für meine Abschlussarbeit mehrere Male nach London geflogen, bin durch die unterschiedlichsten Viertel gestreift und habe flüchtige Momente auf  Schwarzweiß-Film festgehalten, ganz ohne Druck von außen. Dadurch habe ich nicht nur London kennengelernt, sondern auch mich selbst. Ein Studienabschluss, also ein Abschluss eines Lebensabschnittes, ist eine große Sache. Man lässt vieles hinter sich, rekapituliert und startet etwas Neues. Nachdem ich die Arbeit abgeschlossen und ausgestellt und meinen Studienabschluss in der Tasche hatte, beschloss ich nach London zu ziehen. In der Zeit nach meinem Abschluss habe ich aber auch zum ersten Mal realisiert, dass nicht immer alles, was man sich wünscht, umsetzbar ist. So wollte ich ursprünglich in London einen Master in Fotografie machen, habe aber schnell gemerkt, dass ich mir das finanziell nicht leisten kann. So ging ich nur für dei Monate nach England, um mir den Traum, in dieser Metropole tagtäglich Luft zu schnuppern, trotzdem zu erfüllen. Auch wenn die Zeit dort nicht einfach war, denke ich heute gerne daran zurück, besonders weil mich die Erfahrungen dort sehr geprägt haben, meinen Horizont erweitert und auch meinen Bildstil beeinflusst haben. In dieser Periode nach meinem Abschluss habe ich auch gelernt, innerhalb einiger vorgegebener Grenzen meine Arbeit und mein Leben so zu navigieren, dass ich das für mich Beste rausholen kann.

Und hast du einen Richtungswechsel in deiner Arbeit vollzogen?

Ich glaube, ich habe keinen Richtungswechsel gemacht, da ich gerne in alle Richtungen fotografiere – ich mag die Abwechslung und möchte auch kein Fotografie-Genre für die Zukunft richtig ausschließen. Vielleicht wurde aber der Weg, auf dem ich wandere, weniger holprig, da ich für mich in den letzten Jahren einen Leitsatz gefunden habe, dem ich gerne folge: Real emotions. No bullshit. Bilder, die fake sind, mag ich einfach nicht mehr so wirklich. Ich mag Ehrlichkeit, Authentizität und Natürlichkeit in meinen Bildern. 

Vor zwei–drei Jahren hatte ich die Chance, mein Portfolio dem Magnum-Fotografen Matt Stuart zu zeigen. Dafür wurde ich nach Perpignan in Frankreich eingeladen. Noch heute erinnere ich mich daran, wie Matt sich meine 20 Bilder angesehen und in zwei Stapel geteilt hat. Auf einem Stapel blieben nur mehr drei Fotos, Portraits von echten Menschen. Er sagte: “This is you. Make more of those. I have known you now for half an hour and I can tell you that you are a sensitive and natural person that is able to make honest portraits. All the rest is just fake, you don’t need that”.

Mirja Kofler

Woran arbeitest du im Moment? Gibt es ein Herzensprojekt, über welches du uns erzählen magst? 

Bereits letztes Jahr habe ich angefangen, an einem kleinen Projekt über Südtiroler Heimkehrer zu arbeiten. Dafür möchte ich mit jungen Südtirolern arbeiten, die für einige Zeit im Ausland gelebt und nun den Entschluss gefasst haben, zurückzukehren. Ich möchte ihre Beweggründe beleuchten, wieso sie Südtirol den Rücken zugekehrt haben, und auch hören, wie sie ihre Rückkehr erlebt haben. Die Thematik beschäftigt mich schon etwas länger, da ich natürlich zu denen gehöre, die gingen, und immer wieder gefragt werde, ob ich denn irgendwann zurückkomme. Außerdem beschäftige ich mich immer wieder mit der Thematik der Heimat – wo ist man eigentlich zu Hause und wieso fühlt man sich an manchen Orten mehr “dorhuam” als an anderen. Vielleicht suche ich mit dieser Arbeit auch insgeheim einfach nur eine Antwort für mich selbst auf diese Fragen und auf die Frage, ob ich zurückkommen soll oder nicht. Da ich in den letzten Monaten so intensiv mit dem Endometriose-Projekt beschäftigt war, musste ich das Heimkehrer-Projekt leider etwas auf Eis legen, im August plane ich jedoch für eine Woche nach Südtirol zu kommen und mit so vielen Heimkehrern wie möglich zu sprechen und diese zu portraitieren, um dann vielleicht gute Antworten auf meine Fragen zu haben. Das Projekt wurde nun auch vom Amt für Kultur der Provinz Bozen ausgewählt, um gefördert zu werden, das freut mich sehr. Wer also Lust hat, mir mit über das “Dorhuam-Fühlen” zu sprechen oder ein/e HeimkehrerIn ist, darf dies hier als offiziellen Aufruf verstehen und sich bei mir melden!

MirjaKofler_Verena Vötter

Wenn du nun abschließend mit einem Satz beschreiben müsstest, was du an deiner Arbeit am meisten liebst, was würdest du sagen? 

Die Fotografie gibt mir die Möglichkeit, Neues zu entdecken, hinter die Kulissen zu schauen, interessante Menschen näher kennenzulernen und das bewirkt bei mir größere Adrenalinschübe als ein Bungeejump es jemals könnte. 

Fotos: (1–5) Mirja Kofler; (6) Verena Vötter

 

 

 

 

 

 

 

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