Music

June 23, 2019

Children Of Pop: Anger am Apparat

Florian Rabatscher

Das Brixner Duo Anger meldet sich zurück und das ziemlich bunt, schrill und total übertrieben. Ok, übertrieben wäre noch untertrieben. Nora Pider und Julian Angerer bedienen sich in ihrem Video zu den beiden Singles „Baby“ und „Sie Schreit“ wahrscheinlich aller gängigen Popklischees. Als hätte Pop mit Pop gepoppt und wäre dabei ein Über-Pop-Baby rausgekommen. Verstanden? Mehr Pop geht, verdammt noch mal, nicht. Auto-Tune-Stimmen und so knallige Farben, als ob ein Pop-Art-Gemälde zum Leben erwacht wäre. Obwohl ich natürlich niemals solche Filme gesehen habe, erinnert es auch ein bisschen an den Hintergrundsound der Pornofilme aus den 90er-Jahren, jedoch ohne der ganzen Schweinereien und dem Gestöhne… Aber vergesst diesen Gedanken lieber wieder.

Bitte entschuldigt mich, ich bin noch dabei, meine Ansichten zu diesen Klängen zu ordnen. Als ich das erste Mal auf den Play-Knopf des Videos geklickt habe, wurden meine Gehörgänge ziemlich überrumpelt. So etwas hatte ich mir nicht erwartet und sofort hat es nicht zwischen uns gefunkt. Aber mittlerweile hat sogar meine dunkle Seele einen grell pinken Schimmer angenommen. Gütiger Gott, was habt ihr nur mit mir gemacht? Das Wort „bunt“ hat somit eine neue Steigerung in meinem Wortschatz bekommen: Bunt, bunter, Anger.
Trotzdem, denkt hier nicht an irgendwelchen käsigen Kitsch, es ist eher so natürlich wie ein Einhorn, das einen Regenbogen kotzt. Anger und Pop-Musik gehören anscheinend einfach zusammen. Sie machen uns diese so unreal erscheinende Pop-Welt irgendwie menschlich zugänglich. „Die sind alle wie wir, die sind alle wie wir, die sind alle wie wir …“, schellt es durch meinen Kopf. Um mehr über meinen derzeitigen Ohrwurm zu erfahren, rief ich die beiden einfach mal an …

Na dann, erzählt mal was zum neuen Sound …

Nora: Die Geschichte ist folgende: Im Februar gingen wir zu einem Freund von uns in sein altes Haus in Meransen. Also wirklich abgelegen, und es war Winter. Julian, Jakob (unser Produzent) und ich fuhren dahin mit der Idee, dass wir zehn Tage dort bleiben und einfach alles zulassen.

Und das heißt?

Nora: Wir haben unser Zeug aufgebaut und dann ging es schon los. Wir haben einfach Songs geschrieben und zusammen musiziert. Der Workflow war irgendwie so geil, weshalb wir alles aus uns raus ließen, was rauskam.

Julian: Es war für uns eine völlig neue Situation, da wir mit Jakob das erste Mal zusammenarbeiteten. Er hat ein paar Mal bei uns als Live-Schlagzeuger gespielt, aber wir luden ihn dieses Mal als Produzenten ein. Da wir also nicht wussten, worauf wir uns hier einlassen, haben wir uns sozusagen auferlegt, uns nicht zu bremsen. Wir wollten in diesem Moment alles vergessen, was wir bisher gemacht haben, und machten einfach das, worauf wir im Moment Bock hatten. Naja, nun ist es mittlerweile Juni und wir arbeiten immer noch an unserem Album. 

Anger_Baby

Ach, ihr arbeitet im Moment noch dran?

Julian: Ja, die Arbeit daran ist zwar hart und zeitintensiv, aber megageil. Einfach schön zu sehen, wie es gerade weitergeht. 

Und ihr bewegt euch gerade völlig weg von dieser, nennen wir es, „Dream Pop“-Schiene?

Julian: Wie gesagt, wir haben uns dieses Mal nicht auf irgendein Genre eingestellt …

… natürlich, ich meine es nur als Vergleich zum bisherigen Sound …

… ja, ist auch völlig richtig. Das Album kommt am 20.09.2019 raus und wird komplett vielseitig sein. Es werden alle möglichen Genres darin behandelt, was man dann erst bei der Erscheinung hören wird. Mit den beiden Singles „Baby“ und „Sie schreit“ wollten wir aber schon einmal mit dem Alten brechen. Wir wollten die Leute einfach ein bisschen damit überraschen.

Kein strategischer Schachzug oder Versuch, einen Trend zu erwischen?

Nora: Nein, wir wurden halt von der Musik, die wir gerade hören, beeinflusst.

Welche Musik wäre das?

Julian: Es war sehr poppig, was wir in die Produktion mit einfließen ließen. Wir hatten Lust auf bunte Farben und wollten weg von diesem Emohaften, was es bis jetzt war. Mehr in Richtung Sommer-Feeling. Ganz unterschiedlicher Sound spielte da eine Rolle: „The 1975“, z. B. …

Nora: … oder Dua Lipa und auch Bilderbuch …

… Ich dachte jetzt eher an Post Malone oder solche neuen Hip-Hop Geschichten …

Julian: Hmm … vielleicht noch am ehesten RIN, aber ja doch, so was ist auch in der Produktion vorgekommen, weil wir es einfach feiern, aber Trends sind uns egal. 

Und warum dann Auto-Tune in den Stimmen?

Nora: Das gefiel uns einfach, es ist so geil mit Auto-Tune zu singen. Wir haben es ja schon öfters aus Spaß ausprobiert und es ist einfach ein geiles Stilmittel, mit dem wir Lust hatten zu arbeiten. 

Julian: Letztens spielten wir in Mannheim auf einem großen Festival. Und glaub mir, es ist so geil in ein Mikro zu singen, das mit Auto-Tune getriggert wird. Es fühlt sich so … Ach, man muss es einfach mal ausprobieren.Anger 3

Weil wir gerade bei Trends sind, was hat es mit diesem heißen Hemd auf sich?

Nora: Wir ziehen uns einfach geile Sachen an.

Julian: Ja, wir haben wirklich coole Sachen für dieses Video bekommen. Wir suchten natürlich danach und fanden so einen Shop in Wien, der uns ein bisschen mit Kleidung ausstattete. Das Hemd fanden wir einfach geil. Wir alle stehen auf heißen Asphalt und alles brennt irgendwie. Das wollten wir auch durch die Mode darstellen.

Auf Ästhetik legt ihr also besonders Wert?

Julian: Ja, voll. Wir versuchen alles so groß wie möglich aufzuziehen und bedienen uns dabei aller Mittel, die es dazu braucht. Aber nicht aus dem Grund, damit es funktioniert, es sind einfach die Dinge, die uns auch persönlich ansprechen. Wir sind sehr gern modisch gekleidet und legen Wert auf die Ästhetik.

Nora: Sagen wir, für uns ist es ganz normal, da wir einfach an dieser Stelle unserer persönlichen Entwicklung stehen. Für alle anderen war es vielleicht eine Überraschung.

Julian: Ja, die Entwicklung nach Innen ist viel schneller als die nach Außen.

Waren ein paar Leute auch negativ überrascht von eurem neuen Sound?

Julian: Es gab mehr positive Überraschungen, wir sind ja auf Platz 7 in die FM4-Charts eingestiegen, was für uns ein Megaerfolg ist. Als Südtiroler Band im österreichischen Pop-Dschungel mitzumischen ist etwas sehr Motivierendes und Schönes. Natürlich gibt es hin und wieder negative Nachrichten oder Kommentare, wo man sich seinen Teil dazu denkt.

Nora: Diese Sachen hört man einfach nicht …

Julian: Genau, wir beschäftigen uns nicht mit Negativität.

Was könnt ihr uns noch zum neuen Album verraten?

Es nennt sich „Heartbreak“ und es werden zehn völlig unterschiedliche Tracks darauf sein, von 80er Balladen bis zu Songs mit Hip-Hop- und Trap-Einflüssen. Es wird viel breiter als das bisherige. Wir legen dieses Mal großen Wert auf die Stimmen und versuchen uns auch textlich auf die Spitze zu treiben.

Nora: Dieses Album wird einfach extrem ehrlich. Wenn man es dann als Gesamtes hört, lernt man viel von uns kennen. Wir geben hier viel von unserer Persönlichkeit und Beziehung preis. 

Julian: Es werden aber auch die Beziehungen zu allen möglichen anderen Menschen behandelt und es ist auch sehr politisch geworden …

Politisch?!

Nora: Enthalten sind auch gesellschaftspolitische Kritiken, Zitate und Aussagen …

Julian: … sie den Leuten aber nicht aufgedrückt werden sollen – man kann das Album hören und sich selbst Gedanken machen. Denn die Songs bleiben immer noch im Kosmos der Popmusik, aber haben einfach diese Themen in sich.
Jedenfalls werden wir das Album dann ganz klassisch promoten. Es folgt noch eine neue Single, eine Tour …

… ein neues Hemd?

Julian: [lacht] Genau, ein neues Hemd bei jedem Konzert …

Nora: Wir werden versuchen nochmal so eines zu finden. 

Julian: Live ziehen wir uns immer auf gespiegelte Art an … Aber schaut es euch doch einfach selbst bei unseren nächsten Südtiroler Konzerten an (12.06. Rock im Ring, 13.06. im Tschumpus).

Anger 4

Noch eine Frage an Nora: Warum überklebst du an deinem Bass das Marken-Logo?

Nora: Keine Ahnung eigentlich … Solche Sachen habe ich schon früher bei meinem Keyboard immer gemacht. Ich mach gern Wortspiele und kleb dann einfach ein paar Buchstaben zu. Beim Wort “BASS” z.B. habe ich das “B” zugeklebt, damit nur “ASS” dasteht… Aber ich will auch irgendwie keine Marken repräsentieren, auch deswegen.

Julian: Du hast dir den Bass nur nicht genau angeschaut, es sind auch noch überall kleine Katzen darauf und Lippen. Er ist sehr dekoriert.

Nora: Ich habe überall kleine Sachen raufgeklebt oder kleine Hinweise, sozusagen. Übrigens habe ich mittlerweile auch einen anderen Bass, den ich aber noch nie benutzt habe.

Auch in eurer Musik und sonst überall versteckt ihr gern kleine Hinweise, nicht wahr?

Nora: Mir persönlich gefällt es mit Worten oder Ansichten zu spielen, die man dann hört oder überhört. Mir gefällt es, Sachen zu zitieren oder Narrative in einen Song zu zeichnen. So fließt alles in den Sound, in die Kleidung und sogar ins Instrument ein. 

Auch satanische Botschaften?

Julian: Keinesfalls.

Ein paar letzte Worte?

Julian: Ja. Es wäre wirklich cool, wenn uns in Südtirol die Radiosender spielen würden und auch ihr alle zu unseren Konzerten kommen würdet, damit wir nicht nur in Österreich erfolgreich sind.

Nora: Meine letzten Worte sind: „Wunder dich nicht, was alles möglich ist.“

Fotos: (1) Stefan Plank, (2) Manuel Hauer, (3) Michael Pinzolits

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