Culture + Arts > Visual Arts

June 12, 2019

System Insect Control: Auf zwei Glas mit Heinz Mader

Florian Rabatscher

Bis 15.06.2019 könnt ihr noch im Kunstforum Unterland in Neumarkt in eine völlig abgedrehte Welt eintauchen. Fühlt euch wie Alice im Wunderland inmitten einer Welt voll von Absurditäten und Chaotischem. Seht den Künstler Heinz Mader als den weißen Hasen, der euch in diese Dimension lockt, und den Musiker Jürgen Winkler als verrückten Hutmacher. Die Ausstellung „Intervallo“ stellt sich als schwer beschreibbar heraus, weswegen wir uns auf ein Glas mit Heinz Mader trafen. Ok, bei einem Glas blieb es natürlich nicht, unser Gespräch zog sich noch bis in die späten Stunden. Alle Erinnerungen, die nicht im Nebel des Ethanols verschwanden, könnt ihr aber hier im Interview nachlesen und der Rest ist Geschichte. Mich jedenfalls begeistert dieser Mann einfach jedes verdammte Mal. Diese kindliche Unbefangenheit, mit der er arbeitet und spricht, ist fast schon einmalig hier im verklemmten Südtirol. Heinz Mader, der personifizierte Freigeist, erzählt uns Näheres zu einer Ausstellung, die nicht aus einem komplett strategischen Konzept entstand. Gütiger Gott, zieht ihn doch raus, den Stock in eurem Arsch, denn wie das Leben selbst entspringt diese Ausstellung eher aus dem ganzen Chaos, das uns umgibt. Damit wir eine Vorstellung davon bekommen, atmet Heinz wie ein stellares schwarzes Loch sein Umfeld ein und spuckt es als Kunstwerk wieder aus. Und damit wir eine kleine Vorstellung bekommen, wie es dazu kam, hier ein Einblick in den Kopf von Heinz Mader …    

Worum geht’s in deiner neuen Ausstellung?

Sie nennt sich „Intervallo“. Als ich klein war, gab es im Fernsehen nur zwei Sender, Montag nachts waren meine Eltern immer weg und ich schaute Fernsehen. Eigentlich hätte ich nach einer Sendung immer ins Bett gemusst. Da ich aber alleine war, blieb ich natürlich noch auf. Meistens kam zu später Stunde noch ein Film von Alfred Hitchcock, wovon ich nicht viel kapierte, und ich hatte so eine Angst, dass ich mich nicht mehr ins Bett traute. 

Als Kind schon Hitchcock gesehen … Respekt.

Ja, das war so was von Psycho und manchmal brach der Film einfach ab. Früher gab es dann diese sogenannte Sendepause und dort gab es diesen sogenannten „Intervallo“: Man hörte Harfenmusik und sah italienische Kunstwerke aus der Renaissance (Bauwerke, Skulpturen, Gemälde …). Ich wartete dann einfach, bis die Pause zu Ende war und der Film weiterging. HeinzMader2

Dann waren diese Kindheitserinnerungen also der ausschlaggebende Punkt für diese Ausstellung? 

Ja. Irgendwann kam mir dieses Wort „Intervallo“ wieder in den Sinn. Es gefiel mir und es kommt doch eher von der Musik. Dann kam mir die Idee doch einmal selbst ein „Intervallo“ zu kreieren. Aber trotzdem wusste ich immer noch nicht ganz, was es war. Die Jahre gingen vorbei, aber dieses Wort ließ mich nicht los. 
Ich glaube, 2014 kam das letzte große Telefonbuch heraus und jetzt, da alle Handys besitzen, ist es ja sowieso unnötig. Ich sah damals oft in der Zeitung einen Wettbewerb „Der beste Kratzler“ oder so ähnlich. Das Beste also, das jemand telefonierend so dahin kritzelt. Ich war so begeistert davon, dass ich mir mein Telefonbuch zur Hand nahm und auch anfing, auf die Seiten zu kritzeln. Zugleich erschien es mir als Basis für mein eigenes „Intervallo“. Irgendwie machte ich das, um selbst einmal ein Intervallo zu machen und zu sehen, wie das aussehen würde. Besser gesagt: Den ganzen Shit, den ich im Kopf habe, einmal ausleeren und anschauen. Das Intervallo damals setzte sich aus Bildern aus der Kunst zusammen und eine Parallele heute wäre der Bildschirmschoner. Oder: Wenn man im Krankenhaus anruft und in der Schleife hängt, hört man Vivaldi oder Mozart und immer dasselbe Stück. Auch das gefiel mir und ich wollte es für mich selbst machen.

Wie hast du es dann für dich umgesetzt?

Ich habe auf ca. 530 Telefonbuchseiten gezeichnet und geschrieben. Alles quer durch über Visionen und Vorstellungen, die ich hatte, Kritzeleien, wo ich gar nicht wusste, was rauskommen würde, und Wörter, die ich so auf der Straße von Leuten aufgeschnappt habe. Oft habe ich auch Auszüge aus Zeitungen oder etwas, das mir selbst einfiel, aufgeschrieben, rot unterstrichen und darüber gemalt. Letzteres habe ich mir ein bisschen von japanischen und chinesischen Holzschnitten abgeschaut. Japaner haben immer wunderschöne Holzschnitte von Landschaften gemacht. Dann steht da auch immer etwas auf Japanisch, was man natürlich nicht versteht, mit dem roten Kaiserstempel aus der Ming-Zeit. Da dachte ich mir, das will ich auch machen. Mit dem Unterschied, dass bei mir z. B. „Cazzo! Ho dimenticato il sacchetto“ rot unterstrichen stand. HeinzMader 5

Und das war dein „Intervallo“?

Noch nicht ganz, als diese Arbeit beendet war, wollte ich noch einen Film daraus machen. Bei dem „Intervallo“, wie ich es kannte, war ja immer diese Harfenmusik im Hintergrund. Also ging ich mit meiner Arbeit zum Musiker Jürgen Winkler. Ich erklärte ihm meine Idee dazu, wollte aber trotzdem nicht, dass er es jetzt so machte, wie ich es sah. Er sollte sich einfach einmal alles selbst anschauen, was bei 530 Bildern natürlich eine Heidenarbeit darstellt. Zwingen wollte ich ihn zu nichts, er sollte sich seine Zeit nehmen. Mich hätte es auch nicht gestört, wenn ihm gar nichts dazu eingefallen wäre. Er sollte einfach machen, was er wollte.

Eine ziemlich lockere Einstellung …

Aber genau das ist der springende Punkt. Ich hatte ja das Telefonbuch als Unterlage und machte, was ich wollte. Jürgen sollte nicht meine Idee weiterführen, sondern auch machen, was er wollte. Lange Zeit hörte ich nichts von ihm und dann trafen wir uns zufällig. Wir sprachen über Musik, aber nicht von dieser Arbeit. Eine Woche später rief er mich an und sagte, dass er völlig vergessen habe, über dieses Buch zu sprechen. Ich fragte, ob er es nicht längst weggeschmissen hätte, aber im Gegenteil, es gefiel ihm. Er hatte sogar schon angefangen daran zu arbeiten. 

Was kam dabei heraus?

Er zeigte mir erst einmal einen Testlauf mit ein paar Bildern samt Sound. Ich war sofort begeistert. Der Sound war etwas Richtung Daft Punk, aber voll drauf. Verstehst du? Der Film dazu dauert nicht ganz drei Minuten und du siehst dort alle Bilder, manchmal schnell und manchmal langsam eingeblendet. Total verrückt. In der Ausstellung in Neumarkt siehst du diese Arbeit in einem Raum auf einem Fernsehbildschirm im ständigen Loop. Wir nennen es die Lauten Bilder, weil dort geht’s richtig ab.

HeinzMader3

Gibt es auch einen stillen Raum?

Ja, in dem hängen Bilder, die voll mit verschiedenen Postkarten, Papierschnipseln und Zeug sind, das man eigentlich wegschmeißen würde. Mir gefällt dieses Zeug und es wurden dann irgendwie verrückte, politische Bilder. Ausserdem habe ich darüber gezeichnet und Sachen darauf geschrieben. Sogar auf die Hinterseite, bis alles voll war, und irgendwann waren sie fertig. Ich ließ sie sitzen, für eine Weile, schaute sie mir wieder an und dachte: „So eine Scheiße, ich schmeiß sie wieder weg.“ Aber dann ließ ich sie noch einmal sitzen und, während ich sie so anschaute, fiel es mir plötzlich ein. Früher wenn z. B. ein Supermarkt renoviert wurde, wurden die Schaufenster mit einer weißen Kalkfarbe bemalt und ein Zettel daran gehängt, wo „Wiedereröffnung“ darauf stand. Genau das machte ich mit diesen Bildern, ich malte einfach weiß darüber und schaute, was passiert. Das war es, sieht ziemlich geil aus. All diese Strukturen, die man jetzt sieht, einfach toll. Wie eine Stadt aus der Vogelperspektive oder so ein komisches Star Wars Schiff. Das ist der stille Raum, er steht total im Gegensatz zum anderen, der viel bunter, schriller und deshalb lauter ist. 

Mir fällt auf, dass du dich als Künstler nicht so in Vordergrund stellst. Warum das?

Als Künstler sehe ich mich irgendwie nicht. Diese sogenannte Künstlerperson nervt mich einfach. Ich arbeite viel lieber im Kollektiv. Es gibt so viele Klischees, wie ein Künstler sein sollte, aber ich pfeife auf das alles. Ich arbeite lieber mit jemanden zusammen und habe Spaß dabei. Deswegen sind auch Jürgen Winkler und Georg Giovanelli mit dabei. Ego-Kunst interessiert mich einfach nicht.

HeinzMader4

Ein paar letzte Worte noch zur Ausstellung?

Im Großen und Ganzen ist das alles ein Spiel mit Medien und Daten. Das Telefonbuch an sich ist ja eine ausgestorbene Ansammlung von privaten Daten. Jürgen Winkler machte ganz etwas anderes, er nannte es „System Insect Control“. Heutzutage leben wir ja wie Ameisen. Das hat auch irgend etwas mit „Intervallo“ zu tun. Jeder kennt doch dieses Gefühl, wenn man im Stress ist und nicht mehr alles schafft. Dann möchte man oft einfach irgend etwas zerstören, um seinen Frust loszuwerden; einfach mal raus aus dem System in eine andere Dimension flüchten. Wenn du dir all diese Bilder anschaust, siehst du einfach den ganzen Shit darin. Aber irgendwie musst du diesen Shit auch lieben, denn du musst dich in dieser ganzen Scheiße wohlfühlen. Also musst du damit arbeiten, auch wenn es dir schlecht dabei geht. Einfach einmal alles ausbreiten und anschauen. Das ist es, was mich interessiert, aber immer in Zusammenarbeit mit anderen.  

Fotos: (1, 2, 4, 5) Heinz Mader; (3) franzmagazine 

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.

Archive > Visual Arts