Music

June 4, 2019

Hedonistische Heilsfront: Heart Of Noise Festival 2019

Florian Rabatscher

Hört ihr es auch? Dieses seltsame krachende Geräusch. Ein Geräusch, das vielen unter euch ein unbehagliches Gefühl in der Magengegend und Schlaganfall ähnliche Gesichtszüge beschert. Es grrrt und springt, blackt und death und noist und dröhnt, flimmert, flickert, färbt, bleicht, singt … Klänge, die völlig frei zu sein scheinen und scheinbar jedes Gefühl von zerstörerischer Wut bis purer Freude enthalten. Doch haben wir diese sogenannte Freiheit nicht aus unserer Gesellschaft und deren Kultur verbannt? 

Nicht ganz, meine lieben MitbewohnerInnen dieser Erde. Alle Spießbürger und kleinkarierten Paragraphenreiter sollten sich deswegen vom 7. bis 9. Juni 2019 lieber in ihren hübschen Kleinfamilienhäusern verbarrikadieren. Das Heart of Noise Festival fällt wieder in Innsbruck ein und verwandelt die Stadt kurzzeitig in eine temporäre autonome Zone. Es wird ein herrlicher Anblick, wenn die Alpen unter einem neonleuchtenden synthetischen Schleier zu verschwinden scheinen. Also, lasst doch die schicke neue Einbau-Jalousie einen Spalt weit geöffnet und beobachtet heimlich das Geschehen. Wie eine Horde wildgewordener Mongolen werden die sogenannten Freaks diesen Haufen von Trümmern, den ihr Heimat nennt, wieder in etwas Pures verwandeln. Begleitet von Pferdegalopp, das eher wie dröhnende Techno-Bässe klingt, werden sie die Scherben der zerbrochenen Welt zertrampeln. Solange, bis sie wieder fein wie Staub ist und darauf getanzt werden kann.

Das Festival, das sich jedes Jahr neu erfindet, meldet sich dieses Jahr wieder mit einer unklaren Voraussage der Geschehnisse. „Don’t Stop The Dance“ lautet der heurige Schlachtruf und soll bitte nicht als irgendeine Art der Vorgabe verstanden werden. Denkt nicht, dass es sich hier um eine beschissene Motto-Party handelt, denn, stilistisch gesehen, reiht sich das Festival, naja, nirgends ein. Es präsentiert euch einfach alternative Strömungen aus Kunst und Musik außerhalb des Kulturmainstreams. Der wahre Soundtrack unserer Gesellschaft oder die eigentliche Realität, die man gekonnt vor uns versteckt. Klänge der neuen Welt, die wir uns selbst geschaffen haben. Inspiriert von der künstlichen Natur, die uns umgibt, den Stadtwüsten.

Der Satz „Don’t Stop The Dance“ kann auch als Hinweis darauf gesehen werden, dass sogar die Musikszenen ständig in Bewegung sind. Warum sollte man also immer nur die von der Presse hochgelobten Musik-Acts buchen? Warum nicht tiefer bohren und so manche wilde Perle entdecken? Genau das macht Heart Of Noise, denn es zielt auch nicht auf ein gewisses Publikum ab. Inmitten dieser Klangwellen hört ihr apokalyptische Beats von Aja Ireland, elektronisch peruanische Rhythmen samt Stammesmasken von Dengue Dengue Dengue, den fast schon düsteren Sound des Saxophonisten Ben Vince, die Berliner Produzentenlegende Christoph de Babalon, eine ganze verdammte Oper und vieles mehr. Mit „The Hakke Show“ von Gabber Eleganza werdet ihr sogar in eine alte Ära katapultiert. Ein Old-School-Rave mit Hardcore-DJ und eigens dafür ausgesuchtem manisch-begeistertem TänzerInnenensemble. Noch nicht verrückt genug? Vielleicht läuft euch auch Attila Csihar (Sänger der kontroversen Black Metal Band Mayhem) über den Weg.

Aber nicht nur der Klang, sondern auch die visuelle Kunstform steht wieder im Mittelpunkt. Verschiedenste Film-, Performance- und Videokünstler begleiten die Konzerte und mit Paranoise Space stellen dieses Jahr sogar Masterstudierende des ./studio3 Institut für experimentelle Architektur etwas auf die Beine. Dieses Festival bietet also allen Sinnen neue Erlebnisse. Schluss mit dem Schwarz-Weiß-Denken. Nicht einmal die Location gibt sich mit einem Standort zufrieden. In diesen Tagen kann es sogar passieren, dass ihr in einem öffentlichen Bus in Innsbruck Zeuge von irgendwelchen Klangexperimenten werdet, wie beim „TRAMatic RIDE“ in der IVB Stubaitalbahn zum Beispiel. Andere Venues sind: Haus der Musik Innsbruck, Para Noise Garden, Adlers Rooftop und Kunstraum Innsbruck. Verrückt, revolutionär, anarchistisch … Ich weiß auch nicht mehr, wie man es nennen könnte. Völlig egal, es ist, was es ist und Punkt. 

Habt keine Angst, dass euch vor lauter Einflüssen der Kopf explodiert und ihr zu Tom Jones „It’s Not Unusual“ im Irrenhaus aufwacht. Ergebt euch lieber dem Wahnsinn und ihr werdet sehen, wie gut es sich anfühlt. Willkommen im Tempel des Exzesses, der Kirche der hedonistischen Heilsfront. So macht Religion wieder Sinn. Werdet Teil einer Sekte, für die ihr keine großen Spenden abdrücken, Leute abschlachten oder Suizid begehen müsst. Befreit euch lediglich von euren Ketten in Form von Verstand, Zweifeln und allen rationalen Einschränkungen. Also Jünger, gehet hin und feiert. 

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