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May 1, 2019

“AHNEN. Neue Porträts”: Orly Zailer im BTV Stadtforum Innsbruck

Verena Spechtenhauser

Die israelische Dokumentar- und Kunstfotografin Orly Zailer, die mit ihrer Werkserie The Time Elapsed Between Two Frames international auf außergewöhnliche Resonanz stieß – unter anderem wurde eine Dokumentationen auf ARTE  gezeigt und Medien wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichteten über ihre Porträtarbeiten – zeigt bis 13. Juli 2019 ihre neueste Werkserie AHNEN. Neue Porträts in der Galerie FO.KU.S des BTV Stadtforums in Innsbruck. Es ist das erste Mal, dass beide Serien zusammen ausgestellt werden. Wir haben uns mit der Künstlerin über ihr spannendes Projekt unterhalten, das 2012 in Israel begann und nun in Europa fortgesetzt wurde.

Orly, wem in deiner Familie siehst du am ähnlichsten?  

Ganz klar meiner Mutter. Ich erinnere mich, dass mir als kleines Kind, aber auch als Erwachsene immer wieder gesagt wurde, wie ähnlich wir uns sind. Ich schätze, das hat dazu beigetragen, dass ich als Erwachsene immer dieses Gefühl mit mir herumtrug und oft darüber nachdachte, wie externe Merkmale die Art und Weise beeinflussen, wie wir über die Charaktere anderer Menschen denken: Entscheidungsfindung, die Wege, die wir im Leben wählen. Wollen wir unseren Eltern ähnlich sein? Wie wollen wir als Individuen unser Leben leben, in dem Wissen, dass wir anders oder identisch mit anderen Menschen sind, die wir vielleicht schätzen oder auch nicht …

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In deinen Fotos lässt du Menschen für einen Moment in die Rolle ihrer Ahnen schlüpfen. Wie entstand diese Idee?

2012 studierte ich für einen MA in Kunst am Goldsmiths College in London, wo eine Vorlesung zum Thema “Familienalbum” angeboten wurde. Für mich war das der Auslöser mich künstlerisch mit diesem Thema auseinander zu setzen. Ich war ja mein ganzes Leben lang von diesem außergewöhnlichen Artefakt fasziniert. Es sind eigentlich nur Zettel, aber sie haben so viel Bedeutung für alle Menschen. Ich konnte mich als Kind stundenlang hinsetzen, in Fotoalben blättern und mir Geschichten anhören. Bevor ich also ins Ausland ging, nahm ich mir eine Auswahl an für mich wichtigen Fotos mit, darunter auch ein Bild meiner Eltern aus dem Jahr 1972, ihrem Hochzeitsjahr. Ich entschied mich, das Bild von einst zusammen mit meinem Freund Nadav ins Heute zu übertragen, und machte mich auf die Suche nach einem ähnlichen Ort und ähnlicher Kleidung. Mein Freund ließ sich sogar etwas die Haare wachsen. So entstand das erste Foto dieses Projekts – ein Selbstporträt mit meinem Partner in der Rolle meiner Eltern. Für mich war es sehr wichtig, diese Erfahrung selbst zu machen, um zu erkennen, dass dies für viele Menschen auf der Welt ein universelles Interesse hat und andere Menschen ähnliche Gefühle für diesen Begriff haben. 

Was genau interessiert dich am Begriff der Ähnlichkeit?

Es gibt viele Gründe, warum ich an diesem Thema der Ähnlichkeit buchstäblich “ertrinke”, einige, die ich bereits erwähnt habe. Aber ein wichtiger Punkt ist der Begriff des Unheimlichen, worüber Freud in einem Essay schreibt. Dieses Gefühl entsteht in unserem Magen, wenn wir etwas Ungewöhnliches wie eine starke fast identische Ähnlichkeit sehen. Auf der einen Seite ist es für die älteren Generationen, die ihre Gesichtszüge weitergeben, so, als hätten sie für immer gelebt – unsterblich, auch wenn sie verstorben sind, während für die jüngere Generation, die die Ähnlichkeit in ihren Gesichtszügen und ihrem Körper trägt, dies zum Träger des Todes wird, der sie daran erinnert, dass sie genau wie die früheren Generationen eines Tages sterben werden. 

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“AHNEN. Neue Porträts” ist die Fortsetzung deines Fotoprojektes “The Time Elapsed Between Two Frames”. Wie kam es dazu? 

“The Time Elapsed Between Two Frames”, begann in London und wurde hauptsächlich in Israel durchgeführt. Für “AHNEN. Neue Porträts”, wurde ich im Rahmen des BTV Kunst- und Kulturprogramms INN SITU zu einer Residenz eingeladen, um einen zweiten Teil des Projekts mit Tirol und Vorarlberg zu realisieren. Die Galerie FO.KU.S veröffentlichte einen Aufruf zur Teilnahme am Projekt für Menschen aus der Region, viele meldeten sich, ich interviewte sie und wir wählten gemeinsam Fotos aus. Das Galerie-Team begann mit der Suche nach Locations und Accessoires. Der Zeitraum für die Dreharbeiten erstreckte sich über fünf Wochen im Herbst 2018 und dauerte später eine weitere Woche für Winteraufnahmen. Insgesamt entstanden zusätzlich 20 neue Arbeiten zu den 20 im ersten Teil des Projekts bereits durchgeführten.

Gibt es Dinge, worin sich beide Serien unterscheiden?

Die Hauptunterschiede waren kultureller Art; in Israel gibt es Familienalben, die in verschiedenen Teilen der Welt als Einwanderungsgesellschaft hergestellt wurden, in Österreich dagegen meist Generationen von Familien, die seit Jahrhunderten in derselben Gegend leben. Außerdem gibt es regionale Trachten, Skiurlaub, anders als Urlaub in der Wüste (in Israel). Auch ermöglichte mir die Unterstützung eines Teams kompliziertere Einstellungen und Fotos zu machen, die im ersten Teil des Projekts nicht möglich gewesen sind. Schließlich würde ich sagen, dass mir im zweiten Teil mehrere Charaktere auf einer Fotografie, die sich über mehrere Generationen erstreckt, zur Verfügung standen – das wollte ich schon seit sehr langer Zeit umsetzen.

Nach welchen Kriterien suchst du die Menschen aus, die du fotografierst?

Nach der Ähnlichkeit. Das ist nicht immer einfach, da ich Bilder früherer Generationen in einem ähnlichen Alter wie die neuen Generationen finden muss, die auch einen ähnlichen Ausdruck haben. Menschen, die wie ihre Eltern aussehen, können auf verschiedenen Fotos aufgrund der Haltung, Körpersprache oder anderer Dinge trotzdem unterschiedlich aussehen. Schwieriger wird es bei der Suche nach Duos, zwei Personen und mehr in nachfolgenden Generationen (z. B. die Werke: 40 Jahre, 29 Jahre und 32 Jahre), außerdem habe ich nach Ähnlichkeiten gesucht, die in der Familie für mehrere Generationen wie die Werke 29 Jahre und 57 Jahre läuft. Schließlich suchte ich nach einer interessanten Umgebung, einzigartigen Fotos, die mich interessierten (Passfotos, Motorräder, Modellfotos, Schnappschüsse, Studios usw. in verschiedenen Fotoformaten).

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Ich kann mir vorstellen, dass es bei den Shootings auch emotionale Momente gab …

Es gab viele emotionale Momente vor den Dreharbeiten und am Set, vor allem für Menschen, die ihre Lieben verloren hatten. Diese Erfahrung löste bei vielen schwierige Momente aus, in einigen Fällen dienten die Shootings aber auch als Mittel zur Trauerarbeit und als Auslöser, um eine jahrelange Trauer zu beenden.

Woran arbeitest du gerade?

Im Moment bin ich mitten im Rechercheprozess für mein nächstes Projekt, das sich auch mit Familienalben befassen wird, aber diesmal werde ich die Abwesenheit vom Familienalbum untersuchen.

Fotos: Thomas Osl

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