Culture + Arts > Literature

April 12, 2019

Schweigen heißt Zustimmung! Rassismusexpertin Tupoka Ogette

Verena Spechtenhauser

Bist du rassistisch? Bist du dir sicher, dass es Rassismus nur in rechtspopulistischen Kreisen gibt? Glaubst du, dass Südtirol ein Rassismusproblem hat? Oder Italien, Österreich, Deutschland? Hast du schon mal von Alltagsrassismus gehört? Ihn erlebt oder (un-)bewusst danach gehandelt? Wie oft machst du dir Gedanken über Rassismus? Müssen wir uns darüber überhaupt Gedanken machen? Hast du Angst vor Rassismus? Und kannst du Rassismus definieren? Hast du dir all diese Fragen schon einmal gestellt und dir ehrlich darauf geantwortet? Fühlst du dich jetzt angegriffen von meinen Fragen? “Rassismus wirkt in allen Bereichen unserer Gesellschaft und es ist nicht leicht über ihn zu sprechen”, sagt die deutsche Rassismus-Expertin Tupoka Ogette. Am Montag, 15. April um 18:30 H wird sie zusammen mit dem Co-Trainer Stephen Lawson die interaktive Lesung exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen an der Freien Universität Bozen halten. Wir haben uns vorab mit der Aktivistin ausgetauscht.

Tupoka, du bist Diversitytrainerin? Was genau bedeutet das? Was beinhaltet dieses Berufsbild?

Ich bezeichne mich eher als Rassismus-Expertin, Aktivistin und Autorin. Ich bin in der gesamten Region unterwegs, leite Workshops, halte Reden oder gebe Lesungen. Und dies immer zusammen mit meinem Ehemann und Co-Trainer Stephen Lawson. Unsere Formate heissen ähnlich wie mein Buch exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen. Wir arbeiten mit Menschen in kleinen Vereinen, Menschen in großen Konzernen, Menschen im gesamten Bildungssystem, in der Entwicklungszusammenarbeit, in den Medienredaktionen, in Kunst-, und Kulturinstitutionen, kurz: eigentlich überall. Überall da, wo Menschen begriffen haben, dass Rassismus täglich Barrieren und Ausschluss produziert, und sich daher auf einen rassismuskritischen Weg begeben wollen. Dabei unterstützen wir sie.

Du wirst an der unibz eine interaktive und multimediale Lesung halten. Ein spannendes Konzept! Was wird uns erwarten?

Mein Buch exit Racism, das vor zwei Jahren erschienen und inzwischen erfreulicherweise bereits in der 4. Auflage erhältlich ist, ist „ein interaktives Mitmachbuch“. Das Buch ist quasi ein lesbarer Workshop, mit Übungen, Auszügen aus Tagebüchern von ehemaligen Teilnehmenden aus Workshops und natürlich wissenschaftlichem Input. Die Lesung ist daher ebenso interaktiv und multimedial aufgebaut. Es ist keine klassische Lesung. Mehr verrate ich nicht. Kommt einfach vorbei und seht selbst.

Tupoka Ogette

Warum sollten wir exit Racism lesen?

Ich möchte Menschen damit eine möglichst alltagsnahe, konkrete und kompakte Stütze an die Hand geben, wenn sie sich mitunter das erste Mal mit Rassismus beschäftigen. Ich möchte sie befähigen über ein tabuisiertes und emotionales Thema denken und sprechen zu lernen. Ich wünsche mir, dass immer mehr Menschen verstehen, dass wir alle rassistisch sozialisiert sind. Und dass wir lernen müssen über dieses Thema ins Gespräch zu kommen. Mit den Nachbarn, der Partnerin, dem  Kollegen. Dazu will das Buch ermutigen. 

Wie definierst du den Begriff Rassismus?

Rassismus ist eine Diskriminierungsform von vielen. Er definiert sich als Vorurteil plus Macht. Das Vorurteil hat eine Rassifizierung zur Grundlage, also die Erfindung von Menschenrassen. Schwarze Menschen und People of Color erleben Rassismus und weiße Menschen profitieren davon in Form weißer Privilegien.

Rassismus wirkt in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Wie genau manifestiert sich das und was kann Alltagsrassismus bei den Betroffenen auslösen?

Die rassismuskritische Forschung weiß schon lange, dass es keine rassismusfreien Räume gibt. Wir alle werden rassistisch sozialisiert. Rassismus wirkt individuell, aber eben auch institutionell oder strukturell. Individuell bedeutet zum Beispiel, dass Schwarze Menschen und People of Color immer wieder die gleichen Grenzüberschreitungen erleben. Institutionell erleben sie Benachteiligung auf dem Wohnungsmarkt, dem Arbeitsmarkt oder im Schulsystem. Rassismus kommt in allen Aspekten des Lebens vor, in Kinderbüchern, Schulbüchern, der Werbung, in Filmen. Aber auch unsere Sprache ist geprägt von Rassismen. Rassismus ist die Norm, nicht die Abweichung. In einem rassistischen System aufzuwachsen kann Schwarze Menschen und People of Color krank machen. Es führt zu Stress und kann traumatisierenden Folgen hervorrufen oder posttraumatische Belastungsstörungen wie Depressionen und Ängste auslösen.

Tupoka Ogette

Warum ist es für viele Menschen so schwer sich mit dem eigenen Rassismus zu beschäftigen?

Rassismus wird oft moralisch gedacht. Also individuelle Tat eines bösen Menschen. Wenn man so an das Thema herangeht, muss jeder Hinweis auf rassistisches Verhalten als schwerer persönlicher Angriff verstanden werden. Aber Rassismus ist viel mehr. Rassismus kann auch unbewusst und mit einem Lächeln im Gesicht daher kommen. Aber wir haben als Gesellschaft nicht gelernt über Rassismus zu sprechen. Also über den der Anderen schon, aber nicht über den in uns. Daher ist die Angst und Unsicherheit groß. 

Welche Tipps kannst du Menschen geben die von Rassismus betroffen sind und wie können Nicht-Betroffene im Jahr 2019 Stellung beziehen?

Ich wünsche mir für Schwarze Menschen und People of Color möglichst viele empowernde und stärkende Räume. Sich auszutauschen mit Menschen, die wie man selbst Rassismus erleben ist wichtig. Es war für mich sehr stärkend Worte dafür zu finden, was mit mir passiert. Und zu verstehen, dass ich nicht das Problem bin, sondern dass das Problem Rassismus heisst. Weiße Menschen müssen verstehen, was Weißsein bedeutet. Was ihre Privilegien sind, sich eben auf einen rassismuskritischen Weg begeben. Und ich wünsche mir, dass weiße Menschen sich positionieren in Situationen, in denen etwas rassistisches gesagt oder getan wird. Schweigen heißt Zustimmung.

 

Fotos: Tupoka Ogette

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.