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April 8, 2019

“Ich habe mich immer als Aktivist verstanden”: Markus Schennach verabschiedet sich von Freirad

Maria Oberrauch

Markus Schennach verabschiedet sich nach über 15 Jahren als Geschäftsführer vom freien Radio Freirad, das sich über die Jahre als Plattform für regionalbezogene Kunst- und Kulturschaffende etabliert und immer das Ziel verfolgt hat, möglichst viele Menschen miteinzubeziehen. Freirad steht für Partizipation und Diskussion, für multilinguale Sendungen, für Programme, die sagen, du kannst aufstehen und dir deinen Kaffee machen, während du mich hörst, aber du kannst auch liegenbleiben und uns einfach einmal nur zuhören. Gespräche, Portraits, Kunsteinblicke, Musikschmankerln und so vieles mehr, sodass nicht einmal Schennach genau sagen kann, was und wer gerade durch den Äther zieht …

 Wie bist du zu Freirad gekommen?

Ich wurde gefragt. Nach dem Sendestart, im Juni 2002, kam Freirad schnell in finanzielle Turbulenzen, da Förderungen von Stadt und Land ausblieben. Der Bund hatte seine Förderung für Freie Radios schon 2001 unter der ersten schwarz-blauen Regierung binnen eines halben Jahres auf Null reduziert. 15 Monate funktionierte Freirad dann wieder rein ehrenamtlich und als sich die Möglichkeit ergab über den Tiroler Beschäftigungsverein jemanden anzustellen, hatte ich das Glück, gefragt zu werden.

Freies Radio heißt …

… vor allem Teilhabe am demokratischen Prozess. Menschen bekommen durch den offenen Zugang zum Medium Radio die Möglichkeit, mit ihren Themen und ihren Inhalten an die Öffentlichkeit zu gehen. Freie Radios erfüllen als Komplementärmedien eine unerlässliche Funktion in der Medienlandschaft, denn Inhalte, die in herkömmlichen Medien oft zu kurz kommen, werden durch die Aufarbeitung der RadiomacherInnen Teil der gesellschaftspolitischen Diskurse.

Welcher Meilenstein war prägend, welcher unerlässlich, welcher unnötig in deiner Zeit bei Freirad?

Prägend war viel. Ich war acht Jahre lang Vorsitzender vom Verband Freier Radios Österreich. In dieser Zeit ist es gelungen, den Fonds zur Förderung nichtkommerzieller Radios gesetzlich zu verankern, das sind immerhin drei Millionen Euro jährlich für 14 Freie Radios und drei Community-TVs in Österreich. Auch die Förderungen von Stadt und Land stehen nun außer Frage und werden kontinuierlich erhöht.
Unerlässlich ist wohl, dass Freirad inzwischen als Medium wahrgenommen wird. Freirad ist zu einem medien- und kulturpolitischen Player herangewachsen, der die Aufgabe, eine Plattform der Zivilgesellschaft zu sein, sehr gut erfüllt.
Unnötig ist in dem Moment, in dem es passiert, Vieles, aber auf Dauer ermöglichen oft gerade diese Situationen, sich weiter zu entwickeln und nicht in einem Status Quo zu verharren.

FREIRAD_studio

Neben der inhaltlichen Vielfalt ist auch die adäquate Ausbildung der zahlreichen Radiomacher-Neulinge ein wichtiger Anspruch von Freirad. Schule, Arbeitsraum, Plattform, Freirad ist alles in einem. So soll es sein – ein Kraftakt oder natürlicher Kreislauf?

Es muss sogar so sein, obwohl es oft ein Kraftakt ist. Letztes Jahr besuchten 522 Menschen 49 verschiedene Seminare bei Freirad, das sind 92 Workshop-Einheiten. Radio macht man ja nicht für sich selbst, sondern immer auch für die ZuhörerInnen. Damit RadiomacherInnen diese auch erreichen und in der Lage sind, den HörerInnen ihre Inhalte zu vermitteln, braucht es radiotechnisches Handwerkszeug. Obwohl sich Freirad ausdrücklich auch als Ort für mediale Experimente sieht, ist es dennoch wichtig, nie das Publikum zu vergessen.

Das Potential von der Möglichkeit, sich über Radio an die Welt zu richten … und dabei, wenn auch nicht alles, doch sehr viel, zu dürfen …

Nach wie vor hören 80 % der ÖsterreicherInnen mindestens einmal täglich Radio. Analoger Hörfunk ist relativ leicht zu machen, relativ billig und hat das Potential, sehr viele Menschen zu erreichen. Es wundert nicht, dass während des arabischen Frühlings etliche Radiostationen gegründet wurden oder dass in den Ländern des Südens Radio nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch als Kommunikationsmittel dient. Die Freien Radios hatten immer den Anspruch, aus HörerInnen auch ProduzentInnen zu machen, und das gelingt über weite Strecken. Der geniale „Nebeneffekt“ dabei ist, dass RadiomacherInnen an politischen Prozessen und Diskursen partizipieren, dass sie sich einmischen und aktiv an der Ausgestaltung unserer Demokratie mitarbeiten.

Nach über 15 Jahren als Geschäftsführer hast du beschlossen das Steuer zu übergeben. Was birgt deine Zukunft?

Der Abschied war nicht leicht, dennoch bin ich mir sicher, dass es richtig ist, neue Wege und neue Ideen zuzulassen. Freirad ist kein starres Projekt, sondern braucht die Veränderung. Ich selbst habe mich immer als Aktivist verstanden und werde daher auch in einem neuen Projekt, das in Planung ist, weiter für eine offene und demokratische Gesellschaft eintreten. Was genau ich vorhabe, wird sich dann im Sommer zeigen … 

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Was wirst du vermissen?

Ich hoffe nicht viel, aber sicherlich das großartige Team, mit dem ich die letzten Jahre zusammenarbeiten konnte. 

Auf welchen Wellen klingt Freirad weiter?

Mit der neuen Geschäftsführerin Charlotte Trippolt sind meiner Meinung nach zwei Dinge gewiss: Freirad wird sich weiterhin als Plattform für zivilgesellschaftliche Anliegen verstehen und als Organisation Haltung zeigen. Und: Es wird sich verändern. 

 Was tönt in Innsbruck gerade sonst noch Nennenswertes?

Bei aller nötigen Kritik an der Kulturpolitik von Stadt und Land darf nicht übersehen werden, dass in Innsbruck sehr viel möglich ist und sehr viel passiert. Das gilt für Kulturprojekte der Freien Szene ebenso wie für die schon etablierten und die großen Tanker. 

Dein Freirad -Tipp zum Reinhören?

Ich muss gestehen, dass ich seit Jahren nicht mehr das gesamte Programm von Freirad kenne, darum muss das einfach jeder und jede für sich selbst entscheiden.

Fotos: Alena Klinger, Freirad

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