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March 6, 2019

Kommunikationsplattform ohne Hemmschwellen: aut

Verena Spechtenhauser

Die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Aspekten von Architektur zu fördern und die Diskussion über eine qualitätsvolle Gestaltung des Lebensraumes anzuregen. Mit diesem Ziel wurde 1993 auf Initiative engagierter Architekten das Tiroler Architekturzentrum aut. architektur und tirol in Innsbruck gegründet. Seit 2005 befindet sich die öffentlich zugängliche Einrichtung im adaptierten Sudhaus der ehemaligen Brauerei Adambräu. Neben Ausstellungen finden im aut verschiedenste Veranstaltungen zu zeitgenössischer Architektur, Kunst und Design statt. Das Spektrum der Aktivitäten umfasst zudem Exkursionen, Führungen, schwerpunktartige Filmreihen und „Vor Ort“-­Gespräche in Bauwerken, ein spezielles Angebot für Kinder und Jugendliche sowie eine kontinuierliche Basisarbeit an der Schnittstelle zwischen Fachwelt, Öffentlichkeit und Politik. Seit 1995 leitet und programmiert der in Wien geborene Publizist und Kurator Arno Ritter den Ausstellungsraum des aut, den er als Ort der Präsentation von Architektur, Kunst, Design und Grafik sowie als Raum der interdisziplinären Diskussion über die Gestaltung unseres Lebensraumes positionierte. Wir haben uns von ihm mehr über das Projekt erzählen lassen, in der Hoffnung, dass in naher Zukunft auch in Südtirol eine vergleichbare Initiative ins Leben gerufen wird. Denn Architektur geht uns alle an!

Wie wichtig ist das „richtige“ Verständnis von Architektur für eine Gesellschaft?

Was das „richtige“ Verständnis von Architektur ist, ist meiner Meinung nach nicht wirklich eindeutig definierbar, da es nicht die eine „richtige“ Architektur gibt, sondern unterschiedliche Lösungsansätze für gestellte Fragen existieren. Jede Gesellschaft und Region hat unterschiedliche Anforderungen an die Architektur, aufgrund der Geschichte, der Bauaufgaben, des Klimas und der Topografie sowie auch der ökonomischen Parameter und baut sich daher unterschiedliche Lebensräume. Ich würde eher von einer Baukultur und daraus formulierten Qualitätsansprüchen sprechen, die sich ein Kollektiv über Informationen, öffentliche Diskussionen und Besuche von Bauten erarbeiten sollte. Nehmen wir als Vergleich die italienische Esskultur, die sehr qualitätsorientiert ist, da viel darüber gesprochen wird, sie im Alltag ein zentrales Thema ist und daher ein hoher Qualitätsanspruch der breiten Masse existiert. Dieses Selbstverständnis führt dazu, dass sie fast in jedem Ort gut essen können, da sich das Kollektiv einen „guten“ Geschmack trainiert, wie auch eine differenzierte Sprache entwickelt hat. Wenn die Qualität der Baukultur einer Gesellschaft hoch entwickelt ist, entsteht automatisch gute Architektur, weil die Gesellschaft Ansprüche formuliert, Qualität einfordert und diese auch bewerten kann.

Adambräu_aut_Lukas Schaller

Wie hat sich die Architektur in Tirol in den letzten Jahrzehnten verändert?

Durch die Entwicklung der Wettbewerbskultur, die vor allem auch von der Politik wie der Verwaltung eingefordert wird, hat sich die Qualität der Architektur in Tirol ausdifferenziert und verbessert. Denn offene oder geladene Wettbewerbe stellen im Idealfall gute Fragen, die von ArchitektInnen oft ganz unterschiedlich beantwortet werden. Eine gute Fachjury kann dann mit dem Bauherrn die Projekte diskutieren und vergleichen, um die „beste“ Lösung zu finden. Diese qualitäts- und lösungsorientierte Wettbewerbskultur hat zu vielen spannenden Ergebnissen geführt, die vor allem auch an peripheren Orten gute Architektur ermöglicht hat und meistens auch von der Bevölkerung positiv aufgenommen wird. Daneben gibt es aber viele andere AkteurInnen, wie aufgeschlossene BürgermeisterInnen, BeamtInnen und private BauherrInnen, die maßgeblich an der veränderten öffentlichen Wahrnehmung von Architektur mitgewirkt haben, wie zum Beispiel das Tiroler Familienunternehmen MPREIS, das inzwischen mit seinen vielen Supermärkten – fast schon volksbildnerisch – auch in den kleinsten Dörfern zeigt, dass Lebensmittel genauso günstig sein können wie beim Konkurrenten, obwohl die Supermärkte von ArchitektInnen geplant und ihre raum- wie städtebaulichen Qualitäten ungleich besser sind. Diese Bauten sind keine Ausnahmeerscheinung mehr, sondern in Tirol mittlerweile Alltag geworden. Ganz nebenbei bekommen die KundInnen Raumatmosphären, Materialqualitäten, also Architektur subkutan vermittelt und werden sicher davon auch geprägt. 

aut_wett

Welches sind “Schandflecke”, welches “Lichtblicke” der Tiroler Architektur?

Deren gibt es sowohl als Schandflecke wie auch als Lichtblicke viele, wobei meiner Meinung nach das wesentliche Thema in Tirol die Raumplanung und die Bodenpolitik ist. Denn in Tirol sind nur knapp über 12 Prozent der Landesfläche als Siedlungsraum nutzbar, das heißt in diesem begrenzten Raum müssen viele Funktionen und sich teilweise widerstrebende Interessen im Idealfall in Einklang gebracht werden. Doch leider erfolgt die Widmungs- und Bodenpolitik in Tirol immer noch nicht nach sachlichen beziehungsweise Gemeinwohlkriterien, sondern ist sehr stark von politisch lobbyierten Einzelinteressen geleitet. Dies führt zur Zersiedelung und Versiegelung der Landschaft, zu Bodenspekulationen und zu vielen Interessenkonflikten, die langfristig gesamtgesellschaftliche, ökonomische wie auch ökologische Probleme erzeugen werden. Denn letztendlich geht es um leistbare Lebensqualität und vor allem um den Erhalt unserer Kultur- wie Naturlandschaft, die uns ernährt, aber auch als Erholungsraum wie touristische Projektionsfläche dient. Darüber hinaus sind wir in diesem Raum mit Folgewirkungen des Klimawandels konfrontiert, der uns vor einige Herausforderungen stellen und Gewohnheiten infrage stellen wird. 

 aut_Günter Richard Wett

Was ist das Ziel von aut? Was möchte der Verein erreichen?

Mit der Gründung 1994 galt es, einerseits das Bewusstsein für die Bedeutung von Baukultur in Tirol aufzubauen und zu schärfen, sowie an den dafür notwendigen Rahmenbedingungen für Architektur vor Ort zu arbeiten. Dabei ging es stets um den Aufbau einer breiten Gesprächskultur, einer architektonischen Debatte, in der sich Gleichgesinnte unterschiedlicher Professionen, wie BeamtInnen PolitikerInnen, private BauherrInnen, ArchitektInnen, Kulturschaffende treffen und austauschen können. Über die vergangenen 20 Jahre sind dabei ein relativ stabiles soziales Netzwerk und ein kontinuierlicher konstruktiver Dialog entstanden. Das hat die Baukultur in Tirol sicherlich positiv beeinflusst. Der Anspruch und das Niveau der Diskussion um Architektur- und Gestaltungsfragen sind heute höher als vor zwanzig Jahren, damit wurde auch die Sprache differenzierter. Bei der Vermittlung von Architektur und der Sensibilisierung der Öffentlichkeit haben auch die Medien wesentlich dazu beigetragen. Magazine, Tages- und Wochenzeitungen, Rundfunk und Fernsehen berichten regelmäßig über architektonische Themen und stellen Projekte vor. Auch dort wird mittlerweile mit einer sprachlichen Sensibilität über Architektur und Baukultur berichtet. Ohne diese kontinuierliche und breitenwirksame Berichterstattung und ohne den Dialog mit den politisch Verantwortlichen hätten wir mit unseren Ausstellungen, Vorträgen und Publikationen wie unserer kritischen Haltung keinen produktiven Widerhall gefunden. 

aut_Günter Richard Watt

Ihr bemüht euch auch um Kinder und Jugendliche. Warum und in welcher Form?

Ich betrachte das aut als einen kulturellen Ort, der eine Kommunikationsplattform und ein „Sozialraum“ für Jung und Alt ohne Hemmschwellen sein soll. Bis heute ist es uns wichtig, das kollektive Bewusstsein dafür zu fördern, dass durch eine qualitätsorientierte Gestaltung unserer Umwelt die Lebensqualität der Menschen verbessert werden kann. Dieser breite Anspruch hat dazu geführt, dass Architektur zwar immer im inhaltlichen Fokus steht, aber auch Kunst, Design, Grafik, Ingenieurbaukunst, Film und Fotografie sowie die ästhetische Bildung von Kindern und Jugendlichen fester Bestandteil unseres Programms und unserer Aktivitäten sind. So haben wir mit tatkräftiger Unterstützung von Studierenden des Instituts für experimentelle Architektur der Universität Innsbruck, 2015 das so genannte „bilding“ errichtet, in dem Kinder und Jugendliche von 4 bis 19 Jahren in ihrer Kreativität und Persönlichkeitsentwicklung gefördert und darin von ArchitektInnen, DesignerInnen, KünstlerInnen, GrafikerInnen und FilmemacherInnen unterstützt werden. Geleitet wird es von unserer ehemaligen Mitarbeiterin, Monika Abendstein, und ist für mich eines der wichtigsten Projekte, das aus dem “aut. architektur und tirol” entwickelt wurde und hoffentlich seinen Beitrag für eine andere Zukunftsentwicklung des Landes beitragen wird. Denn im bilding geht es nicht darum, dass die Kinder und Jugendlichen einmal Architektur oder Kunst studieren sollen, sondern darum die richtigen Fragen und viele kreative Antworten darauf zu finden.

aut_Günter R. Wett

Worum geht es in der aktuellen Ausstellung?

In der kommenden Ausstellung mit dem Titel „legistlating architecture. architecture after politics“ vom Architekten Arno Brandlhuber und dem Filmemacher Christopher Roth geht es um die Fragen, wie und von wem Gesetze formuliert werden, wer Architektur gestaltet, wem der Boden gehört und welche politische Handlungsfähigkeiten ArchitektInnen haben, um ihrem gesellschaftspolitischen und gestalterischem Anspruch gerecht werden zu können. Denn Architektur machen bedeutet mehr als nur ein schönes Gebäude zu entwerfen. Denn Architektur übersetzt gesellschaftliche Modelle und politische Paradigmen in Raum, macht je nachdem möglich oder verhindert Entwicklungen. Anhand von Gesprächen mit international renommierten ArchitektInnen, ÖkonomInnen und PolitkerInnen widmet sich die Ausstellung, vor allem durch drei Filme, verschiedenen Themenfeldern innerhalb der Auseinandersetzung von Architektur, Politik und Wirtschaft. 

 

Arno Ritter_aut

Ein Blick nach Südtirol: Was siehst du?

Ich nehme seit Jahren bei meinen Besuchen wahr, dass in Südtirol eine lebendige und qualitativ hochstehende Architekturszene entstanden ist, die mittlerweile auch international beobachtet und rezipiert wird. Gleichzeitig finde ich es aber schade, dass diese Szene keinen Ort – vergleichbar einem Haus der Architektur – hat, an dem kontinuierlich mit Ausstellungen wie Vorträgen Inhalte an die Öffentlichkeit vermittelt, intern diskutiert und vor allem politisch agiert wird. Es gab und gibt zwar immer wieder einzelne Initiativen, aber leider entstand keine Eigenständigkeit und Kontinuität, was ich, von außen betrachtet, schade finde.

Fotos: (1), (2) Lukas Schaller; (3), (4), (5), (7) Günter Richard Wett; (6) Arno Ritter

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