Culture + Arts > Architecture

February 23, 2019

Der Stadt ihr Stereotyp entziehen

Maria Oberrauch

An diesem Wochenende startet in Bozen Tiefkollektiv / Profondocollettivo 2, ein Festival, das von Michele Fucich, Daria Akimenko, Francesca Fattinger, Ada Keller, Francesco Ippolito, Silvia Morandi, Caterina Nebl und Sandro Petri initiiert und kuratiert und von Weigh Station getragen wird. Das Ergebnis ist ein beeindruckend umfangreiches und facettenreiches Programm rund um das Thema “Wohnen”. 15 Tage lang finden ab 23. Februar in ganz Bozen Workshops, Vorträge, Ausstellungen, ortsspezifische Projekte, Künstlerresidenzen, dialogische Besichtigungen, Performances und Projektionen statt, die teilnehmenden Künstlerinnen, Künstler und Vortragenden werden mit ihren Projekten nicht nur in den klassischen kulturellen Institutionen präsent sein, sondern an vielen weiteren öffentlichen und privaten Orten in der gesamten Stadt. Eröffnet wird Tiefkollektiv / Profondocollettivo 2 am 23. Februar um 17 Uhr auf dem Dominikanerplatz 22 in Bozen, das Festival läuft bis zum 10. März 2019. Michele Fucich, Kurator, Kunsthistoriker und seit Jahren in der kulturellen und künstlerischen Mediation tätig, war der Kopf hinter der Idee und klärt, wie es dazu kam …

profondocolletivo_garden

Wie kam es zu Tiefkollektiv / Profondocollettivo 2 und warum?

2018 habe ich an einem Call von Weigh Station teilgenommen, bei dem es darum ging, hochwertige Kulturprojekte unterschiedlichsten Formates mit einem Bezug zu Bozen und seiner Umgebung zu entwickeln, die das Ziel haben sollten, eine Beteiligung der lokalen Gemeinschaft zu erwirken. Mein Projekt wurde zusammen mit zwei weiteren ausgezeichnet. TiefKollektiv / ProfondoCollective 2 ist die zweite Ausgabe des Festivals – die erste Edition fand letztes Jahr im Rahmen meiner Kuratorenresidenz bei GAP Glurns Art Point statt. Die Beziehung zwischen den Menschen und ihren Lebensräumen ist das Leitmotiv, das die beiden Ausgaben verbindet. Bezeichnend ist der Beginn des Festivals in einer so kleinen und doch extrem identitätsstarken Realität wie Glurns. Es war wie der Beginn einer möglichen Reise in alle Richtungen: von Glurns nach Bozen bis in den Süden und über die nahen Staatsgrenzen hinaus. Die Schlüsselwörter “tief/profondo” und “Kollektiv” verweisen auf das kollektive Unbewusste, das nach Jung unter anderem die menschliche Fähigkeit bezeichnet, Symbole und Bedeutungen offen zu generieren, diese also nie fixiert, sondern in ständiger Transformation sind. Das “Kollektiv” ist auch ein Appell an die Begegnung und den Dialog zwischen Erfahrungen, Bildern, Themen und Dringlichkeiten zwischen den unterschiedlichsten Zonen und Realitäten Italiens: dem Norden, dem Zentrum und dem Süden der italienischen Halbinsel, ihrer Diversität und ihren Gemeinsamkeiten.  

Wie wird das Konzept in Bozen umgesetzt? 

Durch die breit ausgelegte Platzierung von Ausstellungen Workshops, dialogischen Spaziergängen und performativen Erfahrungen werden wir versuchen, die Stadt so zu gestalten, dass sie als das umfangreiche und komplexe Konstrukt wahrgenommen wird, das sie ist. Wir möchten die “BewohnerInnen” dazu einladen über ihr gewohntes “Bürgertum” und die damit einhergehenden Gewohnheiten hinaus zu denken. Aus diesem Grund haben wir uns neben verschiedenen Orten in der Altstadt (u. a. Hotels, leerstehende Gewerbeflächen, Innenhöfen und Kreuzgängen) mit den Workshops und Ausstellungen auf die Stadtviertel Don Bosco und Casanova konzentriert. In diesen Vierteln konzentriert sich eine Vielzahl an Geschichten, Erfahrungen und Hintergründen und gerade sie spielen eine grundlegende Rolle in der Stadt und im gesellschaftlichen Leben und sind Träger von Identitäten, die sich nicht auf die stereotype Vorstellung vom “Zentrum” oder der “historischen Teilung” der Stadt reduzieren lassen. 

Was kannst du schon vorab über Bozen in Hinblick auf Zusammenleben, Raum und als Kulturzone sagen? 

Bozen ist eine Stadt mit vielen kulturellen Angeboten und aktiven Institutionen, ein Schnittpunkt von Biographien, geografischen Ursprüngen und Erfahrungen, und doch leidet die Stadt meiner Meinung nach unter dieser grundlegenden Trennung und Unterteilung in “Orte” der Kultur und künstlerischer Praxis, weil und obwohl sie in ihrer gewohnten und spezifischen Öffentlichkeit so autark sind. Außerdem ist Bozen eine belagerte Stadt, die, wie ich sagen würde, durch ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen selbst belagert wird. Durch das Benko-Einkaufszentrum z. B., wird nicht nur ein Einkaufszentrum im historischen Zentrum gebaut, sondern ein großes Opfer in Sachen Stadt- und Sozialplanung gemacht, denn der Schub geht damit immer weiter in Richtung Desintegration und Standardisierung.

profondocolletivo_fucich

Das Festival soll auch eine Reaktion bzw. im besten Fall eine Interaktion der Bevölkerung fördern. Was erwartet ihr euch? Wird es hierzu auch eine Nachbearbeitung, Dokumentation geben?

Wir hoffen auf Momente, in denen das Unerwartete geschieht: Dialoge, Erfahrungsaustausch, Wahrnehmungen und Lebensgeschichten von und zwischen Menschen, die sich nicht kennen, KünstlerInnen und BewohnerInnen. Nach dem Festival werden wir mit unseren Erfahrungen, theoretischen Beiträgen und der Dokumentation von Kunstwerken und den bespielten Orten ein Buch gestalten. Wir wünschen uns, dass das Festival einen Anreiz zur weiteren Kommunikation in Bezug auf soziale Partizipation, kreative Mitgestaltung, die Nutzung bestehender oder Schaffung neuer Begegnungsräume schafft.

Das Programm ist sehr umfangreich: Dein Tipp? 

Es ist sehr schwer, hier eine Auswahl zu treffen. Sicher ist für die oben genannten Themen der Rundgang “MarginiCentro” am Dienstag, 26. Februar, interessant – mit verschiedenen Stimmen zum Thema, wie historische Zentren verletzt, verkauft, ausgetrocknet werden. Dann der Spaziergang am Sonntag, 3. März, von den Talferwiesen hinter dem Museion über das Gefängnis bis in die Sommerumkleideräume des Lido: Es diskutieren der Fotograf Alessandro Toscano und andere Gäste über die schlecht geschützten Rechte von Gefangenen in Italien. Ein weiterer Spaziergang mit Elisabetta Rattalino und Claudia Zeiske mit dem Titel “Walkscapes” findet am Samstag, 2. März, statt. Nahelegen möchte ich auch die Performances “Presenza” von Hiddenroom in Zusammenarbeit mit Errante, unter der Leitung von Silvia Morandi, wo junge KünstlerInnen nach einem intensiven Workshop an einigen Ausstellungsorten (Stadtmuseum, Lido, private Räume, Vintler Galerie) agieren werden.

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Fotos: Tiefkollektiv / Profondocollettivo

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