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December 12, 2018

Sie sind nicht wie wir: Lisa Eckhart und Sven Kemmler

Simon Stampfer

Der Vorhang erhebt sich vor den Künstlern. Sie steht im Rampenlicht, er daneben. Man spürt die Renaissance. Auch wenn man die Antike nicht kennt, jetzt lernt man sie kennen, unausweichlich. Sie haben es studiert, du nicht; und falls doch, hast du es nicht verstanden.
Die Inszenierung gleicht einer griechischen Tragödie. Allein den Chor sucht man auf der Bühne vergebens, nicht ohne Grund; denn eine dritte Stimme, noch dazu eine des Volkes, wäre neben Lisa Eckhart und Sven Kemmler so überflüssig wie dieses „wie”.

Vor der Aufführung des selbst geschriebenen Stückes „Die Nymphe und der Finstere Förster” am 23. November 2018 in der Carambolage in Bozen durfte ich dem Duo ein paar Fragen stellen.

Eine deiner Zeilen, als du noch als Slammerin aufgetreten bist, lautete: „Die Lösung sucht ihr auf Bühnen vergebens, Kunst schert sich um Kunst, schert ihr euch ums Leben“. Von einer Kunst nur um der Kunst Willen zum Kabarett mit Bildungsauftrag, wie erklärst du dir diesen Sprung? 

Lisa Eckhart: Das Kabarett ist für mich keine neue Kunstform. Das ist einfach eine neue Bühne, die sich mir geboten hat. Das ist also die Langform des Slams, wo ich mir nicht mit anderen die Bühne teilen muss. Das hat nichts verändert an diesem Credo, dass weiterhin die Kunst im Vordergrund stehen soll und nicht irgendeine Tagespolitik. Die finde ich wahnsinnig uneitel, wenn man Dinge schreibt, die in einem halben Jahr obsolet sind, weil man die Protagonisten nicht mehr kennt und dann mit irgendwelchen Politikernamen um sich wirft; das finde ich sehr unnarzisstisch, ergo sehr kunstlos. Es ist einfach ein anderes Publikum; um mir hat sich nichts verändert. 

Wie beurteilst du den Poetry Slam? Hast du dort Künstler gesehen? Ist es Kunst, Kleinkunst oder nicht einmal das?

Sven Kemmler: Der Titel an sich, „Poetry Slam”, verleitet ja fälschlicherweise viele dazu, sich Poeten zu nennen. Das ist, glaube ich, ein großes Missverständnis. Das, was als Poetry Slam passiert, das ist eigentlich in den meisten Fällen Comedy oder versuchte Lyrik. Hier und da, in sehr seltenen Fällen, grenzt es an Lyrik, aber immer von der Seite des Dilettantismus aus; es ist ja auch der Anspruch. Mit Poesie hat es nun mal gar nichts zu tun. Es ist eben Unterhaltung auf der Bühne mit sehr vielen verschiedenen Leuten und das ist es, was es zusammen mit dem Format Wettbewerb sehr erfolgreich macht. Natürlich sieht man hier und da Dinge, die in irgendeiner Form gelungen sind und zwar auch Comedy, die gelungen ist, es gibt sicherlich Talente, die sich da tummeln. Es ist ja auch so, dass Poetry Slam eine Möglichkeit ist, Bühnen zu besteigen und das, was auch immer man vor einem größeren Auditorium sagen möchte, auch zu tun. 

Lisa Eckhart: Also im Idealfall schläft man sich nur im Slam hoch und lässt ihn dann hinter sich wie ein ausgelutschtes Stück Fleisch. Man sollte nicht ewig dort verharren, weil es sehr degeneriert. Es ist, glaube ich, nichts, wo man lange verharren sollte auf ewig, zumal sich der Slam auch sehr verändert. Ich finde er ist ein wunderbarer Indikator für diverse Entartungen der Jugend. Ich finde seit der kurzen Zeit, wo ich dabei war, ist es schon beträchtlich schlimmer geworden. Damals, vor einem Jahr, waren unsere größten Probleme im Slam diese lustigen Texte, alles ist nur komisch und oberflächlich. Selbst das hat sich bereits gewandelt, sodass man komische Texte sehr selten findet. Heute ist es eigentlich nur mehr unerträgliche Larmoyanz, eine politisch korrekte Ausdünstung bei jeder Kunst oder Sublimierung. Es ist nur mehr Empfindlichkeit.

Sven Kemmler: Empfindlichkeit gepaart mit einem möglichst ich-bezogenen Zur-Schau-Stellen von Haltung und die leider auch noch ganz selten kunstvoll. 

Betrachtet man euch im Soloprogramm, wirkt ihr beide sehr unterschiedlich. Man merkt zwar, dass ihr sehr viel Wert auf Sprache legt, quasi sprachverliebt seid, ansonsten jedoch gibt es keinen bedeutenden gemeinsamen Nenner. Wie habt ihr trotz der wenigen Gemeinsamkeiten zusammengefunden?

Lisa Eckhart: Ich habe den Österreichischen Kabarettpreis gewonnen und brauchte einen Laudator. Da ich aber den Kabarettpreis eine Woche, nachdem ich gesagt habe, ich ginge ins Kabarett, bekommen habe, kannte ich niemanden aus dieser Szene. Da wusste ich eben, da er als Kabarettist begonnen hat und dann zum Slam gekommen ist, dass er der einzige Kabarettist war, den ich kannte und dann hat er meine Laudatio gehalten. Wir haben uns wahrscheinlich gerade deswegen, weil wir keinen gemeinsamen Nenner auf der Bühne haben, für dieses Projekt entschieden, das jeder von uns machen wollte, aber niemand die Möglichkeit dazu gefunden hatte, weil man allein war und weil man das Solo-Werk nicht um 180° drehen wollte.

Sven Kemmler: Es ist ein kleiner Ausflug, den wir beide machen im Vergleich zum Solo-Schaffen. Er ermöglicht Dinge zu sagen, die man sonst nicht sagen kann, weil man sie alleine auf der Bühne so nicht erzählen kann. Es ist etwas anderes, wenn da jemand steht, es auffängt und es zurückhaut.

Lisa Eckhart: Ja, das musste sich aber auch einmal finden: Zwei Leute, die Dialoge schreiben wollen, aber überhaupt kein schauspielerisches Talent haben. Wir wollten ein Theaterstück schreiben, mit der Prämisse, dass es keiner von uns beiden kann, und das hat sich wunderbar getroffen.

Sven Kemmler: Wobei ich es auch nicht unbezeichnend finde, dass wir jetzt ankommen als sprachverliebt, was ja erscheint wie sehr sehr viel mehr als es andere sind, was ja nicht im Kabarett als Qualifikation oder Alleinstellungsmerkmal erscheinen sollte. Es sollte nicht herausgestellt werden müssen, weil es ja alle sein sollten.

Lisa Eckhart: Ja das stimmt. Man sollte eher andere in Interviews fragen: „Sie als jemand, der die Sprache offenkundig hasst, nicht versteht … Wie geht es Ihnen damit?”

Lisa Eckhart und Sven Kemmler 01

Du bezeichnest dich des Öfteren als Narzisstin und offensichtlich macht dich das sehr beliebt. Warum mag das Publikum Narzissten? 

Lisa Eckhart: Ich glaube, zum einen, weil es unfassbar charmant ist, wenn man es mit Charme betreibt. Manche können es nicht und dann ist es das Bitterste, das man sehen kann. Aber ich glaube auch, weil die Menschen genug von devoten, authentischen Künstlern haben, die während der Show andauernd versuchen, den Bühnengraben aufzuschütten und so zu tun, als wären wir eins: Du und ich und jeder könnten hier auf die Bühne gehen. Die Menschen haben das satt. Wenn sie ins Theater gehen, wollen sie Transzendenz, sie wollen nicht sich wiedererkennen in jemanden anderem. Das haben sie eine Weile geglaubt, aber dem ist nicht so. Ich will keinen Künstler sehen, vor dem ich nicht das Bedürfnis habe, im Staube zu kriechen, weil er sich so erhöht, wenngleich auch künstlich, und ohne ein echtes Fundament. Ich denke, dass die Menschen das wollen; das ist doch der Sinn von Kunst.
Wenn sie das Mittelmaß sehen wollen, dann bleiben sie mit sich zu Hause. Doch das wird ihnen beständig geboten, weil das Missverständnis von beiden Seiten besteht, dass man sich irgendwie annähern müsse und ja keine Hierarchie aufbauen dürfe. Die Idee, dass Kunst irgendwie demokratisch aussehen müsse, ist ein großer Irrglaube unserer Zeit. Ich glaube, dass die Menschen einfach genug davon haben. Das sieht man immer wieder daran, wenn sie sich gierig auf Menschen stürzen, die sich hinaufstellen und sagen: „Wir sind nicht gleich.” Diese Hierarchie und dieses Unter- und Übermenschengefälle in der Kunst und nicht im ethnisch-politischen Sinn ausleben zu können, ist ihnen ein großes Bedürfnis. Das wäre, glaube ich, sehr viel sinnvoller.

Sven Kemmler: Was erfolgreich ist, sind zwei Dinge – leider. Wäre es nur dieser Teil, dann wäre es perfekt. Es gibt auch den einen Teil, der funktioniert auf der Bühne, weil alle da sitzen können und sagen: „Ha! Der ist ja wie ich.” Und die Sehnsucht verschafft dann das Gefühl: „Das kann ich ja auch”. Natürlich macht man’s nicht, weil man es nicht kann, aber man hat das Gefühl. Die andere Variante ist, etwas zu sehen und zu sagen: „Das kann ich nicht.” Das ist mir neu. Das schafft, glaube ich, viel, viel mehr, eben aus den gerade genannten Gründen.
Tatsächlich ist es so, dass in sehr vielen Fällen diejenigen, die auf der Bühne stehen, aus dem Volk sind, auch so wahrgenommen werden und genauso Narzissten sind, aber mit einer anderen Masche, die für mich, wenn ich sie sehe, immer etwas von Betrug hat. Sie funktioniert aber, teilweise wie die Sau. Deswegen ist Narzissmus ein bisschen eine conditio sine qua non. Auch jene, die nicht so wirken, haben sie. Narzisst und Künstler ist eben kein getrennter Begriff, in gewisser Weise sind wir da ähnlich wie vorhin mit der Sprachverliebtheit. Es gehört also eigentlich zu den Qualifikationen, egal in welcher Qualität. Anders wäre es auch furchtbar. Man stelle sich vor, jemand würde in das Programmheft reinschreiben: Also wenn’s für alle ok ist.

Lisa Eckhart: Das passiert oft genug. Es ist eben mehr ein narzisstisches Wir; das Ich wird völlig verleugnet. Es ermöglicht dem Publikum viel mehr dieses orgiastische Klassengefühl als Volk, getrennt von mir. 

Ihr seid sowohl als Autoren als auch als Kabarettisten tätig. Was bevorzugt ihr? Das Schreiben oder das Performen?

Lisa Eckhart: Ich sicher das Schreiben. Ich habe sowieso das Ziel, mich in fünf Jahren von der Bühne zurückzuziehen und nur noch zu Hause autistisch vor mich hinzuschreiben. Ich schätze das Gefühl auf der Bühne schon, aber es ist mir teilweise immer noch zu nah, es wird dann sehr schnell zu viel. Das Problem ist, wenn wir so viel unterwegs sind und in Zügen sitzen, holt es einen immer wieder so unangenehm auf die Erde. Es bringt einen immer wieder in solche Situationen, wo man sich als Mensch fühlt und nicht als Halbgott und das ist sehr unangenehm.
Ich glaube, dem kann ich entgehen, wenn ich irgendwann nur mehr im Dunkeln zu Hause sitze. Dann wird sich die Eckhart gegenüber den Medien nur mehr kryptisch äußern und nicht mehr diese unangenehm luziden Momente haben. Deswegen würde ich definitiv das isolierte Schreiben der Bühne vorziehen, so sehr ich sie mag. Aber das ist mein Problem und es tut mir immer sehr leid, wenn es missverstanden wird, wenn mir Misanthropie nachgesagt wird, was aber wahrscheinlich einfach nur das gängige Klischee ist, wenn man mit Pessimismus oder schwarzem Humor um sich wirft. Ich bin ein unfassbarer Philanthrop und deswegen halt ich mich von den Menschen eher fern, weil ich es nicht ertrage, wenn sie mich enttäuschen. Ich liebe sie aus der Distanz und da wirklich ohne jeglichen Zweifel an ihnen. Aber Philanthropie bedingt, glaub ich, dass man nichts mit Menschen zu tun hat, um sie aufrecht erhalten zu können. Das ist mir lieb und treu und ich wünsche mir, dass ich mir das erhalte.

Sven Kemmler: Das war sehr weise. Ich bin ja ein strammer 50:50. Es ist immer erst einmal geschrieben, aber das gesprochen Geschriebene ist natürlich ein anderes Wort. Das liegt aber auch daran, dass ich meinem Schreiben noch zu sehr misstraue.

Lisa Eckhart: Du misstraust dem Schreiben?

Sven Kemmler: Ja, mein Schreiben ist noch nicht gut genug, als dass ich mich ohne Herzinfarkt der Vorstellung nähren könnte, ausschließlich mein geschriebenes Wort nach außen dringen zu lassen. Es kann aber sein, dass es dazu kommt. Ich habe mal kurz tatsächlich ansatzweise politisches Kabarett gemacht. Aber das Gefühl, sich damit täglich beschäftigen zu müssen, würde mich allerdings innerhalb kürzester Zeit zu einem dauersaufenden, vergrämten Misanthropen machen, der alle hasst.

Lisa Eckhart: Also der klassische Kabarettist.

 

Nach der Aufführung: „Ist das noch Kabarett?“, erwische ich mich nach dem Auftritt, als ich wieder einmal zu viel hineininterpretiert habe. Doch eigentlich ist es bloß genau das, was es sein sollte. Die beiden Künstler bringen das Theater eben dorthin zurück, wo es hingehört. Und wir sind durch törichte Kultur zu verblendet, um dies zu erkennen.

That’s franz, right?

 

Fotos: Franziska Schrödinger

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