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November 22, 2018

Doppelt hält besser: Catrin Bolt enttarnt den Bunker

Maria Oberrauch

Man neigt dazu, vor dem eigenen Kapitel Geschichte die Augen zu schließen, ja, auch in Südtirol. Der Bunker 15 nahe der Autobahnausfahrt Bozen Süd repräsentiert in gewisser Weise unseren Umgang mit Geschichte: Er ist da, tausende Menschen fahren täglich an ihm vorbei, zum Teil darüber, aber er ist zugeschüttet, unzugänglich und wird von den allermeisten übersehen. Im Auftrag des Bunkerforum Kasematte und unter der Leitung von Kuratorin Victoria Dejaco konnte die Künstlern Catrin Bolt dafür gewonnen werden, den Bunker 15 aus dem Vergessen zu holen. Das tut sie eindrucksvoll, in drei Schritten. Seit einigen Wochen verhüllt ein aufgepinselter Camouflagemantel den Grashügel an der SS12, Via Enrico Mattei in Bozen.  Die in Wien lebende Bolt ist erfahren im Hinterfragen und Bespielen von öffentlichem Raum und thematisiert den menschlichen Hang zu selbstauferlegten Scheuklappen immer wieder in Installationen und Interventionen. Im Wiener zweiten Bezirk bin ich fast täglich über ihre Wortinstallation gelaufen, Worte kleben da am Boden, sie werden zu Sätzen, zu Erzählungen, die, wie man im Mitgehen erfährt, Berichte von NS-Verfolgten wiedergeben. Es sind Berichte von Jüdinnen und Juden, die durch genau dieses Stück Straße getrieben wurden und sie sind brutal in ihrer Direktheit. Die anfangs noch ganz hellen Buchstaben sind vom vielen Darüberlaufen schwarz geworden und man muss sich heute fast hinunterbeugen, um zu ihnen zu gelangen. Tut man das und folgt der Route bis zum Schluss haben die Worte auch nach wiederholtem Mitgang nichts von ihrer nackten Kraft eingebüßt.

Catrin Bolt – Wien

Liest du mit, wenn du in Wien oder Graz entlang eines deiner Lauftext-Mahnmale gehst?

Obwohl ich die Texte noch immer auswendig kann, lese ich mit, wenn ich zufällig entlang gehe, und überlege, was man daraus versteht, wenn man nur diesen oder jenen Teil liest.

Manchmal ist er Hauptakteur, manchmal Nebenrolle, nie nur Kulisse. Was macht den öffentlichen Raum so interessant für deine künstlerischen Interventionen?

Es gibt mir die Möglichkeit, Kunst zu machen, die so tut, als wäre sie keine. Dadurch kommt es zu Verwechslungen und Absurditäten, die den gewohnten Alltag kippen lassen.

Deine Arbeit ist durchzogen von der Forderung nach Selbstreflexion und einer aktiveren Haltung des/der Betrachtenden. Ist Ironie der Schlüssel? Was kann Humor mit der Kunst?

Humor bedeutet, das Bild von sich selbst kurz los lassen zu können oder von Außen zu betrachten. Meistens sind wir ziemlich in unserem eigenen Denken dessen gefangen, was wichtig ist und was nicht und wie etwas sein soll, und es gibt wenig Momente oder Zeit, sich selbst und die Gesellschaft von Außen zu betrachten. Ich finde es wichtig und versuche die gewohnten Prioritäten und Selbstverständlichkeiten ein bisschen scheitern zu lassen.

Tarnrasen_Bolt_Camouflage

„Gras darüber wachsen lassen“, bei Bunker 15 nicht nur Metapher, sondern wahr gewordenes Sprichwort. Wie bist du an das Projekt in Bozen herangegangen?

Als Nicht-Südtirolerin habe ich versucht vor allem über die Bunker an sich nachzudenken, deren Systematik in der Bauweise und Verteilung in der Landschaft. Es hat mich schon auch beschäftigt, warum dieses Erbe so ungern angesprochen und bearbeitet wird und welche Diskussionen damit zusammenhängen.
Mir kam das Prinzip der Camouflage, das den Bunkern ja schon in der Bauweise eingeschrieben ist, sehr entgegen. Die Bunker sind versteckt in der Landschaft und gehen in diese über, nehmen Teile davon auf – im Einsatzfall wären sie als Bauernhäuser oder Scheunen getarnt gewesen. Dieses Übernehmen eines Alltags in die Absurdität eines Kriegseinsatzes fand ich interessant, da es ja von der Vorgehensweise her auch etwas Kreatives hat. Das macht nachdenklich. Genau so skurril ist es auch, wenn Gras sich dann wieder tarnt, in diesem Fall mit der Fleckerl-Camouflage. Mit dieser Camouflage mimt man ja quasi die eigene Natur und Umgebung, man bekleidet sich damit und wird Teil davon. Das hat viel Identitätsstiftendes und mit Verwurzelung zu tun, und es hat auch viel Ausschließendes, da es ja eine mit einem geografischen Ursprung begründete Identitätsbildung ist. Gleichzeitig gibt es den militärischen Hintergrund von Camouflage-Kleidung, die ja 1939 im faschistischen Italien erstmals so produziert wurde. Damit kommt ein Aspekt von Verteidigung mit, die Veräußerung, dass diese Identität in Bedrohung ist und man bereit ist, dafür zu kämpfen. Diese inhaltlich stark aufgeladenen Stoffmuster, die auch in der Mode viel verwendet werden, wollte ich gern zu einer Skulptur oder eher einem Monument machen, das Absurde kommt auch mit der Größe. Es soll in erster Linie Aufmerksamkeit erregen, eine Tarnung, die etwas Verstecktes sichtbar macht, aber auch ein Monument über unsere Gesellschaft sein, die weg von Solidarität immer mehr in Richtung Ausschluss geht.

Der Bunker wird neu kontextualisiert, indem du ihn in verschiedene gängige Muster und graphische Techniken des Versteckens legst: Vor der Camouflage hast du ihn „gedazzelt“ [das englische Wort "dazzle" bedeutet "blenden" oder "verwirren"] und wirst ihn in einem dritten Schritt verpixeln …

Pixeln passiert entweder, wenn man zu nahe irgendwo hinein zoomt (also irgendwo zu genau hinblickt) oder es wird für Details bei Fotos und Videos von Nachrichten benützt, die man nicht sehen soll.Also quasi eine Zensur, es geht die eigentliche Information die das Bild vermittelt, verloren, was transportiert wird ist sowas wie Authentizität oder ein Gefühl des Nahe-Dabei-Seins. 

 Tarnrasen_Bolt_dazzle_2

Schauen wir prinzipiell mehr zu als hin?

Wenn es geht, ja. Es ist einfacher, und es gibt scheinbar die Einstellung, dass Diskussionen mit unterschiedlichen Meinungen mehr entzweien als verbinden. Jedenfalls bestätigt man sich lieber mit Gleichgesinnten, anstatt zu versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Fast so als hätte man Angst davor, sich durch das Einlassen auf andere Ansichten, vom eigenen Weltbild abzurücken. Das ist schlecht, denn so werden Ideologien und Wertevorstellungen immer mehr zu Hindernissen und nicht zur Basis für eine Auseinandersetzung mit politischen Situationen, denen sich niemand entziehen kann.

Was kann Landart wie diese, wenn sie endlich einmal nicht romantisiert werden kann? (Oder doch?)

Ich möchte keine Zeigefinger-Kunst machen und sagen, was richtig wäre zu denken. Ich möchte aber sehr wohl Dinge in Diskussion bringen. Dafür ist es der richtige Ort, denn ganz viele Leute, die in der Umgebung wohnen, kommen genau dort vorbei, und die Arbeit gibt keine eindeutige Lesart. So kann man es nicht damit abtun, dagegen oder dafür zu sein, sondern man fragt sich, was es soll.

Ist Langlebigkeit ein Ziel?

Es war bei der letzten Gestaltung schön zu sehen, dass sie lange hält und auch langsam überwachsen und vom Gras zurück geholt wird. Diesmal hat es beim Aufbauen in Unmengen geregnet und nun sieht die Installation aus wie ein verschlissener Militäranzug. Das finde ich auch witzig. Im öffentlichen Raum entwickeln sich die Arbeiten immer unberechenbar und das ist Teil davon.

Du bist mit künstlerischen Interventionen viel unterwegs. Wohin fährt dein nächster Zug?

Ich biete über willhaben.at kostenlos einen Zaun um ein privates Grundstück an. Dieser sieht allerdings so aus wie der EU-Grenzzaun an manchen Stellen, d. h. er ist 6 m hoch, mit Stacheldraht oben und Y-Trägern. Dabei geht es mir auch viel um Diskussion, schon bei der Umsetzung wird es sehr diskursiv werden, da alle NachbarInnen einverstanden sein müssen. Zum Beispiel hat mir gerade heute die Zaun-Firma, bei der ich wegen der Kosten angefragt habe, abgesagt, da es ihnen zu politisch ist. Es soll ein recht kleiner Garten sein, damit der Zaun skulpturaler wirkt. Ich finde es gut, sichtbar zu machen, was wir an unseren Grenzen aufstellen, es geht aber auch wieder um das Absurde dabei, und um Privates und Öffentliches usw.

Tarnrasen_Bolt_Fleckerlcamouflage_1

Tarnrasen_Bolt_dazzle

Verschickst du deine Postkarten?

Nein, ich habe ganz viele schöne andere Postkarten. Ich mag solche ungefragte Eigenwerbung nicht.

Wo kann man in nächster Zeit deine Arbeiten sehen?

Nächstes Jahr in der Kulturdrogerie in Wien zum Beispiel!

 

Fotos: Catrin Bolt, analog; Foto 2: Kunigunde Weissenegger/franzmagazine

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