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October 24, 2018

Der seltsame Fall der “Moving Sculpture”

Florian Rabatscher

Die Skulpturen in Bozen haben eine neue Konkurrenz bekommen. Diesen geheimnisvollen, verrückten und wandelbaren Kollegen, der sich vor dem Museion postiert hat. Ein Mann aus Marmor und trotzdem wandlungsfähig wie ein Chamäleon. Wer in letzter Zeit am Museion vorbeikam, hat ihn sicher bemerkt, diesen launenhaften Typen. Launenhaft? Dieser Haufen Stein? Ja, wirklich. Denn, so oft wie sich dieser Brocken verändert, grenzt schon an Magie. Jetzt wird man sich natürlich fragen: Wie funktioniert das also? Na ja, ganz einfach eigentlich. Ein Verrückter Künstler aus Israel, namens Zohar Gotesman, steckt dahinter. Das Wort “dahinter” trifft es zudem auch noch vortrefflich. Zohar ist nämlich wie Batman. Nachts, wenn alle in ihren Bettchen liegen, taucht er auf und verändert seine Skulptur. Wie ein Schatten oder ein Graffiti-Künstler, der heimlich einen Zug-Wagon besprüht, verrichtet er sein Handwerk. “The Dream of the Moving Sculpture” nennt sich das Ganze, doch wie kommt man überhaupt auf so eine Idee?zohar1

Zohar studierte Kunst und Design in Jerusalem. Nicht nur das, zudem besitzt er auch noch einen Abschluss in Archäologie. Ein Themengebiet, das ihn auch heute noch brennend interessiert. Deshalb ist es nicht so abwegig, dass sein Schwerpunkt auf Skulpturen liegt. Doch sind seine Skulpturen alles andere als klassisch. Ok, vielleicht die Materialien und die Technik, die er anwendet. Doch seine Konzepte sind total irrsinnig, nichts Bescheuertes oder Sinnloses. Oh nein, sie provozieren, wecken euch den Arsch auf und schaffen sogar irgendwie eine Interaktion zwischen Mensch und Skulptur. Es steckt so viel Liebe dahinter, dass seine Skulpturen fast schon zum Leben erwachen. Der verdammte Geppetto aus “Pinocchio” unter den Steinbildhauern also. In Tel Aviv wurde die Öffentlichkeit schon öfters Zeuge seiner einzigartigen Kreationen, doch bei uns hier ist es fast eine Premiere. Obwohl er schon des Öfteren hier war. Man kann fast schon sagen, dass er dieses Land sogar regelmäßig besucht. Her gelockt wurde er von zwei Frauen. (Aber nicht so wie ihr jetzt wahrscheinlich denkt. Nein, gütiger Gott.) Beide sind in der hiesigen Kunstszene tätig. Zum einen Julia Frank (Künstlerin und Gründerin von GAP Glurns Art Point), die er in Carrara kennen gelernt hat. Und auch Kathrin Oberrauch (Kuratorin), der er in Israel begegnet ist.

“The Dream of the Moving Sculpture” fertigte er im Rahmen des Ausstellungsprojektes “1+1=3“ (GAP im Museion, kuratiert von Elisa Barison und Davide Bevilacqua) an, da er in den Jahren zuvor, wie auch die anderen KünstlerInnen dieser Ausstellung, eine Residenz im GAP in Glurns absolviert hatte. Kuratiert wurde sein “Side Project” von Kathrin Oberrauch. Ziemlich verwirrend, ich weiß … Deswegen will ich euch auch gar nicht weiter mit den Gründen, warum er genau in Südtirol ist, langweilen. Kommen wir zurück zur eigentlichen Frage: Wie kam er also auf die Idee?

Zohar Gotesman reiste schon Monate vor der Erstellung und Installation der Skulptur (Ende August 2018) nach Südtirol und machte unzählige Fotos von anderen verschiedenen Skulpturen, die er hier vorfand. So holte er sich seine Inspiration. Die Grundidee jedoch, so komisch es auch klingen mag, war dann einfach eine langweilige und extrem konventionelle Skulptur anzufertigen: Er schloss die Augen und stellte sich den banalsten Typen vor, den man in dieser Stadt platzieren könnte. Einen reichen, weißen und gebildeten Mann. Der Vorzeigespießer schlechthin. Vielleicht dachten einige, es wäre irgendein Geldgeber des Museion, dem man hier ein Denkmal gesetzt hatte. Doch das, sollte sich dann schlagartig ändern …zohar3

Die Figur begann wahrlich ein Eigenleben zu entwickeln und nach etlichen kosmetischen Veränderungen sah sie eher aus wie ein Paradiesvogel. Und: Während ihrer Metamorphose passierten mysteriöse Dinge. Dinge, die ihr wahrscheinlich nicht glauben werdet. Man könnte glatt eine “Twilight Zone“-Folge daraus machen: 
… Wir befinden uns in der fünften Dimension, jenseits der menschlichen Erfahrung. Das Zwischenreich, wo Licht in Schatten übergeht und Wissenschaft auf Aberglaube trifft … Die erste Interaktion von Skulptur und Gesellschaft begann damit, dass ihr jemand den Finger abbrach. Wahrscheinlich ein Unfall, da der Finger hinten gelassen wurde. Also klebte Zohar ihn wieder an. Doch schon am nächsten Tag war er wieder weg! Was zum Teufel? In Luft aufgelöst? Gestohlen? Die wildesten Spekulationen wurden aufgestellt. Eine Theorie war, dass es sich um einen Fluch, “wie bei Ötzi”, handeln musste. Denn Zohar verletzte sich genau denselben Finger wie seine Statue. Unheimlich.
Elisa Barison (Kuratorin von “1+1=3″) verletzte sich am selben Auge wie die Skulptur; und jetzt kommt‘s noch dicker:  Eines Nachts schlug jemand, wahrscheinlich mit einem Hammer, auf die Skulptur ein. Da passierte es wieder: Zohar verletzte sich, beim Biken, genau an derselben Körperstelle. Unglaublich. Zum Glück fiel der Skulptur nie der Kopf ab, wer weiß, was dann passiert wäre. Ein paar Tage nach dem Fingerunfall befestigte er stattdessen einen Holzfinger samt Bandage. Dazu wurde der Figur auch noch, mit wirklich starkem Kleber, eine Maske aufgesetzt. Eine Art Stammesmaske, angelehnt an ein Volk aus Israel, das ungefähr zur selben Zeit wie Ötzi gelebt hat. Ja, Ötzi hat es Zohar wirklich angetan.

Verwendet wurden übrigens nur Rohstoffe aus der Gegend: vom Zirbelholz der Maske bis zum Marmor der Skulptur. Jedenfalls, verschwand die Maske plötzlich. Naja, drauf geschissen, dachte sich Zohar Gotesman. Er setzte ihr stattdessen einfach eine braune Papiertüte mit aufgemaltem Smiley auf den Kopf. Wie ihr euch sicher denken könnt, verschwand auch die Tüte. Doch war es dieses Mal kein Akt von Vandalismus, sondern genau das Gegenteil: Ein alter Mann mit Hund nahm wahrscheinlich an, dass jemand die Skulptur mit dieser Papiertüte verunstaltet hätte und warf sie in den nächsten Müll. Auch am nächsten Tag entfernte jemand die Bandage am Holzfinger. Interessant, nicht wahr? Solche Reaktionen auf sein Werk hatte sich der Künstler nicht erwartet. Diese Intervention samt Zerstörung – ziemlich Punk.

Doch was war es schlussendlich? Ein politisches oder soziales Statement? Nennen wir es ein soziales Experiment: Setz eine Statue in eine Stadt – und macht, was ihr wollt damit. – Eine Interaktion nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Geistern. Vermutet wird auch, dass der Geist von Ötzi nachts die Skulptur verunstaltete, da er eifersüchtig auf den neuen Star in Bozen war.  Eine gute Idee für einen Film übrigens: “Zombie-Ötzi visits the Museion”.zohar4

Alles wurde schließlich besser, als die Skulptur sich zehn Meter weiter nach links bewegte und vor einer Kamera zu stehen kam. Sie bekam eine neue Maske, verrückte Cartoon-Arme, eine “Privat Privato”-Aufschrift und einen Eselskopf im Schritt. Ja genau, im Schritt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurde Zohars Skulptur nur angegriffen, was ihn in seiner Arbeit natürlich aufhielt, da er fast nur am Reparieren war. Komisch, wenn man bedenkt, dass sie doch nichts und niemanden darstellt. Bei anderen Skulpturen passiert so etwas doch auch nicht? Denkt doch bloß an Rom, mit seinen Unmengen an Skulpturen von irgendwelchen Imperatoren. Schön anzusehen, vielleicht noch ein Selfie vor der einen Statue? Und niemand nimmt es wahr, das unsichtbare Blut, das an ihnen klebt. Gäbe es eine Statue von Adolf Hitler, würden die Leute in tausend Jahren wahrscheinlich auch Selfies davor schießen. Total beknackt, wenn ihr mich fragt. Warum hat also Zohars Skulptur so eine Welle an Reaktionen und Spekulationen ausgelöst? Eine Frage, auf die er selbst keine Antwort weiß. Dieses Interesse, oder nennen wir es Aufregung, gegenüber seinem Werk war nichts desto trotz eine Riesenehre für ihn. Denn irgend etwas hat es ausgelöst in den Menschen. Dass sich in einer solch kurzen Zeit so viele Ereignisse rund um diesen völlig Unbekannten ereigneten, spricht für sich … irgendwie ein Spiegel für unsere Gesellschaft, die Angst oder die Ablehnung gegenüber dem Fremden. Man könnte jetzt alle möglichen Vergleiche, zum Beispiel mit der Flüchtlingsthematik, ziehen. Genau das dachte auch Zohar und schenkte der Skulptur einen neuen Kopf.

Der banale, reiche und weiße Durchschnittsspießer verwandelte sich in sein komplettes Gegenteil. Nun ziert ein schwarzer Kopf mit afrikanischen Gesichtszügen und Dreadlocks den Körper der Statue. Mitten in Babylon, für viele sicher unvorstellbar. Aber warum auch nicht? So schnelllebig wie unsere Gesellschaft, ist auch unser Kollege hier. Nennen wir ihn deshalb einen Trendsetter, im soziologischen Sinn natürlich.  Das Experiment geht weiter, wie werden die Leute darauf reagieren? Oder ist es jetzt doch ein Statement? Sagen wir einfach, ein neuer mysteriöser Gast ist in der Stadt. Ach, was rede ich, ein neuer Einwohner oder fast schon ein Star. Dieser sympathische Herr zieht mehr Aufsehen auf sich, als mancher Politiker im Wahlkampf. Wie das? Naja, er steht einfach nur rum.Zohar6

Fotos: Eau & Gaz/Camilla Angolini

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