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October 22, 2018

“Und plötzlich flossen Gedichte aus mir heraus”: Lorena Pircher

Verena Spechtenhauser

Bei unserer ständigen Suche nach interessanten Neuerscheinungen im heimischen Literaturbetrieb sind wir auf die Gedichte der Schlanderser Lyrikerin Lorena Pircher aufmerksam geworden. Pircher, Jahrgang 1994, lebt, schreibt und studiert in Wien und hat gerade ihren ersten Gedichtband “Irrende Welten”  im Brixner Provinz Verlag veröffentlicht. Wie es überhaupt dazu kam, wann die Sache mit dem Schreiben eigentlich angefangen hat und mit welchem ihrer Prosagedichte sie gerne eine Lesung eröffnet, hat sie franz im Interview verraten.

Wie fühlt es sich an, sein erstes eigenes Buch in der Hand zu halten?

Für mich fühlt es sich im Moment sehr irreal an, ich schaue oft durch mein Zimmer und erschrecke mich jedes Mal, wenn ich mein Buch sehe. Ich freue mich aber auch ungemein und fühle mich zurzeit sehr befreit; es ist, als hätte ich in irgendeiner Weise ein Hindernis überwunden, wobei ich für lange Zeit nicht wusste, was genau dies wohl sein könnte. Ich bin gleichzeitig überglücklich, aber auch etwas unsicher, weil mit dem Erscheinen des Buches nun natürlich auch Kritik am Werk geübt werden kann. 

Und wonach riecht es für dich?

Für mich riecht es nach Freiheit und einem wahr gewordenen Traum, nach einer Mischung aus Herbstwind und Meerwasser. 

Kannst du uns kurz erzählen wie es zu dem Buchprojekt kam? Seit wann spukte die Idee in deinem Kopf herum, oder war alles eigentlich ganz anders?

Ich hatte ursprünglich nicht den Plan, diese Gedichte zu veröffentlichen. Ich hatte zwar schon seit meiner Kindheit den Traum, irgendwann einmal ein Buch zu publizieren, jedoch hätte ich niemals damit gerechnet, dass dies wirklich jemals geschehen würde. Vor ziemlich genau zwei Jahren, während meines Erasmus-Aufenthalts in Besançon, habe ich damit begonnen, meine Gedanken und Gefühle niederzuschreiben. Ich setzte mich an den Schreibtisch und plötzlich flossen Gedichte aus mir heraus, als hätten sich die Worte und Buchstaben schon seit langer Zeit dort angestaut. 

Daraufhin habe ich Johannes Fragner-Unterpertinger (Hans Perting), dessen Werke ich sehr schätze, gebeten, sich meine Gedichte anzusehen und mir seine Meinung und Verbesserungsvorschläge zu meinen Texten mitzuteilen. Johannes hat daraufhin Bruno Klammer vom Provinz Verlag kontaktiert und ihm einige meiner Gedichte übermittelt. Nach einigen gemeinsamen inspirierenden Treffen mit Herrn Klammer und vielen Gesprächen mit Johannes und meiner Freundin und Illustratorin Elisabeth, in der wir die Auswahl der Texte und das Layout des Buches planten, entstand dann das endgültige Gedichtbüchlein. 

Worum geht es in deinen Texten?

Meine Texte sind kurze Prosagedichte, die Momentaufnahmen oder temporären Gefühlen ähneln und eine persönliche Entwicklung nachzeichnen: Der Suche nach einem Platz in dieser Gesellschaft oder eben genau nach keinem, den in sich tobenden Konflikt, sich selbst zu verwirklichen und sowohl sich selbst als auch das Leben an sich zu finden. Die Gedichte sind stark intertextuell geprägt, sie bedienen sich sehr häufig bildhafter Sprache und Metaphern und zeigen auf eine indirekte Weise eine dreifache Begegnung auf: Einerseits zwischen dem Individuum und der Natur, des Weiteren zwischen den verschiedenen Welten innerhalb eines Menschen und andererseits zwischen den aufeinanderprallenden Innen- und Außenwelten des Individuums und der Gesellschaft. Die Gedichte versuchen in gewisser Weise Verantwortung zu übernehmen und eine Dekonstruktion des Selbst vorzunehmen. 

Lorena Pircher

Und warum Prosagedichte? Worin liegt der Reiz?

Ich glaube, ich habe mich nicht bewusst für die Prosaform der Gedichte entschieden; es fühlte sich für mich natürlicher an, kein Reimschema einhalten zu müssen, obwohl ich diese Form der Lyrik natürlich auch sehr schätze. Ich mag die Freiheit, die Prosagedichte beinhalten, das Gefühl, von einem gewissen Wort, welches mit mir in einem bestimmten Moment verharrt, ausgehen zu können und das Gedicht weiterzuspinnen, ohne zu wissen, in welche Richtung es sich schlussendlich entwickeln wird. 

Dein Buch enthält auch Illustrationen … kannst du uns mehr dazu erzählen?

Sehr gerne! Die Illustrationen hat meine gute Freundin Elisabeth Öggl geschaffen, die Druckgraphik an der Angewandten in Wien studiert. Sie kreiert wunderschöne Werke; Monotypien, Hochdrucke und Radierungen. Wir haben die Illustrationen, drei eher abstrakt gehaltene Monotypien, gemeinsam ausgesucht; ich habe die Zusammenarbeit mit Elisabeth sehr genossen. Im Moment arbeiten wir an neuen gemeinsamen Projekten, wobei wir Illustrationen und Gedichte kombinieren und versuchen, darzustellen, wie eine Kunstform aus der anderen heraus geboren wird und Text und Bild miteinander interagieren.

Schreibst du schon immer?

In gewisser Weise schon; ich habe während der Volksschulzeit auf dem Computer im alten Arbeitszimmer meines Opas immer kurze Abenteuergeschichten geschrieben, in denen unbedingt Pferde vertreten sein mussten. In den darauffolgenden Jahren habe ich viele Kurzgeschichten verfasst. Während des Besuchs der Oberschule habe ich schließlich das Genre des Essays für mich entdeckt, welches ich bis heute noch sehr gerne verfasse. Das Schreiben von Lyrik, vor allem die aktuelle Form meiner Prosagedichte, entwickelte sich bei mir erst vor ungefähr zwei Jahren. Nun schreibe ich ständig Gedichte, jetzt sogar auch ohne Pferde als Protagonisten.

Mit welchem Gedicht würdest du eine spontane Lesung eröffnen und warum ?

Ich habe meine erste Lesung, welche ich im Ost West Club in Meran machen durfte, mit dem Gedicht „Früher“ eröffnet. Durch einen bewussten Bruch in der Mitte des Gedichtes habe ich den ersten und, am Schluss der Lesung, den zweiten Teil des Textes als Anfangs- und Endpunkt der Lesung inszeniert, da dieses Gedicht in prägnanter Weise eine schwierige persönliche Entwicklung und die langsame Annäherung an ein neues, gewandeltes Selbst darstellt: 

Früher
habe ich brockiges Glück
hastig gelöffelt
unverdaute Freude
durch meine Kehle rinnen lassen
mit wurmiger Gewissheit
meine Lippen benetzt
habe meine Augen
in glänzendem Schein gebadet
und meine Sätze
im Sinnvakuum verhallen lassen

Jetzt
möchte ich jedes Wort
auch so meinen
mir jeden Fetzen lumpiger Zufriedenheit
an meinen Schattenkörper heften
mir sich gehäutete Traurigkeit
auf die Stirn schreiben
meine schwirrenden Gedanken
in Stein meißeln
und mein flatterndes Sein
in fruchtbarer Erde verankern 

Lieber Backlist oder Neuerscheinungen? Lieber gedruckt oder digital? Und was liegt gerade auf deinem SUB?

Ich schätze Backlist-Bücher und Neuerscheinungen gleichermaßen, ich versuche zurzeit alle Werke von Hermann Hesse und Paul Verlaine zu lesen, aber auch vor allem Neuerscheinungen von afrikanischen Autorinnen wie NoViolet Bulawayo und Taiye Selasi zu verfolgen. Generell bevorzuge ich gedruckte Bücher, die ich in den Händen halten und deren Seiten ich wirklich spüren kann. Außerdem habe ich auch den großen Traum, einmal eine eigene Bibliothek mit Büchern in den unterschiedlichsten Sprachen zu haben. 
Auf meinem Stapel ungelesener Bücher befindet sich gerade On the Postcolonyvon Achille Mbembe, Song for Night von Chris Abani, (das ich zwar schon einmal gelesen habe, aber unbedingt erneut lesen möchte) und die Kurzgeschichtensammlung New Stars on the Curfew von Ben Okri, sowie Les Matineaux von René Char, weil ich Le nu perdu von ihm so sehr geliebt habe.

Ein paar abschließende Worte an franz …

Ich möchte mich ganz herzlich für die tolle Möglichkeit, die ihr mir hier geboten habt, bedanken und möchte euch meine Bewunderung für eure Motivation und Freude in der Förderung von jungen Menschen aussprechen! Bitte macht immer weiter so, ich finde euer Format genial und freue mich schon auf jede weitere Ausgabe! Danke franz! ; )  

Foto: Lorena Pircher

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