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September 27, 2018

Die Berufsladinerin: Ein Besuch in Rut Bernardis Dachgeschoss

Eva Rottensteiner

Es gibt eine Sprache in unserer Region, die südtiroler-mensch manchmal vergisst. Oder verdrängt. Vielleicht sogar ignoriert? Rut Bernardi, Schriftstellerin, Übersetzerin und Berufsladinerin, hat da so ihre Theorien. Die gebürtige Grödnerin zählt zu den wichtigsten SchriftstellerInnen des Ladinischen. Ob gedruckt oder geschrieben, in Prosa oder Lyrik, im Radio oder am ProfessorInnenpult, sie arbeitet stets an und mit der ladinischen Sprache. Die Bandbreite ihrer Arbeit ist groß: von Übersetzungen über Essays und Wörterbücher bis hin zu Radiohörspielen und Sonetten ist alles, aber wirklich alles, zu finden. Bei Rut Bernardi geht es ums Anders sein, Außenseiter-Sein und um „weniger verbreitete Sprachen“, wie sie mir erklärt (Ausdrücke wie „kleine Sprachen“ oder „Minderheiten“ mag sie nämlich nicht). Am Samstag 29.10.2018 ist sie bei der dritten Literaturmatinee 1/2 Mittag in der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann, organisiert vom SAAV (Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung) zu Gast und hat einige Sprachspiele im Gepäck.
Doch was steckt hinter dieser Frau und warum liegt ihr das Ladinische so am Herzen? Diese Fragen haben mich bis in Rut Bernardis Dachgeschoss in ihrem Haus in Klausen geführt, wo sie an der Sprache feilt und knetet. Schon auf den Balkonen wird Petrarca und Montaigne auf Ladinisch zitiert …

Rut Bernardi (1)Du wurdest fast zur professionellen Skifahrerin … Wie dann plötzlich Literatur?

Nun, als Grödnerin ist man eben im Skiclub. Ich bin neben dem Lift aufgewachsen und nach der Schule hat man noch drei-vier Abfahrten gemacht. Irgendwann habe ich es bis in die Nationalmannschaft geschafft, aber weil ich nicht innerhalb von zwei Jahren unter den ersten Hundert war, wurde ich sozusagen hinausgeworfen. Mit 20 bin ich also schon nicht mehr professionell Ski gefahren. Und die Literatur hat mich schon in der Oberschule fasziniert, als wir im Deutschunterricht Max Frisch und Gottfried Keller durchgenommen haben. Außerdem haben mir bereits meine GrundschullehrerInnen eine blühende Fantasie nachgesagt. Ich wollte dann eigentlich Germanistik studieren, doch im Vergleich zu meinen österreichischen KlassenkollegInnen hatte ich totale Schwierigkeiten in Deutsch. Ich habe mir das nicht zugetraut, deshalb habe ich eben Romanistik studiert. Literatur ist schließlich Literatur.

Und wie hast du angefangen zu schreiben?

Oh, das hat sehr lange gedauert. Ich dachte immer „ich kann’s nicht, bei mir geht’s nicht“. Klar, als Ladinerin ist man bei den Deutschen die „Katzlmocherin“ und bei den Italienern die „Crucca“, das nagt am Selbstbewusstsein. Doch als ich mit 25 in der Schweiz in Graubünden gearbeitet habe, wurde dort ein Schreibseminar veranstaltet und ich habe nachgefragt, ob nicht vielleicht eine Ladinerin dort auch teilnehmen dürfte. Die waren hellauf begeistert, weil sie die Unterschiede zwischen meinen und ihren Idiomen interessierten. Da habe ich dann meine ersten ladinischen Gedichte geschrieben.

Was bedeutet Sprache für dich ?

Mehr als sie zugibt. Ich habe erst sehr spät auf Ladinisch geschrieben. Obwohl meine Eltern Doc-Ladiner sind, haben sie mit uns Kindern zuhause immer Deutsch gesprochen, weil man in den 60ern glaubte, dass die Kinder sonst nicht aus dem Tal hinaus kommen. Also haben meine Schwester und ich immer Deutsch miteinander gesprochen, aber das fühlte sich unnatürlich an. Ich habe oft versucht, auf Deutsch zu übersetzen oder zu schreiben, aber das Ladinische holt mich immer wieder ein. Ich glaube, es ist einfach doch meine Muttersprache. Damit kann ich gut spielen und für Lesungen, wie diese in Bozen, funktionieren Sprachspiele immer recht gut. Wenn das Publikum schon nicht den Inhalt versteht, dann zumindest den Klang. [lacht]

Rut Bernardi (3)

Gibt es im Ladinischen sogar eine Jugendsprache?

Ja, die gibt es! Einige AutorInnen haben ganze Jugendromane verfasst. Natürlich kennt man das in Südtirol nicht, so wie alles Ladinische. Beispielsweise „Eva dorme“ von Francesca Melandri oder „Stillbach“ von Sabine Gruber gibt es auch in ladinischer Jugendsprache. Ivan Senoner hat einen Generationenroman über die Option mit Krimi-Elementen verfasst, aber ganz Südtirol kennt ihn nicht, weil er nicht übersetzt ist.

Was tut sich sonst in der ladinischen Literatur? Wir wissen ja alle nichts davon …

Die ladinische Literatur hat in den letzten 30-40 Jahren qualitativ so aufgeholt, dass sie sich mit der regionalen durchaus messen könnte. Das Problem ist allerdings, dass sie für Nicht-Ladiner einfach nicht zugänglich ist, denn es gibt nur sehr wenige Übersetzungen. Ich glaube, dass die SüdtirolerInnen einiges verlieren, indem sie die ladinische Literatur ignorieren und die italienische ausschließen.

Die Frage, warum dir diese Sprache so wichtig ist, erübrigt sich dann wahrscheinlich oder?

Gegenfrage: Hat man einen deutschen Schriftsteller je gefragt, ob ihm die deutsche Sprache wichtig ist? Bei Lesungen mit deutschsprachigen KollegInnen erhalten diese im Anschluss Fragen über ihre Texte und bei mir halten die Leute auf und fragen: „Wieviele Stunden Ladinisch haben Sie in der Schule?“ Da wundere ich mich schon manchmal, weil ich als Literatin dort bin und nicht als Botschafterin des Landes.

Rut Bernardi (2)

Du hast einen Roman geschrieben über ein Mädchen, das sich weigert zu reden. Erzähl mal, bist du das vielleicht?

Nein, das bin natürlich nicht ich. Es sind vielleicht Züge von mir drinnen, die Hauptperson besucht die Kunstschule in Gröden, denkt über den Kreislauf des Seins und Werdens nach und macht auch sonst Dinge, die ich auch machen wollte. Die Beta im Buch redet nicht und man vermutet, dass sie Mutismus hat (ähnlich wie Autismus, aber man spricht nicht). Doch sie kann eigentlich schon reden, will aber nicht. Man könnte sagen aus Protest gegen die Vielsprachigkeit. Letzten Endes bringt sie sich dann auch um, was aber eher positiv ausgelegt wird und im buddhistischen Sinne gemeint ist. Wenn bei meinen Geschichten Suizid vorkommt, dann immer als positiver Abschluss, als selbst entscheiden können und nicht fremdbestimmt sein, speziell bei Frauen. Bei der Beta findet dann ein Freund ihre Briefe und erzählt dazwischen ihre Geschichte.

Wie war es für dich in einer Sprache zu schreiben, die du nie geschrieben hast?

Ich hatte nur eine Stunde pro Woche Ladinisch und da haben wir fast nichts geschrieben, vielleicht ein paar Bergnamen gelernt. Nach der Matura wurde mir erst bewusst, dass ich meine Muttersprache nicht schreiben kann, das können auch nur die wenigsten Ladiner. Schließlich habe ich dann durch die Bücher von Frida Piazza, unserer bekanntesten ladinischen Schriftstellerin, das Schreiben geübt. Ich habe ihre Bücher gelesen und alle Wörter herausgeschrieben, die ich nicht kenne, und durch viel Üben und Fehler-Machen habe ich in 10–20 Jahren das Schreiben gelernt.

Gibt es Projekte, die du noch angehen möchtest?

Es gibt 1.000 Sachen, die man machen möchte. Ja, die gibt es.

Und die da wären?

Wir bräuchten mehr Prosa, einen 500-Seiten-Roman. Das bedeutet allerdings auch viel Arbeit.

Fotos: Eva Rottensteiner/franzmagazine

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