Music

September 3, 2018

Das personifizierte Bauchgefühl: Me + Marie

Florian Rabatscher

Kürzlich veröffentlichten Me + Marie ihr neues Album. „Double Purpose“ nennt sich dieses Baby und sollte eigentlich überall erhältlich sein. Da Sony hinter dem Vertrieb steckt, kann man es wahrscheinlich sogar auf dem Mars kaufen, wenn man will. An alle Antikommerz-Underground-Prediger, lasst euch davon nicht abschrecken. Eine 08/15-Pop-Platte ist es keinesfalls, obwohl die Songs an sich schon einen gewissen Hit-Charakter an den Tag legen. Aber dazu später noch. Lernen wir erst einmal die zwei Köpfe hinter diesem Projekt kennen. Ok, kennenlernen ist das falsche Wort, der erste bin ich sicherlich nicht, der über sie berichtet. Bei unserem Treffen merkt man leicht, dass sie einige Interviews hinter und vor sich haben, da sie sich ja gerade auf Promo-Tour befinden. Ihr Gesichtsausdruck sagt mir: „Nicht schon wieder einer von diesen hirnlosen Arschlöchern von Fragestellern.“ Womit sie nicht ganz Unrecht haben. Deswegen landet der Zettel mit meinen Fragen an sie, gleich im nächsten Müll. Ach Scheiße, was macht man jetzt also? Nicht viel, in eine Bar setzen, versuchen so professionell wie möglich zu wirken und sie mit psychologischen Tricks gesprächig zu machen. Was natürlich komplett schief läuft, alles, was mir einfällt, wäre sie abzufüllen. Naja, der einzige mit einem Bier in der Hand bin natürlich ich, der Rest trinkt Kaffee.
Irgendwie kam dann doch ein Gespräch zustande. Was für eine gesellige Runde, man könnte fast denken, wir wären eine Clique aus einer dieser bescheuerten amerikanischen Sitcoms. Übrigens sitzt noch jemand mit uns am Tisch, der sich als Kindermädchen der Band vorstellt und mystisch vor sich hin schweigt. Um das Eis zu brechen, die Standardfrage, was sie mir zu ihrem Namen erzählen könnten.me+marie2Nach gefühlten 100.000 beschissenen Namen,hätten sie sich für Me + Marie entschieden. Warum? Weil es irgendwie musikalisch klingt, leicht zu merken ist und dazu noch gut aussieht. Das Pluszeichen spielt die Musik, es drückt einfach viel mehr aus als ein schnödes „and“. Es ist wie bei den Namen, die verliebte Kinder in einen Baum ritzen. Ach, wie süß. Ob das irgendeinen Zusammenhang damit hat, dass die beiden auch im echten Leben ein Paar sind, wollen sie nicht bestätigen. Doch ich alter Romantiker glaube fest daran. Genug Süßholz geraspelt, zurück zum Wesentlichen. Beinahe hätte ich vergessen, ihre Namen zu nennen, anscheinend ein heikles Thema. Roland Scandella und Maria de Val. Zwei Namen, die man sich auf der Zunge zergehen lässt, zu schön, um wahr zu sein. Doch versichern mir die beiden, dass es keine Künstlernamen sind. Ok, “Scandella” gibt es sogar wirklich, einen Typen mit diesem Namen kenne ich sogar. Aber bei „de Val“ blieb ich skeptisch. Eine Internetrecherche offenbarte mir dann auch andere Namen, die ich jetzt aber nicht nennen werde. Scheiß drauf, genug jetzt von diesen unnötigen Informationen.

Noch unnötiger ist es die Musik des Albums mit Worten zu beschreiben. Auf Genres oder irgendwelche Vergleiche wird nicht viel Wert gelegt. Am besten reinhören und selbst urteilen, diese Musik spricht jeden individuell an. „Sad Song To Dance“ läuft schon mal in vielen Radiostationen in Dauerschleife und das völlig zu Recht. Er infiziert dich schnell, nistet sich in dein Ohr ein und lässt dich wie ein Bescheuerter dieses Lied vor dich hin summe, egal, was ich auch gerade mache – obwohl es bei mir eher wie ein Elch in der Brunftzeit klingt. Wie gesagt, die Musik spricht jeden individuell an. Insgesamt ist der Sound des Albums sehr abwechslungsreich: Melancholisch, bluesig, schön und zur gleichen Zeit dreckig, noch Fragen? Die dazugehörigen Lyrics erzählen nicht wirklich Geschichten, sie malen Bilder. Man sollte sie mehr als Poesie betrachten, anstatt Geschichten werden Gefühle zum Ausdruck gebracht. Genau diese intuitiven Eingebungen wurden beim Songwriting der neuen Lieder ernster genommen. Diese Wörter, die einem als erstes, während man die Melodie spielt, in den Kopf schießen. Keine Notizen, fast schon übersinnliche Eingebungen, die man später oft selbst nicht mehr versteht.

Zu einem Song auf dem Album haben Roland und Maria ein ganz besonderes Verhältnis, nämlich „Double Purpose“. Er begleitet die Band schon seit dem letzten Album und geht ihnen dermaßen auf den Sack. Dieser blöde Song, aber trotzdem ist er geil, sagen sie. Maria kam irgendwann mit diesem Riff und Roland fand es nicht gut. Was er aber gut fand, war die Gesangsmelodie. Normalerweise werden Songs, die ihnen nicht auf Anhieb gefallen, sofort verworfen. Aber nicht bei diesem. Oh nein, es gab unzählige Versionen und Namen für ihn. Sie spielten ihn sogar schon öfters live, aber er nervte sie einfach nur. Erst kurz bevor sie ins Studio gingen, schafften sie es, ihn zu Ende zu bringen. Was für eine Arbeit für einen Song. Dieses eine Lied hat somit den ganzen Weg bis hin zum Album mitbestimmt. Kein Wunder also, dass sie es auch noch nach ihm benannten. Das Lied selbst erzählt von jemandem, der etwas so verbissen beschützt und sich dadurch gleichzeitig ein eigenes Gefängnis aufbaut. Diese Zweideutigkeit die „Double Purpose“ beschreibt, war irgendwie der Schlüssel zum Album. Diese zwei Worte verliehen ihm noch den letzten Glanz.me+marie

„Double Purpose“ ist wahrlich ein Album und nicht einfach wahllos zusammengeworfene Ideen. Was jetzt nicht heißen soll, dass die Songs alle gleich klingen. Nein, sie klingen gut und sind eingängig, aber nicht Pop. Für sie ist es mittlerweile leicht, solche Lieder zu schreiben, die meisten blieben sogar so wie auf der Demo. Was nicht überheblich klingen soll, sie lieben eben Songs. Es gibt nichts Besseres als einen guten Pop-Song, sei es von ABBA oder Avicii, den Roland übrigens gerade ziemlich feiert. Also, scheiß aufs Genre, es braucht einfach einen guten Song mit einer geilen Hook und Basta. Es gibt ja nichts Langweiligeres, als ein Album zu kaufen und jeder Song klingt darauf gleich, meint Roland. Plattenfirmen knallen nur noch Singles raus, alles muss identisch klingen. Wunderbar, wenn es sich verkaufen lässt, aber die Musikvielfalt geht verloren. Willkommen in Babylon.

Me + Marie gehen ihren eigenen Weg, den Old-School-Way sozusagen. „Double Purpose“ gibt’s nämlich auch auf Vinyl. Genau wie sie es selbst gernhaben, denn auch Roland sagt: „Ich hör Platten, ich hab nicht mal Spotify. Fuck Spotify! Ich find das Scheiße, das ist der Tod für uns Musiker. Wovon sollen wir noch leben? Andererseits ist es schon cool und eine Chance mehr Leute zu erreichen.“
Zwei Seiten wiedermal, „Double Purpose“. Dieser Name passt einfach wie angegossen zur Band. Wenn man so darüber nachdenkt, spiegelt sich wirklich eine gewisse Ambivalenz in den verschiedensten Situationen wieder. Zum einen die Fülle an Bands, die man heutzutage antrifft. Schlecht ist die Masse an Konkurrenz mit hohem Niveau, aber wenn man jetzt aus der Masse hervorsticht, kann man wirklich sagen, dass es gut ist. Double Purpose. Leben sie von der Musik? Ja. Leben sie gut? Nein. Aber was soll schon „gut“ heißen? Geld war natürlich früher mehr da, aber glücklicher sind sie jetzt. Was braucht man mehr? Wir brauchen immer mehr, mehr, mehr … „Ich brauch keinen Ferrari. Klar will ich einen Ferrari, aber um glücklich zu sein? Nein,“ sagt Roland. Sie arbeiten viel und hart, aber trotzdem leben sie freier als vorher. Double Purpose. So, den Albumtitel habe ich jetzt oft genug erwähnt. Ich glaube, ihr habt es verstanden. Genug jetzt mit diesen Zweideutigkeiten, diese Band hat einfach das gewisse Etwas. Was man hört und sieht. Übliche Rock’n’Roll-Klischees erfüllen sie zwar nicht, aber ist nicht genau das schon wieder Rock’n’Roll? Für mich jedenfalls sind Me + Marie das personifizierte Bauchgefühl.

Fotos: Me + Marie 

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