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July 10, 2018

Der Moment, wo etwas Neues beginnt: Anette Freudenberger

Verena Spechtenhauser

Gerade passiert viel Neues in den Räumen der Galerie der Stadt Schwaz und da, wo Neues passiert, schauen wir gerne mal vorbei und stellen neugierige Fragen. So zum Beispiel an Anette Freudenberger, die dort als künstlerische Leiterin auf Cosima Rainer folgt. Kein unbeschriebenes Blatt ist sie, war sie doch schon unter anderem als Kuratorin am Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf und an der Wiener Secession tätig, hat für die Künstlerin Rosemarie Trockel gearbeitet und außerdem an der Akademie der bildenden Künste und der Universität für angewandte Kunst in Wien unterrichtet. Hier das Interview mit ihr über neue Aufgaben, interessante Wunschkooperationen und die aktuelle Ausstellung „Anti-Aging im Mittelalter Anti-âge au Moyen Âge“ der beiden Künstlerinnen Signe Rose und  Louise Sartor, welche noch bis 12. August 2018 zu sehen ist.

Du hast vor kurzem die Leitung der Galerie Stadt Schwaz übernommen. Was hat dich an dieser Herausforderung gereizt?

Es gibt in Schwaz eine ganze Reihe von Leuten, die absolut hinter der Galerie stehen, die zeitgenössische Kunst auf hohem, internationalen Niveau in ihrer Stadt sehen wollen. Ich war schon sehr oft dort, um mir etwas anzusehen. Die Künstler*innen fühlen sich an diesem Ort offensichtlich frei von institutionellen Sachzwängen, was an der speziellen kunstfreundlichen Atmosphäre in Schwaz liegen mag. In den Ausstellungen wird oft etwas weiter entwickelt, was anderswo vielleicht gar nicht entstanden wäre. Mich interessiert der Moment, wo etwas Neues beginnt, und die Galerie der Stadt Schwaz ist vor allem eine Plattform für die Vermittlung junger Kunst.

Anti-Aging im Mittelalter Anti-âge au Moyen Âge

Du startest mit der Ausstellung „Anti-Aging im Mittelalter Anti-âge au Moyen Âge“ in deine neue Tätigkeit: Der Titel klingt kurios und in meinen Ohren auch irgendwie anachronistisch. Kannst du uns kurz erklären, was uns bei eurer aktuellen Schau erwartet?

Der Titel handelt von der Nicht-Erfüllbarkeit von Erwartungen. Er bezieht sich auf die Einladungskarte, die eine kosmetische Gesichtsbehandlung mit Goldpartikeln zeigt. Wie wir alle wissen, lässt sich aber trotz allen Bemühens der Alterungsprozess nicht aufhalten. Das Scheitern an Ansprüchen wird so in die Ausstellung projiziert. Es geht auch darum, den Bezugsrahmen der Installation zu erweitern, nicht sie zu erklären. Für die Karte verwenden die Künstlerinnen einen Screen-Shot, also eine sehr zeitgemäße Bildform, während sie sich im Ausstellungsraum fast traditioneller Techniken bedienen. Im physischen Raum zeigen sie sehr fein ausgearbeitete Objekte und Bilder, die der Materialität der Dinge nachspüren. Im Netz sind sie aber ebenfalls unterwegs. Sie haben z. B. vor einigen Jahren Skype-Performances gemacht, was heute auch schon wieder anachronistisch anmutet. Im Titel wie in der Ausstellung werden also ganz unterschiedliche Zeitlichkeiten angesprochen. 

Was verbindet und was unterscheidet die beiden Künstlerinnen Louise Sartor und Signe Rose? Was charakterisiert sie und ihre Werke? 

Die beiden Künstlerinnen arbeiten mit verschiedenen Medien. Louise Sartor mit Malerei und Zeichnung, Signe Rose mit Skulptur. Es verbindet sie eine längere Freundschaft, die schon zu mehreren Kooperationen geführt hat. Sie betonen das auch in der Ausstellung in der Galerie der Stadt Schwaz: Es gibt Alternativen zum Einzelkämpfertum. Darüber hinaus verbindet sie eine gemeinsame Haltung. Sie feilen sehr präzise an einer visuellen Sprache, die offen ist und aufnahmefähig für das Poröse, Widersprüchliche und Fremde, und die voller Humor ist. Beide öffnen ihre Formen auf weitere Zusammenhänge. Beispielsweise taucht die feministische, französische Autorin Colette in einer Zeichnung von Sartor auf und die von der Decke hängenden beweglichen Skulpturen von Rose sind nach Figuren aus Volksmärchen und Kinderbüchern benannt, die alle etwas Anarchisches haben.LouiseSartor_Galerie Stadt Schwaz

 

Ihr arbeitet bestimmt schon am neuen Programm. In welche Richtung wird es gehen, was erwartet uns und worin grenzt es sich von den früheren Programmen ab?

Ich habe das Glück, dass das Programm noch bis Ende März 2019 von Cosima Rainer vorgeplant ist. Das gibt mir einen Spielraum, die Region genau kennenzulernen und die Ausstellungen und Veranstaltungen spezifischer mit diesem Kontext zu verbinden. Ich freue mich sehr auf die kommenden Projekte. Mit einigen Künstlern, mit Henning Bohl beispielsweise und Matthias Noggler, der aus Innsbruck kommt, habe ich sogar selbst schon zusammengearbeitet. Mein Programm wird an die Arbeit meiner Vorgänger*innen anknüpfen. Aber natürlich hat jede Kuratorin, jeder Kurator eine eigene Handschrift. Ich möchte die Vermittlung stärken und habe mit Nadja Ayoub da eine kompetente und engagierte Kollegin. Außerdem möchte ich mehr herausstellen, in welcher Form sich Kunst auf gesellschaftliche Fragen bezieht. Louise Sartor 3_Schwaz

Welches Publikum möchtest du gerne erreichen oder, anders gefragt, welches Publikum ist am Schwierigsten zu begeistern? 

Wenn man die Rolle der Kunst in der Gesellschaft stärkt, ohne sie dabei gleich wieder in Dienst zu nehmen, zieht das Publikum automatisch mit. Ich möchte selbstverständlich zuerst das Publikum vor Ort ansprechen. Der Einzugsbereich der Galerie der Stadt Schwaz ist aber viel größer. Betrachtet man die Besucher*innen,  reicht er von Bregenz bis Wien und von Bozen bis München. Unsere Ausstellungen und Aktivitäten sind zudem auf Internetplattformen publiziert. Demnach haben sie durchaus eine weltweite Sichtbarkeit. Sie werden also auf vielen Ebenen wahrgenommen und die Herausforderung für die Institution ist es, diese Ebenen miteinander zu verknüpfen.  Signe Rose 3_Schwaz

Gibt es einen Künstler, den du gerne nach Schwaz bringen würdest, und warum? Oder eine andere Kunstinstitution, mit der du gerne zusammenarbeiten würdest? 

Ich würde sehr gerne einmal mit der Kunsthalle Bern kooperieren, die ein tolles Programm anbietet, oder mit der Halle für Kunst in Lüneburg, eine Institution, die sehr ähnlich wie die Galerie der Stadt Schwaz strukturiert ist. Ich bin erst seit einem Monat hier und werde mein Programm für 2019 im Oktober vorstellen. Ich habe immer sehr eigenständige Positionen ausgestellt, etwa Anita Leisz, die ich schon einmal in Schwaz gezeigt habe. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Anette Freudenberger_Galerie Stadt Schwaz

Und abschließend: Welche Ausstellung, die du in letzter Zeit gesehen hast, kannst du uneingeschränkt weiterempfehlen?

Ich würde jede Ausstellung uneingeschränkt weiterempfehlen. Ich glaube nicht, dass eine einzelne Ausstellung alle Erwartungen erfüllen soll. Erst, wenn viele auch widersprüchliche Dinge zusammenkommen, entwickelt sich etwas, worüber sich sprechen lässt. Sehr toll fand ich eine Ausstellung von Björn Kämmerer in der Neuen Galerie in Innsbruck. Ebenso die von Teresa Burga in Zürich und Jutta Koether in München. Eine Ausstellung, die sicher noch lange nachwirken wird, weil sie auch Parallelen zu unserer Gegenwart anspricht und untersucht, wie Künstler*innen auf die Krise ihrer Zeit reagierten, ist die von Anselm Franke und Tom Holert kuratierte Schau „Neolithische Kindheit. Kunst in einer falschen Gegenwart, ca. 1930“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. 

 Fotos: (1,4,5) Verena Nagel; (2) Signe Rose + Louise Sartor; (3) Louise Sartor; (6) Anette Freudenberger

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