Music

June 18, 2018

Depression kann so schön sein: Yomer

Florian Rabatscher

Auch hierzulande gibt es sie, Berühmtheiten, deren Arbeit man gerne verfolgt. Ich spreche hier nicht von irgendwelchen zwielichtigen Deutschrockbands oder aufstrebenden Folkmusikern … Oh nein. Die Rede ist von der lokalen Prominenz. Diese lässt sich nicht an Verkaufszahlen oder Bekanntheit über die Grenze hinaus messen. Man kennt sie halt. Manche werden jetzt meinen: „Oh toll! Er meint die Coverbands. Endlich schreibt mal jemand über die.“
Ganz falsch. Ich spreche schon von originelleren Projekten, von kreativen Menschen. Keine Massenware natürlich, man könnte es Nischenmusik nennen. Helden der hiesigen alternativen Szene, so wie Yomo, den man wahrscheinlich als leicht exzentrischen Frontmann der Band The Little White Bunny kennt. Schon länger nichts mehr gehört von ihm, nicht wahr? Was treibt er wohl zurzeit? Genau das fragten wir uns auch und stellten ihn deswegen zur Rede.
Alles fing mit seinem Umzug nach Wien vor fünf Jahren an, erzählt er. Ein Punkt, an dem er erkannte, dass er alleine war. Natürlich standen seine Familie und alte Freunde hier in Bozen immer hinter ihm, aber in Wien war er allein. Traurig. Was zum Teufel macht man also so alleine? Vielleicht in eine Depression fallen oder Drogen nehmen? Oh nein, Yomo spielte Videospiele, weinte und masturbierte (manchmal auch alles gleichzeitig). Klingt nicht gerade produktiv, aber natürlich ist das nicht alles.
Er schrieb weiterhin Musik auf seiner Gitarre und es klang auch alles nicht so schlecht. Über 30 Jahre, allein in Wien, dazu machte er immer noch das selbe: Schrieb entweder englische Lieder, die keinen interessierten, oder sang irgendwelchen Blödsinn auf Italienisch. Irgend etwas Anderes musste her, er fing an intelligentere Sachen zu schreiben und mixte sie mit Humor. Schwarzen Humor könnte man sagen. Als er es einigen Leuten das erste Mal vorspielte, war ihre Reaktion: „Verdammt, bist du depressiv, Yomo!“
Er erwiderte darauf, dass dies Humor sei, doch die Leute fanden es nicht witzig. Obwohl er eigentlich nur Witze über die Traurigkeit des Lebens machte; die Leute hatten Angst davor, sich mit ihrer Tristesse zu konfrontieren. Depression ist nach wie vor ein Tabuthema, obwohl sie allgegenwärtig ist. Hat hier nicht fast jeder irgendeine Geschichte von einem Freund, der sich umbrachte? Das Thema Selbstmord wird in Südtirol lieber unter den Teppich gekehrt, obwohl die Zahlen eine andere Sprache sprechen. Eigentlich sollte offener damit umgegangen werden, was Yomo auch in seinen Texten tut. Erstaunlich, wie Leute auf Ehrlichkeit reagieren. Unter dem Pseudonym „Yomer“ hält er sich selbst und der Gesellschaft den Spiegel vor. In Form von Rap, Gesang und Geschrei mutiert er irgendwie zur Stimme einer neuen Generation. Einer Generation von über 30-Jährigen die einfach nicht erwachsen werden. Der Song „L’immutabilità dell’essere stronzo kann als Erklärung für das ganze Konzept gesehen werden: Während andere Häuser bauen, Familien gründen, …, spielt er Videospiele. Null Zukunftsplanung, das einzige was er jetzt schon weiß, ist, dass er nach diesem Bier noch ein weiteres will. Wie genial ist das denn? Es kann ganz gut sein, dass er irgendwann trotzdem erwachsen wird, aber im Moment will er nichts anderes als „Stronzo“ bleiben. Man muss ja nicht immer übers Ziel hinausschießen. Warum nicht einmal vor der Ziellinie stehen bleiben und den anderen zusehen, wie sie wie bekloppt an einem vorbeiziehen. Vielleicht wird „Stronzo“ noch eine eigene Lebenseinstellung. Darum schließe ich mich auch gleich an und erhebe hiermit Anspruch auf den Begriff „Stronzo-Journalismus“. Die Beobachter eures Wahnsinns.Yomer
Aber zurück zu Yomer und seinem Projekt. Musikalisch geht es in Richtung alte Beastie Boys auf Italienisch. Es ist nicht Rap, nicht Pop oder Sonstiges, er selbst nennt es „Cantatronic“. Ob allein mit Computer oder samt Band in Form von Fabio Sforza und Dario Mongelli. Die einzigen übrigens, die ihm letztendlich halfen, sein Projekt zu verwirklichen. Anfangs erledigte er alles selbst, wie in seinem Sexualleben, meint Yomo. Auch in Zukunft wird es so ablaufen. Bei den vier Songs, die unter dem Titel „Pene“ (ja wirklich) erscheinen werden, wird mehr Wert auf das Lyrische gelegt. Aldo Giannotti, der sein Mentor in Wien ist, brachte ihn auf die Idee und diesen pikanten Namen „Pene“ – da dieser den inhaltlichen Schmerz seiner Lieder am besten trifft. Zudem ist er noch herrlich zweideutig und wird einen hervorragenden Hashtag abgeben.
Es geht also um Geschichten über Traurigkeit, die ehrlicher nicht sein könnten. Keine Geschichten über eine glorreiche Generation, die die Welt verändert. Einfach Geschichten eines „Stronzo“ unter vielen. Wie viele werden sich selbst in diesen Geschichten wiederfinden? Sie werden erkennen, dass sie längst schon Teil der „Stronzo-Generation“ sind. Doch auch für die jüngere Generation könnte es ein Blick in die Zukunft werden, denn Yomo war selbst einmal jung, motiviert und schön. Alles könnte so rosig sein, ist es aber nicht. Mit 34 geht alles den Bach runter, sagt er. Also erwartet nicht zu viel von der Zukunft, lebt im Hier und Jetzt. Vertraut auch nicht auf Karma und den ganzen Schwachsinn. Glaubt ihr wirklich, wenn ihr Gutes tut, bekommt ihr das auch zurück? Oh nein, es kommt meistens noch schlimmer. Karma ist einfach ein riesiges Arschloch. Also gebt einfach auf und nehmt es hin, Yomer liefert euch den Soundtrack dazu und holt unsere Generation von ihrem hohen Ross herunter, so schön kann Depression sein. So besonders sind wir einfach nicht. Für alle, die sich trotzdem noch für so unglaublich wichtig halten und meinen, nur Gutes zu tun und es allen anderen ständig unter die Nase reiben müssen, hier ein Zitat aus seinem Song „Vegeteriano“, der die ganze Karma-Frage in einem Satz beschreibt: „Ich bin Vegetarier, sollte ich je wieder Fleisch essen, ist es deines.“  

Foto: Yomersapiens

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