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June 7, 2018

Sharon Otoo: “Ich weiß, dass Literatur Gesellschaften ändern kann. Die Frage ist: In welche Richtung?”

Christine Kofler

Bücherfreunde und Weinliebhaber, aufgepasst: Das Literaturfestival WeinLesen ist eröffnet! Von Donnerstag Abend, 7. Juni, bis Sonntag, 10. Juni 2018, ertönen vielfältige literarische Stimmen in den altehrwürdigen Gemäuern des Kloster Neustift in Brixen. In den Pausen dürfen sich die BesucherInnen an ausgewählten Südtiroler Weinen erfreuen. Mit dabei ist in diesem Jahr auch die Autorin, Publizistin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo, die vor zwei Jahren mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet und so einem breiteren Publikum bekannt wurde. In Ihren Novellen, Kommentaren, Berichten, Rezensionen, Feuilletons und Diskussionsbeiträgen beschäftigt sie sich mit politischen Fragen des Feminismus, des Weißseins, weiterhin mit Kultur- und Bildungsthemen. Sharon Otoo liest am Sonntag, 11. Juni um 11 H im Mühlensaal des Klosters. Vorab hat uns die britische Autorin, die seit einigen Jahren in Berlin lebt, einige Fragen zu ihrem Schreiben beantwortet:

Welchen Text wirst du am Wochenende beim Literaturfestival Weinlesen vorstellen?

Ich werde meine erste Novelle „die dinge, die ich denke, während ich höflich lächele“ lesen. Die Lesung wird eventuell eine Mischung aus Deutsch und Englisch sein, weil ich die Novelle auf Englisch geschrieben habe. Schauen wir mal …

Vor zwei Jahren hast du mit deinem Text „Herr Gröttrup setzt sich hin“ den Bachmannpreis in Klagenfurt gewonnen. Dies war einer deiner ersten literarischen Werke in deutscher Sprache. Wie ist das Schreiben in der Zweitsprache? Welche Kraft liegt darin und welche Widerstände?

Ich finde es noch immer ziemlich schwer, auf Deutsch zu schreiben. Ich erlebe Deutsch als eine sehr genaue Sprache, die – für mich scheinbar kleine – Fehler nicht verträgt. Zum Beispiel auf Englisch: „the dog bites the man“ ist natürlich mit „Der Hund beißt den Mann“ zu übersetzen. Für eine Person, die gerade anfängt, sich mit der deutschen Sprache auseinanderzusetzen und gar nicht so sehr auf die Artikel achtet, könnte der Satz evtl. „den Hund beißt der Mann“ bedeuten. Aus dem Kontext würde ich schon verstehen, was gemeint ist. Ich erlebe es allerdings immer wieder, dass viele in Deutschland sozialisierten Personen, dies nicht sofort können. Sie bleiben an der Grammatik hängen. Ich möchte mit der Sprache spielen können, werde mich aber wohl immer auf die Einschätzung anderer stützen müssen, um zu erfahren, ob das, was ich schreibe, genial ist oder einfach nur falsch. Dennoch gefällt mir die Vorstellung, dass auch für mich eine gewisse Kraft darin liegen könnte, auf Deutsch zu schreiben. Es ist ein Geschenk und eine Chance, dies machen zu dürfen und die Grenzen des Schreibbaren herauszufordern.

Eine globalisierte Welt verlangt nach einer Auseinandersetzung mit dem Konzept der Heimat. Welche Rolle spielen Identität und Fremdheit in deinen Novellen?

Identität spielt auf jeden Fall eine große Rolle in meinem Schreiben. Fremdheit, glaube ich, nicht so sehr. Meine Figuren sind nicht fremd. Höchstens fremd gemacht.

Du bist Aktivistin und setzt sich für Frauenrechte und gegen Rassismus ein. Ist Literatur eine Form von Aktivismus? Kann Literatur unsere Gesellschaft verändern?

Ich verstehe meine aktivistische Arbeit eher als rassismuskritisch und feministisch. Das bedeutet, ich frage mich, was ich durch mein bewusstes Handeln machen kann, um etwas an der Dominanz zu kratzen. Meiner Meinung nach ist Literatur eine klare Positionierung: Entweder trage ich mit meiner Kunst zur Stabilisierung von männlich-weiß dominierten Bildern und Erzählungen bei oder ich stelle scheinbare Selbstverständlichkeiten in Frage. Ich rüttele an klaren Definitionen und arbeite lieber mit Widersprüchen. Ich weiß, dass Literatur Gesellschaften ändert und weiterhin ändern kann. Die Frage ist: In welche Richtung?

Welche AutorInnen, welche Bücher haben dein Schreiben geprägt?

Aus dem US-amerikanischen Kontext bin ich stark von Toni Morrison geprägt worden. Mein Lieblingsroman von ihr ist und bleibt „Beloved.“ Im deutschen Kontext fand ich Brecht immer wieder toll. Auch die Gedichte von May Ayim sind für meinen Werdegang als Autorin unerlässlich.

Welche AutorIn sollte unbedingt noch entdeckt werden?

Ok, „entdeckt“ ist ein schwieriges Wort in diesem Kontext, aber ich weiß, was damit gemeint ist. In der nächsten Ausgabe der Zeitschrift „Neue Rundschau“, herausgegeben im vom S.-Fischer-Verlag von meiner geschätzten Kollegin Manuela Bauche und mir, stellen wir Werke von Clementine Burnley und Musa Okwonga vor. Es freut mich sehr, dass diese zwei talentierten Personen somit ein breiteres Publikum erreichen werden können.

Woran arbeitest du gerade? Dürfen wir uns auf neue Texte freuen?

Ich arbeite gerade an meinem ersten Roman. Er ist von meiner Kurzgeschichte „Herr Gröttrup setzt sich hin“ inspiriert und ist für mich eine besondere Herausforderung, da ich ihn auf Deutsch schreibe.  Wenn alles nach Plan läuft, erscheint er im Herbst 2019.

 
Foto: P. Zinken

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