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April 20, 2018
Sizilianische Eselinnen und Südtiroler Milchbäuerinnen – Ingrid Hora @ Kunst Merano Arte
Katja Ebner
Am Freitag 20. April 2018 um 19 H öffnet Kunst Meran Merano Arte seine Türen für die Ausstellung same same but different. Die Gruppenausstellung, mit drei KünstlerInnen aus Südtirol und drei KünstlerInnen aus Sizilien (Claudia Barcheri, Ingrid Hora, Loredana Longo, Christian Martinelli, Ignazio Mortellaro, Studio++), wird parallel auch in Sizilien im Museo Civico di Castelbuono gezeigt und von Laura Barreca und Christiane Rekade kurtiert. Ingrid Hora, eine der Südtiroler KünstlerInnen, lebt und arbeitet seit mehreren Jahren in Berlin. Umso mehr freut es uns, dass sie für die Ausstellung nach Südtirol gekommen ist und sich die Zeit genommen hat, mir ein paar Fragen zu beantworten.
Du hast im Ausland studiert, dann hast du eine Weile in London gelebt und mittlerweile bist du schon viele Jahre in Berlin zu Hause. Was siehst du persönlich als deine Heimat an und was bedeutet Heimat für dich?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn ich außerhalb von Südtirol bin und meinen Freunden erzähle, wo ich herkomme, ist es nicht immer leicht ihnen zu erklären, dass ich aus Südtirol bin. Da muss man immer ganz lange die Geschichte erzählen. Dabei ertappe ich mich selbst immer wieder dabei, wie ich über Südtirol als mein „Home Country“ rede. Da lachen mich dann alle immer aus, weil es den Begriff „Home Country“ im Englischen gar nicht gibt. Sie sagen dann immer, du musst schon einen Ort nennen und kannst nicht „Home Country“ sagen. Da merke ich immer, dass Südtirol als meine Heimat, schon sehr tief in mir drinnen ist. Ich weiß zwar auch, dass ich in Südtirol nicht leben will, aber hier sind meine Wurzeln.
Du lebst an unterschiedlichen Orten und hast an verschiedenen „artist in residence“-Programmen teilgenommen. Vor einigen Jahren meintest du mal, dass du in Südtirol nicht mehr leben und vor allem nicht mehr arbeiten könntest. Was hat dir hier gefehlt? Und hast du das, was dir hier gefehlt hat, in Berlin gefunden?
Ich muss dazu sagen, dass sich die Situation in Südtirol mittlerweile schon gebessert hat. Ich lebe momentan in Berlin, weil da die Möglichkeiten, die man hat, für mich stimmen, aber es kann auch sein, dass ich nächstes Jahr dann sag, ich zieh zum Beispiel nach China. Aber ein großer Vorteil, den Berlin zu Südtirol hat, sind die günstigen Studios und die günstigen Mieten zum Wohnen. Berlin ist sehr international und somit ist ein größerer Austausch da. Zugleich kommt man von Berlin leichter weg und auch leichter wieder hin. Ein Flughafen in der Nähe ist schon ganz angenehm. Wenn ich nach Südtirol reise, dann muss ich automatisch schon einen ganzen Tag für die Anreise einplanen, und das selbe gilt auch für die Abreise. Dies stellt für mich schon eine Problematik dar. Als Künstlerin ist es so: Du wohnst zwar an einem Ort, aber die eigenen Ausstellungen sind meist ganz woanders. Man verbringt einfach viel Zeit im Zug oder in der Luft, da ist es schon toll, wenn der Ort gut angebunden ist.
Du zeichnest, performest, machst Videos und Objekte. Welche Art von Arbeit gefällt dir persönlich am besten?
Ich gehe eigentlich bei jedem Projekt, an dem ich arbeite, von einem Objekt aus, das in einer Skizze Leben findet. Daraus forme ich dann ganz viele Variationen in Sketch-Form und daraus wird dann manchmal das Objekt zu einer eigenen Kreatur, mit Beinen oder Stelzen. Die Skizze ist natürlich das Medium, aber in meinem Kopf sehe ich immer zuerst ein Objekt, die Performance dazu kommt immer erst später.
Aktuell steckst du mitten in den Vorbereitungen für die Ausstellung „same same but different.“ Daran arbeitest du gemeinsam mit fünf weiteren KünstlerInnen und ihr versucht, die soziokulturellen und anthropologischen Dynamiken der beiden Regionen, Südtirol und Sizilien, aufzuzeigen. Wie kam es dazu, dass du dich an diesem Projekt beteiligt hast?
Es gab eine Einladung zu diesem Projekt, aber es ist auf jeden Fall auch ein Thema, dass mich sehr interessiert. Als Südtiroler Künstlerin hat man ja immer so ein bisschen die Frage nach der Identität in sich und bei mir kommt dieses Thema der Identität bei jedem Projekt, an dem ich arbeite, irgendwie heraus. Entweder man unterdrückt es oder man lässt es heraus. Und diese Fragen, die wir Südtiroler uns als Grenzregion zum Norden stellen, stellen sich die Menschen in Sizilien, als Grenzregion zum Süden, eben auch. Bei den Gesprächen, die wir KünstlerInnen untereinander führten, ging es eben auch sehr viel um die Frage, wie wir uns fühlen. Die sizilianischen KünstlerInnen, mit denen ich jetzt zusammenarbeite, leben auch nicht mehr in Sizilien, sondern in Florenz oder Mailand. Interessant dabei ist, ob man durch den Abstand zum Ort, die eigene Heimat anders betrachtet. Dadurch, dass man nicht mehr dort wohnt, merkt man vielleicht, dass man mittlerweile eine Auffassung von Heimat hat, die veraltet oder einfach nicht mehr „up to date“ ist. Diese Fragen fanden wir alle sehr spannend und deshalb freuten wir uns sehr auf dieses Projekt.
In deinem Teil der Ausstellung befasst du dich insbesondere mit den Milchbäuerinnen in Südtirol und den Eselinnen, die in Castelbuono seit mehreren Jahren für die Müllabfuhr eingesetzt werden. Wie bist du bei deinen Recherchen vorgegangen?
Angefangen hat es mit den Eselinnen. Als ich in Castelbuono war, faszinierte mich diese große Präsenz, die diese Eselinnen hatten. Als ich mit dem dortigen Bürgermeister ins Gespräch kam, wies er mich darauf hin, dass es ausschließlich Eselinnen sind, das heißt, nur weibliche Tiere dürfen diesen Beruf ausüben. Die Eselinnen, die in Castelbuono für die Müllabfuhr tätig sind, haben nämlich noch einen zweiten Job, und zwar sind sie zugleich noch Therapieeselinnen. Die Menschen, die bei den Eselinnen in Therapie sind, bringen immer Gaben mit. Sie kommen am Morgen mit etwas, ähnlich einem Opferkorb, und geben den Eselinnen Marzipan und bringen zahlreiche Süßigkeiten mit (was für die Eselinnen sicher nicht das Beste ist). Es gibt noch andere Geschichten, die mir ein Eseltreiber vor Ort erzählt hat: Eine Eselin hat ein kleines Baby gerettet, das kurz vor dem Verhungern war. Durch die Milch der Eselin konnte das kleine Mädchen wieder Kraft schöpfen und es geht ihr auch heute noch gut.
Das sind Geschichten, die die Eselinnen in meinem Kopf schon fast wie Königinnen erscheinen ließen. Es sind zwar Eselinnen, die die Müllabfuhr machen, aber trotzdem einen sehr großen Einfluss haben. Die Eselinnen haben meiner Meinung nach die Geschichte von Castelbuono neu geschrieben. Denn wenn du diesen Ort online suchst, wirst du fast nur Bilder von Eselinnen finden. Zugleich wurde der Ort wegen dieser Eselinnen in zahlreichen nationalen und internationalen Medien erwähnt. Ich dachte mir, ich möchte die Geschichte dieses Ortes im Rahmen des Projektes noch einmal neu schreiben, aber mit der Eselin im Zentrum. Das sieht man dann im Projekt und in der Ausstellung sehr gut, beispielsweise ist die Eselin auch im Wappen der Fahne abgebildet.
Für das Projekt hier, habe ich mich für die Milchbäuerinnen entschieden, da ich sie auch als sehr starke Figuren betrachte. Die Milchbäuerinnen haben mittlerweile einen Verein, gehen in Schulen und erzählen von ihrem Beruf und der Landwirtschaft. Ich finde, sie haben mittlerweile einen Status erreicht, der von der Gesellschaft bewundert wird. Auch hier hat man wieder eine Frau, die durch ihre Tätigkeit immer größer wird, obwohl die Handlung eigentlich ganz klein ist. Die Milchbäuerin ist eine starke Frau und in der Gruppe sind die Milchbäuerinnen noch stärker. Deshalb wollte ich die Milchbäuerinnen auch mit in die Geschichte einbauen. Dabei erhält die Milchbäuerin einen neuen, fiktionalen Charakter. Darüber kann man in Sizilien einen Film sehen, über die Eselinnen hingegen kann man hier (Kunst Meran) einen Film sehen. Die Objekte sind an beiden Orten ausgestellt. In Meran wird eine Gruppe von Frauen auftreten und einem Milchschemel einen Tanz aufführen. Ich assoziiere mit dem Milchschemel auch wieder Stärke. Frauen, die ihn tragen, zeigen damit, dass sie stolz sind darauf, was sie machen, und genau dies soll mit der Tanzperformance auch gezeigt werden. In Sizilien wird es dafür eine Performance mit den Eselinnen von Castelbuono geben.
Mich interessiert ganz besonders die Frage, wie du die Geschichten der Eselinnen und jene der Milchbäuerinnen miteinander verbindest?
Es wird eine fiktionale Geschichte in die reale Geschichte hineingeschrieben. Ich benütze das Thema der Fahne und das Thema des Fußbodens. Klingt vielleicht ein bisschen weit hergeholt, wird aber logischer, wenn man sich die Ausstellung ansieht (lacht). Mich haben die Fußböden, die man in den Palazzi überall in Sizilien findet, beeindruckt. Nicht nur, dass sie wunderschön sind, sondern in jedem Fußboden steckt auch ein Stück Geschichte und Mythos. Und als ob ich einen neuen Fußboden machen würde, stecke ich nun ein Stück neue Geschichte in den Fußboden, damit nun auch die Eselinnen vorhanden sind.
Da ich immer etwas Funktionales brauche, gehe ich immer von Objekten aus. Auch ein Milchstuhl ist ein funktionales Element und genau das ist wichtig. Etwas, das ich oder auch andere anfassen und so vielleicht auch verstehen können. Man steigt zwar in die fiktionale Welt ein, aber man hat immer noch einen Gegenstand, um sich daran festzuhalten, falls man sich verliert.
Hast du durch die Projekte deiner KollegInnen und durch den Austausch mit dem Museo Civico di Castelbuono etwas Neues für dich dazulernen können? Welche Erfahrungen nimmst du mit?
Ich glaube, dass ich bei jedem Projekt viel Neues für mich dazulernen kann. Was ich interessant fand, war zu sehen, wie die drei sizilianischen KünstlerInnen alles aufsogen, als sie hier in Südtirol waren. Wenn man an einem Ort lebt bzw. gelebt hat, ist man ja automatisch viel kritischer, als wenn man als Gast hier ist. Als wir drei Südtiroler KünstlerInnen über bestimmte Dinge hier in Südtirol etwas zu meckern hatten, fanden die sizilianischen KünstlerInnen das meist überhaupt nicht schlimm und unsere Kritik unbegründet. Lustig war es dann, als wir in Sizilien waren. Genau dasselbe, nur umgekehrt: Nun waren wir es, die alles viel entspannter sahen.
Gibt es schon konkrete Pläne für die Zukunft? Worauf dürfen wir uns freuen?
Ja, die gibt es, aber da möchte ich noch nichts verraten.
Kunst Meran Eröffnung: Freitag, 20. April 2018, 19 Uhr – Performance von Ingrid Hora mit der Volkstanzgruppe Untermais
Museo Civico di Castelbuono, Eröffnung Sonntag, 6. Mai 2018, 12 Uhr – Performance von Ingrid Hora mit Eselinnen von Castelbuono
Fotos: (1) Ingrid Hora, Le asinelle, 2018. Video animation. Courtesy the artist. Photo: Herbert Thoma; (2) Ingrid Hora, Schizzo. La lattaia, courtesy the artist; (3) Ingrid Hora, Franz, 2018; Hans, 2018. Wood, formica, textile. Produced by Barth Innenausbau, Brixen / Bressanone. Courtesy the artist. Photo: Sara Salute
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