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March 16, 2018

Frieden ist nur eine Pause zwischen zwei Kriegen: „Nationalstraße” von Jaroslav Rudiš

Verena Spechtenhauser

Titel: Nationalstraße

Autor: Jaroslav Rudiš

Darum geht’s: Früher war Vandam ein Held in seiner Plattenbausiedlung. Heute ist er ein Säufer und Schläger, wie so viele Männer seiner Nachbarschaft. Die Schuld für sein Versagen, findet der Ex-Polizist nicht bei sich selbst, sondern bei den anderen. „Sie“, so erklärt es Vandam seinem heranwachsenden Sohn, „labern dich voll, wie du dein Leben führen sollst“. Die Wahrheit aber, so ist sich Vandam sicher, kennen nur er und seine Freunde aus der Plattenbausiedlung. Darum reckt er auch mit Vorliebe seinen Arm zum Hitlergruß, weil er der letzte wirkliche Tscheche inmitten von lauter „Fidschis“ und „UKs“ ist.

Lieblingszitat: „Schon komisch, oder? Als junger Spund findest du den eigenen Vater scheiße. Aber wenn du in die Jahre kommst, wirst du ihm immer ähnlicher. Bis du das gleiche Arschloch bist wie er. Das Leben ist ein einziges Rätsel, was?“

Riecht … nach biergeschwängerter, dicker Stammkneipenluft, nach Myslivec-Schnaps und blutigen Fingerknöcheln.

Schön: das zügige Tempo mit dem sich der knapp 159 Seiten starke Monolog liest, ohne Gefahr zu laufen dabei langatmig zu sein.

Weniger schön, dass dem Protagonisten Vandam ein reales Vorbild zugrunde liegt. Gerne würde man denken, solche Persönlichkeiten, solche Gedankenmuster, solche Lebensmodelle existieren nur mehr in der Fantasie des Autors.

Unbedingt lesen, wenn … man sich fragt, warum die Tschechen sich so vehement gegen die europäische Flüchtlingspolitik zur Wehr setzen. Das, was Vandam fühlt, sagt und denkt, ist kein Einzelfall, sondern wird aktuell sogar vom tschechischen Präsidenten vertreten. 

Gut für … Fans von deklassierten Antihelden.

Resümierend: In „Nationalstraße“ wirft Jaroslav Rudiš einen kurzen, ungeschönten Blick auf die Randgesellschaft Tschechiens, auf ihren Alltag und ihre Ängste. Beim Lesen wechseln sich Ärger, ungläubiges Kopfschütteln und Mitleid mit dem Antihelden untereinander ab. Ein Buch, wie eine mentale kalte Kopfdusche.

Seitenzahl, Verlag, Jahr, Preis: 159 Seiten, Luchterhand, 2016, 14,99 Euro, ISBN: 978-3-630-87442-5, Paperback, auch als E-Book erhältlich.

Jaroslav Rudiš, der den diesjährigen Preis der Literaturhäuser erhält, war letztes Jahr zu Gast beim Literaturfestival WeinLesen in Neustift. Mehr über den Schriftsteller und Publizisten gibt’s hier zu lesen: rudis.czDas Programm zu WeinLesen 2018 findet sich hier: weinlesen.it  

Foto: franzmagazine

 

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