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August 30, 2017
Paul Thuiles Zeichenräume: ein Blick in die Spielnotizen des Künstlers
Mauro Sperandio
Ein Interview ist ein Spiel: Ich frage dich, du antwortest mir.
Reisen ist ein Spiel: Ich komme an, du begrüßt mich.
Zeichenräume – das ist der Titel des neuen Kunstprojektes von Paul Thuile – ist ein Spiel in Etappen.
Das ist kein Interview, sondern ein flüchtiger Blick in die Reise- und Spielnotizen des Künstlers.
4 Architekturbüros + Cubo Garutti
1 Stadt, Bozen
1 Spieler, Paul Thuile
Sparkassenstraße 14, Südtiroler Architekturstiftung, Kammer der Architekten
Motiv: Die Fassade des Gebäudes.
Auf der Straße Busse, die anhalten und wieder losfahren. Lange Zeit ist es ruhig, nur Marlene und ich sind in den Räumen. Dann kommt Carlo, gibt Anweisungen, telefoniert. Manchmal kommt ein Architekt. Es ist sehr heiß an diesen Tagen, die Klimaanlage ist ausgefallen.
Ich zeichne die Fassade des Gebäudes an die Wand des Konferenzraumes. Wie ein Röntgenbild wird die Fassade durch die Wand hindurch auf die gegenüberliegende Wand projiziert.
Museumstraße 40, Architekturstudio Elisabeth Schatzer
Motiv: Ein Regal mit vielen Dingen, unter anderem eine Vogelkiste (Haus für Vögel).
Elisabeth baut Häuser.
Der Ort ist wie eine Insel: Man kommt vom Lärm der Straße und ist plötzlich in einer Oase. Elisabeth wohnt und arbeitet hier, sie hat eine gute Hand für Pflanzen. Die Räume sind hoch, liebevoll restauriert. „Darf ich an eine Wand zeichnen?“ – „Wo du willst!“. Zu Mittag essen wir Kürbissuppe und Salat in ihrer Küche. Die Zeichnung ist sehr diskret. Trotzdem hat sie eine raumgreifende Präsenz. Ich mache eine neue Erfahrung: Die Zeichnung an der Wand ändert sich mit dem Wechsel der Tages- und Jahreszeiten: flach-dreidimensional, hell-dunkel, ruhig-lebendig etc.
Zollstange 1, Design- und Grafik-Studio Mut, Thomas Kronbichler + Martin Kerschbaumer
Motiv: Bücherregal.
Studio Mut gestaltet Bücher.
Martin und Thomas nehmen mich mit auf die Besichtigung neuer Räume für ihr Studio. Noch ist es eine Baustelle, am Wochenende wird alles renoviert. Auf die große Wand möchte ich zeichnen, davor wird ein Regal stehen. Kann meine Zeichnung an diesem Ort bestehen?
Unten auf der Straße fahren die Autos im Kreisverkehr. Auf der anderen Seite ist eine Apotheke. Im Stock oberhalb wohnt Franz P., wir kennen uns von früher, nebenan hat ein Arzt seine Praxis und im Parterre ist eine Bank. Ein geschäftiger Ort.
Bahnhofsallee 3, Studio Susanne Waiz
Motiv: Gotisches Geländer.
Der gotische Dom von Bozen befindet sich in unmittelbarer Nähe.
Das Studio von Susanne liegt in einem alten Gebäude, mit schönem breiten Stiegenhaus, schönem Geländer. Die beiden Arbeitsräume sind durch eine Wand mit Tür getrennt. Ich zeichne auf die eine Wandseite, ich zeichne auf die andere Wandseite, das gleiche Motiv, andere Vergrößerung. Jetzt kann man durch die Zeichnung hindurchgehen. Die Linien meiner Zeichnung finden ihre Wiederholung in den Ästen der Bäume vor dem Fenster.
Sassaristraße 17/b, Kleines Museion Cubo Garutti
Motiv I: Stiegenaufgang in die Häuser in der Umgebung.
Motiv II: Fußweg zwischen den Gebäuden in der Umgebung.
Ein würfelförmiges Gebäude inmitten einer riesigen Wohnanlage. Winzige Flecken Grünfläche. Man hört Stimmen, Hunde, die bellen, Fenster werden geschlossen. Ab und zu kommen Menschen vorbei, Kinder mit ihrem Fahrrad bleiben stehen. Ich schaue den Ort an, verbringe viel Zeit dort. Die Mücken sind fast unerträglich. Stiegen, Türen, Innenhöfe, ein unbenutzter Spielplatz. Ein Mann reinigt jeden Tag die Wege. Um die Mittagszeit kommen alle Hundebesitzer mit ihren Hunden auf die winzige Grünfläche.
Ich möchte für den „Cubo“ etwas machen, was sichtbar ist und die Menschen dort verstehen können.
Zeichnungen: Paul Thuile, Fotos: René Riller
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