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August 22, 2017
“Es fühlt sich an wie Atmen”: Autor Bertrand Huber
Text Greta Stampfer
Ich trete in einen typischen Bozner Innenhof mit seinen sandsteinfarbenen Wänden und dem leicht schiefen Boden, der einen Hauch davon erahnen lässt, wie viele ihn vor mir mit ihren Füßen schon berührt haben. Wieder dieser sandsteinfarbene Ton, nur handelt es sich dieses Mal um die Treppe zum Büro des Südtiroler Künstlerbundes (SKB) und während ich sie hoch steige, halte ich mich am kalten Metallgeländer fest. In einem Büro des Künstlerbundes erwartet mich Betrand Huber schon. Der Südtiroler Schriftsteller (und Mitglied des SKB) aus der Meraner Gegend erzählt in seiner gemächlichen, leisen Stimme, die er selbst als “Lehrerkrankheit” tituliert, vom Leben zwischen Schriftstellerei und Lehrersein, fehlenden Generationenkonflikten und warum er den Weg zur Lyrik fand.
Du scheinst eine Art Multitalent zu sein. Einerseits schreibst du Lyrik, andererseits Dramen. Wofür schlägt dein Herz aber wirklich?
Betrand Huber: Aktuell ist es eindeutig die Lyrik. Aber der Weg zur Lyrik war lang. Angefangen habe ich mit dem wissenschaftlichen Schreiben, dann habe ich mich dem Theater zugewandt, schließlich habe ich einen Essay-Band geschrieben und mittlerweile bin ich bei der Lyrik gelandet. Sie kommt mir am nächsten.
Warum?
Ich habe zu den Dingen meist einen intuitiven Zugang und ich denke, dass die Lyrik der beste Ausdruck ist, um diesen intuitiven Zugang zu erklären – ich versuche nicht wissenschaftlich zu arbeiten oder etwas logisch zu ergründen, sondern ich will Bilder bringen, die ich wahrnehme, und stelle sie dann lyrisch zur Verfügung. Das ist aktuell der Entwicklungsstand, an dem ich mich am wohlsten fühle.
Du sagst, du willst Bilder liefern. Welche?
Eigentlich die Natur. Als ich mit dem lyrischen Schreiben begann, war mir das weniger bewusst, ich habe sozusagen kreuz und quer geschrieben, bin aber immer wieder bei der Naturlyrik gelandet – allerdings immer ans menschliche Verhalten gekoppelt. Mir schien, dass ich über die Natur am besten bestimmte Dinge ausdrücken kann. Beim zweiten Lyrikband, der jetzt bald erscheint, habe ich bewusst auf Naturlyrik gesetzt.
Neben deiner Lyrik hast du dich ja auch dem Drama verschrieben. Deine Stücke behandeln eine jugendliche Lebensrealität, du selbst bist Lehrer an einem Meraner Gymnasium. Dienten deine SchülerInnen oft als Vorbild für deine Figuren?
Auf alle Fälle. Man muss sich den Stoff ja immer irgendwo holen. Bei der Lyrik besteht ein starker Zusammenhang mit der Natur, bei den Theaterstücken habe ich mich stark vom Leben meiner SchülerInnen und meinen Beobachtungen leiten lassen.
Wie reagieren deine SchülerInnen darauf, wenn sie als Stoff für Theaterstücke dienen?
1:1 ist es natürlich nicht, aber sie sollen sich schon wieder finden – mehr als Generation und weniger als Einzelperson.
Du merkst bestimmt, dass das Buch bei Jugendlichen an Einfluss verliert. Wie schaffst du es deine SchülerInnen zu motivieren? Oder ist bereits alles verloren?
Ich muss vorausschicken, dass das kein Klischee sein soll, aber ich arbeite im sozialwissenschaftlichen Gymnasium, wo 80 % der SchülerInnen Mädchen sind, und ich habe nicht wirklich den Eindruck, dass sie dem Lesen abgeneigt wären. Ansonsten glaube ich fest daran, dass Jugendliche noch immer lesen. Kreuz und quer natürlich, aber die Art zu Lesen hat sich, insbesondere im schulischen Bereich, verändert. Wenn ich da Vergleiche zu meiner Schulzeit ziehe, liest man heute während des Unterrichts kaum noch klassische Literatur, mehr nur Textbeispiele. Denn die klassische Literatur ist schwierig, sei es thematisch, als auch sprachlich einfach zu weit entfernt von der Realität der Jugendlichen. Aber wenn sie wählen dürfen, dann ist auf jeden Fall noch Interesse da.
Also kein totaler Wechsel hin zum reinen Social Media, wie uns die Generationsforscher weismachen wollen?
Nein. Sie sind vielleicht schwieriger zu motivieren. Aber es gibt natürlich auch Ausreißer: Ich hatte letztes Jahr eine Schülerin, die privat Thomas Mann las. In meiner Generation war es noch normal, dass man in der Schule Klassiker las, das wurde nicht einmal hinterfragt. Aber soweit bringen wir die SchülerInnen heute nicht mehr.
Also hinterfragt diese Generation mehr?
Sie sehen das Lesen als etwas Subjektives, was vielleicht auch der Zeitgeist ist: Es muss sehr nahe am eigenen Leben sein, mit starkem Bezug zum eigenen Ich; es ist weniger wichtig, sich durch ein Buch weiterzuentwickeln. Dann ist vielleicht ein “Zauberberg” zu weit entfernt; diesen intellektuellen Sprung zu wagen, dafür fehlt aktuell die Bereitschaft.
Du hast ja schon von dem Lyrikband, der bald erscheint, erzählt. Die Frage, die sich mir da aufdrängt, ist, ob Lyrik überhaupt noch wirtschaftlich möglich ist?
Wirtschaftlich gesehen nicht, nein. Es ist schwierig, überhaupt noch einen Verlag zu finden, und ich habe natürlich bei verschiedenen Verlagen angeklopft. Schließlich hat sich der Weger Verlag in Brixen dann für meine Gedichte entschieden. Ich glaube schon, dass irgendwo noch immer ein Bedürfnis nach Lyrik da ist. Renommierte Verlage leisten sich wieder den Luxus der Lyrik, denn wirtschaftlich gesehen ist es definitiv Luxus, aber die technisierten Themen der heutigen Welt verlangen eine Art “zurück zum Ursprung”.
Zurück zu deinen Ursprüngen: Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Das Schreiben war immer mein Medium, es fühlte sich immer an wie Atmen. Ich habe Philosophie studiert, das Reflektieren und Nachdenken ist in meinem Charakter verwurzelt und das Schreiben zwingt zur Reflexion, das ist vielleicht mit meiner Art stimmig. Mit Schreiben kann man viel bewegen, vielleicht bloß nachhaltiger und langsamer. Es ist Knochenarbeit, auch oft einsam, aber es gibt mir viel Befriedigung.
Du hast gesagt, dass es vielfach um Reflexion geht. Ist Schreiben also eine Art Therapie?
Kann sein. Besonders, wenn es sich um autobiographische Werke handelt, wie bei meiner Erzählung “Gelb”.
Inwiefern lassen sich dabei autobiographische Züge finden?
Es ist eine Reflexion über mein Leben. Denn das Leben ist nicht immer linear, sondern eher wie eine Zugfahrt, mit vielen Stationen, wo man auch mal aussteigt – vielleicht auch früher als geplant – oder auch aussteigen muss.
In deinem Theaterstück “Tiefgarage” geht es um die Skinhead-Szene. Südtiroler Lebensrealität?
Das Stück entstand natürlich auch aus einer Erfahrung: Zur damaligen Zeit gab es in Meran eine jugendliche Skinhead-Szene, die bis in die Schule reichte. Aber mittlerweile ist so etwas kaum noch erkennbar, eher eine Art Konformismus. Sich zu engagieren scheint fast zu anstrengend, egal ob fürs Rechte oder fürs Linke.
Also stellst du fest, dass diese Generation nicht mehr rebelliert?
Es besteht kein Reiben mehr zwischen den Generationen, die Mutter wird zur besten Freundin, was vielleicht einerseits positiv ist, so allgemein fürs Familienleben, und die Generationen sind sich näher.
Was bedeutet das konkret?
Ich glaube, dass man an Widerstand wächst. Und der ist mittlerweile zwischen den Generationen kaum vorhanden. Das Konforme wird immer stärker. Ich glaube, dass früher alles viel erkämpfter war, ob das gut oder schlecht ist, kann ich nicht feststellen.
Was ist dir lieber: Autor oder Lehrer?
Natürlich war es immer ein großer Wunschtraum vom Schreiben zu leben, aber das ist ja fast Utopie, aber es lässt sich beides gut vereinbaren. Beim Schreiben bin ich doch noch näher bei mir, weil ich die Themen und die Art und Weise, wie ich schreibe, selbst wählen kann. Auf der anderen Seite, ist man sehr einsam und in der Schule ist man wieder mitten in der Gemeinschaft, was auch wichtig ist, damit man sich nicht komplett abkapselt. Allerdings schreibe ich hauptsächlich im Sommer, weil es für das kreative Schreiben eine bestimmte Intensität braucht. Dafür muss ich in dieser Kontinuität des Schreibens drinnen sein und in der heißen Schreibphase ist man fast schon manisch. Beispielsweise habe ich im Auto immer meine Notizen dabei und an einer roten Ampel schreibe ich dann – ich will keine Sekunde verlieren.
Also fast eine Art Zwang?
Eher Sucht. Denn es hat ja auch etwas Schönes. Es ist bittersüß.
Foto: franzmagazine
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