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June 5, 2017
„Wenn du Werbung siehst, wächst nichts in dir“: Sebastian Kulbaka @ Asfaltart
Christine Kofler
Am Freitag, 9. Juni 2017, um 16.00 H geht’s wieder los: Clowns, MusikerInnen und AkrobatInnen ziehen durch Meran und eröffnen mit einer bunten Parade die 11. Ausgabe des Straßenkunst-Festivals Asfaltart. Drei Tage lang begeistern Straßenkünstler aus aller Welt mit lustigen und wundersamen, spannenden und außergewöhnlichen Auftritten. Heuer gibt’s auch eine Premiere: Eine Straßen-Freiluftgalerie, gestaltet von Sebastian Kulbaka. Der Künstler hat den Geist des Meraner Festivals in neun Bildern eingefangen. Aufmerksame FestivalgängerInnen entdecken die zwei Mal zwei Meter großen Plakate, Abzüge der originalen Bilder, überall in der Stadt – nämlich dort, wo sonst Werbung prangt, z. B. in der Galileistraße oder auf der Winterpromenade. Im Interview spricht der Künstler über seine künstlerische Position und erzählt, warum seine Illustrationen auch Südtiroler Traditionen auf die Schippe nehmen dürfen und es mehr Kunst im öffentlichen Raum braucht.
Deine Illustrationen stellen allesamt verschiedene Figuren dar. Wie hast du diese entwickelt?
Ich machte mich auf zu einer Art künstlerischen Forschungsreise und versuchte, den „Geist“ des Festivals einzufangen. So kam ich auf die Idee, Figuren zu nutzen, die eine Geschichte erzählen und – auf eine abstrakte Art und Weise – auch die MacherInnen des Festivals darstellen. Es war jedoch schwierig, diese zu definieren, und so kam ich auf die Idee, mich an den Tarot-Karten anzulehnen. Ich wählte elf Figuren aus, etwa den König, den Wagen, den Eremiten etc. Sie spiegeln die Natur und die Bandbreite des Menschen wieder. Jede Figur hat ihre Aufgaben und Eigenschaften, so darf der Narr etwa ungestraft den König kritisieren, er steht außerhalb der Gesellschaft.
Die Tarot-Karten lud ich mit den Attributen aus der Zirkuswelt auf – so siehst du in jeder Illustration den Namen der Karte, Elemente aus der Jonglage und der Welt der Straßenkunst, aber auch folkloristische Elemente, die auf Südtirol Bezug nehmen. So ist etwa der Wagen auch das wichtigste Element beim Meraner Traubenfest und der Clown, der auf dem Wagen sitzt, trägt die Schützentracht. In den Bildern blickt quasi die Straßenkunst augenzwinkernd auf die Südtiroler Traditionen und nimmt sie aufs Korn. Straßenkunst darf das. Ohne dass es einen politischen Aufschrei auslöst.
“L’Eremita” ,Sebastian Kulbaka
Hast du deshalb auch den Spitzenstoff als Material gewählt und in deinen Bildern verarbeitet?
Ja, auch die Spitze nimmt Bezug auf die Traditionen im Land. Die Bilder sind Acrylmalereien. Im Laufe dieses Jahres, während die Bilder entstanden, habe ich auch verschiedene Personen in den Entstehungsprozess involviert. So hat zum Beispiel auch die kleine Nichte meiner Freundin mitgearbeitet. Die Bilder stellen nicht nur eine künstlerische Studie dar, sondern es wohnt ihnen auch ein beziehungsstiftender Wert inne. Genauso wie dem Straßenkunst-Festival selbst, das viele Menschen zusammen bringt und zum Austausch anregt.
“Gli Innamorati”, Sebastian Kulbaka
Ist das partizipatorische Arbeiten Teil deiner künstlerischen Praxis?
Ja, meine Arbeiten stehen in der Tradition der relationalen Ästhetik. Gemeinsam künstlerisch aktiv zu sein und Menschen, die außerhalb der Kunstwelt stehen, anzuregen, ist ein wesentlicher Aspekt meiner Arbeiten. Bereits während meiner Studienjahre begann ich gemeinsam mit anderen, Kunst zu machen. Ich besuchte öfter ein befreundetes Paar, das kürzlich geheiratet hatte. Wir sprachen immer wieder über Kunst und ihre Bedeutung für das private Leben, nahmen einzelne Elemente aus verschiedenen Kunstströmungen heraus. Irgendwann begannen sie, jedes Jahr am selben Fotoautomaten in ihren Hochzeitskleidern und mit den Accessoires, etwa dem Schleier, Fotos von sich als Paar zu machen.
Ich glaube, Künstler haben eine Verantwortung. Die Verantwortung und Aufgabe liegt darin, Menschen dabei zu unterstützen, ihre eigenen Werke zu schaffen, in denen sie sich erkennen. Für sich selbst. Genauso wie die Musik ist die Kunst wesentlich für das Selbst, dessen Entfaltung und Wachstum. Kunst kann Erwachen sein, für jeden, ganz unabhängig von sozialem Status oder Alter.
Das klingt für mich auch als eine Art Gegenprogramm zum hochpreisigen Kunstmarkt, wo Galerien und SammlerInnen KünstlerInnen „erschaffen“…
Ja, schon. Jemand sagte einmal zu mir: Wenn du dich als Künstler nicht verkaufst, keinen Markt schaffst, bist du kein Künstler. Ganz so wie ein Installateur. Repariert er keine Wasserhähne in den Häusern und verdient er kein Geld, ist er kein Installateur. Aber ich finde diese Sichtweise sehr reduktiv. In meiner künstlerischen Entwicklung vom Kind bis hin zu meinen Studienjahren hat es mich nie gekümmert, ob ich meine Kunst verkaufe. Es kümmert mich nur, ob ich meine Kunst verwirklichen kann. Es gibt keine Regeln, die bestimmen, ob eine Arbeit Anklang findet oder nicht. Darum geht es nicht. Sonst wäre es keine Kunst. Sondern einfach ein Produkt wie alles andere auch. Dann würde ich vorher Marktforschung betreiben, so wie es Unternehmen machen.
Die Plakate, Abzüge deiner Bilden, finden sich über die ganze Stadt Meran verteilt …
Genau. Schon von Anfang an dachte ich daran, nicht nur die Werke selbst, also die originalen Bilder auszustellen, sondern Abzüge davon zu fertigen und diese auf den Plakatwänden in Meran, wo sonst Werbung prangt, anzubringen. Zum einen geht es darum, das Festival auch auf die Bildende Kunst auszuweiten und Bildende Künstler zu involvieren. Zum anderen gefiel mir die Idee, dass jene öffentlichen Flächen, wo sonst Unterwäsche-Models prangen, von den Künstlern – zumindest während des Festivals – „zurückerobert“ werden. Wenn du nur Werbungen von halbnackten Frauen siehst oder Banken, wächst nichts in dir. Im Gegenteil: Die Werbung verwandelt den Körper der Frau in ein spekulatives Objekt, das einzig dem Markt dient. Siehst du aber Kunstwerke im öffentlichen Raum, meine oder die von jemand anderem, kann dies inspirieren. Die Stadt gibt dir etwas, deine Stadt gibt dir etwas. Und das kannst du nicht kaufen.
Die originalen Bilder von Sebastian Kulbaka sind vom 6. bis zum 11. Juni 2017 im Centro per la Cultura in Meran zu sehen. Der Künstler ist 1985 in Lodz in Polen geboren, in Meran aufgewachsen, hat an der Accademia di Belle Arti di Roma studiert und die Accademia di Belle Arti di Venezia in Malerei mit Diplom abgeschlossen. Sein künstlerisches Interesse gilt zurzeit der relationalen Kunst, der destruktiven Kunst und dem Gedächtnis des Schmerzes.
Fotos: Linda Jasmin Mayer
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