Music

June 2, 2017

“Ich lege Wert auf Aufrichtigkeit” – Michaela Senn @ Heart of Noise

Kunigunde Weissenegger

Und gleich mitten rein: “Eine Folge von Fragmenten: kontinuierliche Variation. Lichtblitze. Es nicht so gliedern, dass es einen definitiven Sinn ergibt. Unwahrnehmbar-Werden. Jede Figur: wie wenn man einen Brückenkopf errichtete und dann alles auseinanderstöbe, in alle Richtungen. Mutmaßliches Prinzip der Unerschöpflichkeit: einen Projektionsraum schaffen. Die Herrschaft unterlaufen und das Begehren, von dem alles seinen Ausgang nimmt…”

Dieser erste Track “le désir” (03:27) kann über Bandcamp angehört werden. – Ihr könnt ja versuchen mitzu”singen”. – Die weiteren acht – déplacement, processus, désobéissance, atopie, systéme, en théorie, dispositif, réverbération – präsentiert Michaela Senn erstmals beim Heart of Noise 2017 am Sonntag, 4. Juni um 23 H im Treibhaus Turm in Innsbruck. Das Auftragswerk ist Nummer 05 der Heart-of-Noise-Vinyl-Edition-Serie und hat der Schöpferin (Jahrgang 1985, aus Sterzing, mehr oder weniger sesshaft in Innsbruck, aber eh alles relativ, da “das sujet incertain respektive Objekt verschiedener Diskurse weniger spricht, als dass vielmehr durch es gesprochen wird“), anfangs anscheinend Kopfzerbrechen bereitet. – Barthes, oder wem auch immer, sei Dank hat sie angenommen und aufgenommen. 

Theater, Text, Video, Performance, Schauspiel, Regie. Geht das alles in eine Person rein bzw. aus einer raus? – Vielleicht kann das Vinyl-Album auch als Lebensabschnittsresümee vieler gesehen werden, wie andere allein Memoiren, Biographien schreiben, Leben ordnen, sich (sehr) auf sich selbst konzentrieren, whatever … Il messaggero non è importante.  

Wie sie auf die Frage nach Erwartungen – unseren – antwortet, ist erfrischend, aufrichtig und stimmt mich, persönlich, zuversichtlich, versöhnlich. Kein Standard, einstudierter. Variation, Undefiniertheit, Verblüffungsmomente – zulassen und nicht bloß Worthülsen. Mehr Senn braucht dieses Jahrhundert. 

Deine Arbeitsweise ist sehr vielseitig. Welche Themen beschäftigen dich? 

Das ist schwer zu beantworten … Es gibt Dinge, die mich jahrelang gedanklich beschäftigen, aber nie in künstlerischen Arbeiten Eingang finden, dann gibt es Themen, die mich spontan “anfliegen” und die sofort in eine künstlerische Auseinandersetzung einfließen. Da habe ich weder einen üblichen Ablauf noch ein Rezept, dem ich folge. Auch habe ich nicht das Gefühl, dass ich irgendwo angekommen bin und aus einer distanzierten Position über das, was ich mache, sprechen kann.
Ich lass mich gerne zu Themen inspirieren, über die jemand faszinierende Gedanken äußert – vielleicht ist es so am besten zu beschreiben. 
Die Arbeitsweise hat sich aus einer permanent wiederkehrenden Unzufriedenheit ergeben: Ich dachte ganz lange, dass Schauspiel das ist, was ich wollte, musste aber bald feststellen, dass mich das nicht wirklich glücklich macht. Ich habe Perspektiven gewechselt und verschiedene Positionen ausprobiert: Regie, Schreiben, Filme machen, hörspielartige Beiträge usw. Vieles davon wollte ich ausprobieren, anderes wurde mir quasi aufgetragen und ich habe mich oft einfach darauf eingelassen, ohne zu wissen, wo genau es mich hinführen würde. Es waren wahnsinnig schöne und intensive, aber auch anstrengende, aufzehrende und belastende, dann wieder euphorische und ermutigende Erfahrungen dabei.

Wie arbeitest du Stoff auf? Worauf legst du Wert? 

Das hängt häufig von den Rahmenbedingungen ab. Und die haben auch oft mit ungeliebter Bürokratie oder Wirtschaftlichkeit zu tun.
Man muss ja auch ganz klar sagen, dass ich nicht immer die Voraussetzungen habe, Themen künstlerisch so aufzuarbeiten, wie ich mir das wünschen würde. Da geht es immer um Kompromisse, um Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber FördergeberInnen und unvorhersehbare Ergebnisse. Die Frage, die sich immer stellt, ist, ob man trotz der vielen Kompromisse noch in etwa das umsetzen kann, worum es EIGENTLICH geht. Die Situation von KünstlerInnen, die außerhalb von Institutionen arbeiten, ist häufig sehr belastend und beruht auf vielen Formen der Ausbeutung und unzähligen Momenten bzw. Situationen der Rechtfertigung.
Vielleicht sind das wiederum die Themen, die mich beschäftigen und auf gewisse Weise immer weiter treiben und in Projekte einwirken.
Ich lege Wert auf eine Art Aufrichtigkeit im künstlerischen Ausdruck. Ich glaube, eine zeitlang hat man das beispielsweise Authentizität genannt, aber das Wort ist mittlerweile so hohl, dass es nichts Wirkliches mehr zu sagen vermag. Diese Art von Aufrichtigkeit, die ich meine, hat nicht unbedingt mit Privatheit zu tun, und sie ist auch nicht so gut mit Worten zu beschreiben oder an Merkmalen auszumachen. Aber vielleicht reicht es auch, wenn ich einfach sage, dass ich Wert auf Aufrichtigkeit lege.Michaela Senn Heart of Noise

Wie wichtig ist dir die Zusammenarbeit mit anderen?   

Das hängt von der Art des Projektes ab. Im Bezug auf “sujet incertain” war für mich schnell klar, dass das kein Projekt sein kann, das ich gemeinsam mit anderen umsetze.
Im Theater ist Zusammenarbeit mit anderen quasi unumgänglich. Aber die Wichtigkeit kann ich nicht prinzipiell beurteilen.

Beim Heart of Noise released du dein Album “sujet incertain” – was hat es mit dem Titel auf sich? Was erwartet uns?

Den Begriff “sujet incertain” – also “ungewisses Subjekt” – hat Roland Barthes in seiner Antrittsrede am Collège de France 1977 verwendet: “Je devrais sans doute m’ interroger d’abord sur les raisons qui ont pu incliner le Collège de France à recevoir un sujet incertain, dans lequel chaque attribut es en quelque sorte combattu par son contraire…”
Das hat mich berührt und alle Fragen, die Barthes im Folgenden stellte, die Gedanken, an denen ich lesend teilhaben durfte, und das Verwerfen der eigenen Antworten, das Neu-Denken – all das hat mich unglaublich fasziniert. Die Unverortbarkeit seiner Selbst, die ich selten irgendwo so intensiv und doch auch so selbstverständlich wie bei Barthes erlebte, hat in mir ein Gefühl der Ruhe, der Zuversicht ausgelöst. Durch Barthes habe ich es irgendwie erst so richtig geschafft, diese LP – also ein Medium der MusikerInnen – zu denken. Die Vorstellung wurde durch ihn erst so richtig möglich. Ich meine… ich frage mich wirklich immer noch, wie es nur dazu kommen konnte, dass ich diese Vinyl Edition mache. – Wie kommt man auf diese Idee …? Das darf man jetzt nicht falsch verstehen, ich freue mich darüber natürlich sehr, aber dieses Angebot oder diese Anfrage hat mich tatsächlich perplex gemacht – ich habe einen Monat darüber nachgedacht, ob das überhaupt gehen kann, was für mich völlig untypisch ist. 

Was erwartet euch? Diese Frage höre ich in letzter Zeit öfter und ich kann sie selber nicht beantworten. Vielleicht will ich sie auch nicht beantworten. Alle Erwartungen, die ich vorher “prophezeie”, setzen dem Ganzen schon eine Etikette auf, die man sonst vielleicht nicht damit assoziieren würde. Ich zitiere mich selbst (aus dem kurzen Text zur Arbeit): “Die Intention der Autorin bildet dabei nur eine von vielen gleichermaßen legitimen Lesarten.”

Wie verbunden fühlst du dich dem Heart-of-Noise-Motto von 2017 “Pop Life”?

Vom Motto habe ich erfahren, als die Arbeit an der Platte abgeschlossen waren. Die Sound-Files waren auf dem Weg ins Presswerk und somit hat es meine Arbeit eigentlich gar nicht beeinflusst. Im Nachhinein einen Bezug zum Motto des Festivals herstellen – das kann man natürlich irgendwie machen, aber es war von mir nicht intendiert. 

Foto: Michaela Senn, Heart of Noise (c) Christa Pertl; Album-Cover “sujet incertain” Michaela Senn, Heart of Noise

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