Music

May 29, 2017

“Das sinnliche Zeigen einer anderen Lebensrealität”: Heart of Noise 2017

Kunigunde Weissenegger

Kreuzverhör. Vielleicht nützt es zur Vorbereitung auf die siebte Ausgabe des Heart of Noise, sich mit Fragen zu beschäftigen …1. Macht dir Pop Angst? 2. Was tust du dagegen? 3. Hast du keine Angst vor Pop (weil du materialistisch denkst, weil du nicht materialistisch denkst), aber Angst vor Mainstream? 4. Was stört dich an Pop? 5. Hast du Pop-Freunde? 6. Hast du schon Pop-Menschen geküsst? … (etwas frei nach Max Frischs Fragebogen zum Tod) 

Seelenspiegel. Sicher ist das Motto (Pop Life), das Line-Up des Festivals und, dass kommenden Freitag, Samstag, Sonntag, 2., 3., 4. Juni, an die 25 Acts Klangteppiche über Innsbruck legen: UpPsychic TV, Jenny Hval, Fennesz & Arve Henriksen, Willam Basinski Monolake, Forest Swords, Ital Tek, Maja S.K. Ratkje, Islam Chipsy & EEK Amnesia Scanner, Damien Dubrovnik, Peder Mannerfel, Samuel Kerridge Sote, Huerco S., Hans Platzgumer, Nadah El Shazly, Ola Saad, Restless Leg Syndrom, Michaela Senn, Bosaina, Dieb 13, Kathrin Stumreich, Cassawarrior, Champagne Mirrors. Der Stadtsaal wird umgebaut, bespielt werden Treibhaus, Hofgarten, Pema Tower, Stadtarchiv und A4. 

Lösung. Stefan Meister und Chris Koubek, die Organisatoren, stellen auch Fragen: What’s the matter with your Life? Gibt es eine Möglichkeit der Künste jenseits von E und U? Wenn deine Musik eine Geschichte aus deiner Straße erzählt, ist sie politisch, ist sie pop … – Vielleicht sollten wir sie mal darauf antworten lassen. 

Was zerbröselt das Heart of Noise heuer? Wie würdet ihr die Frage beantworten, die ihr im Booklet stellt: Gibt es eine Möglichkeit der Künste jenseits von E und U?

Stefan: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir werden die Krusten aus E und U solange zerbrechen, zerbröseln und zerreiben, bis eine neue Erde entstehen kann, auf der die zarten Blümlein kommender Künste wachsen werden. Dazu stehen im Line-Up des Festivals nicht nur KünstlerInnen, die selber Genregrenzen sprengen oder so spielen, wie wenn diese noch nie vorhanden gewesen wären, oder gar so klingen, wie wenn sie das überhaupt nicht machen würden, wie bei der Transgenderikone Genesis P-Orridge, oder bei Islam Chipsy, der ägyptischen Chaabi von einer Hochzeitsmusik zu einem völlig artifiziellen Virtuosenwahnsinn transzendiert hat. William Basinski evoziert den Geist der Popmaschine David Bowie, Wolfgang Voigts Projekt GAS erzählt die deutsche Romantik als Maschinenraum, der Hofgarten wird den „Egyptian Female Avantgardists“ gewidmet.  

Wie fühlt es sich an, im Herzen der Klangwelt zu sein?

Stefan: Das würde ich auch gerne einmal wissen. Heart of Noise zeigt auf jeden Fall mögliche Wege heraus aus der Taubheit und dem Tinnitus des Musikmainstreams. Heart of Noise zeigt dir, wo du hingehen kannst, um die Herzen der Klangwelten zu finden, in denen du sein würdest, wenn du wüsstest, wie gut es dort ist. Musik macht nicht nur Töne und Geräusche, sondern auch Räume und Welten. Schlaf nicht ein in deiner Blase, stop and smell the roses! 

Ist Noise der neue Pop? Und umgekehrt? Sind nicht alle Neudefinitionen von Pop bloß Ausreden?

Gleich wie das Noise im Heart of Noise nie für Noise Musik im engeren Sinn gestanden hat und steht, geht es beim Pop in unserem Pop Life natürlich auch nicht um die Popmusik, die uns auf Ö3 oder im Shopping-Tempel nervt. Pop ist für uns die Möglichkeit einer gelebten positiven Utopie mit den Mitteln der Kunst. Das sinnliche Zeigen einer anderen Lebensrealität. Das Aufbrechen von Grenzen, die es gar nicht gibt, die Politik, Religion oder Marketingstrategen gerne aufziehen, um Macht erhalten oder den Profit steigern zu können. 

Wie stellt man, sozusagen umzingelt von zeitgenössischen Festivals, jedes Jahr ein spannendes und Publikum anziehendes Programm zusammen?

Stefan: Ich fürchte mich schon lange vor der grauenvollen Möglichkeit, irgendwann einmal nicht mehr wenigstens versuchen zu können, offen und herrlich, forschend, entdeckend und lebendig zu sein, sondern „zeitgenössisch“, also erstarrt auf der U-Seite der Ständestaatsklischees von E und U. Wenn du irgendwann gar zur „Moderne“ gehörst, ist es Zeit, abzutreten und dich wieder neu zu finden. Umzingelt fühlen wir uns nicht von anderen Festivals, sondern von den Verwertungstrategien der Produzenten von Konservenmusiken. Der Musikantenstadl ist überall, der Noise übertönt die ozeanische Vielfalt der Musikkulturen, er beraubt dich deiner Freiheit, eine Ahnung davon geben wir zurück, laut, leise, grell, sanft und spektakulär. 

Wie wär’s mit einem Resümee der letzten sieben Jahre?

Chris: 2011 startete Heart of Noise mit einem Zweitagesfestival mit Performances im Cinematograph und der p.m.k und widmete sich ganz dem Drone, der damals auf seinem Höhepunkt als dominante Strömung im aktuellen Musikgeschehen gewesen war. 
2012 pendelte das Heart of Noise Festival zwischen Dub Techno (Moritz von Oswald), Black Metal (Wolves in the Throneroom), neuer Musik (Bernhard Gander), Hauntologie (The Caretaker/Demdike Stare) und vielem mehr und ging an so unterschiedlichen Orten wie dem Leokino, der Orangerie im Congress, der Stattstube bei der Innbrücke, der p.m.k und der Bäckerei über die Bühne. 
2013 war das erste Jahr im Stadtsaal und der Wiese davor auf der extra errichteten Stadtraumskultpur „birdie“ und der Schwerpunkt des Festivals lag nicht mehr auf der Präsentation der Spielarten eines Genres, sondern auf einer historischen Entwicklungslinie, die die elektronische Musik der letzten 30 Jahre entscheidend geprägt hat, unter dem Motto: „Detroit, Berlin and Beyond“. Mit dabei: Jeff Mills, Dopplereffekt, Andi Stott, Mark Fell, Shakleton, Oren Ambarchi etc. 

In der vierten Auflage unter dem Titel „See Breeze. Die Schönheit ist dem Menschen zumutbar“ widmete das Heart of Noise 2014 einen Schwerpunkt den neuen Formen der Kollaborationen zwischen Audio und Video, vom Avant Synth Pop einer Holly Herndon, bis zur Ästhetik des technisch erhabenen wie bei Ryoji Ikeda. 
2015 stand das Festival unter dem Motto „From Ontology to Hedonism with no Breaks“ und sträubte sich damit schon im Titel gegen die Verschubladisierung, Verkleingruppung der interessantesten Strömungen der Gegenwartsmusik. 2015 war daher auch Genrebending angesagt. Vom auf den ersten Blick nicht ganz so Offensichtlichen, wie beim Electro Lore Barden Alexander Marcus, über ganze Subkulturen mitbegründende Großfiguren wie Kevin Martin, führte jeder Nachmittag und jeder Abend vom fundamentalontologischen Totalexperiment über die Suche nach bisher ungehörten Klangobjekten bis dorthin, wo die Klänge und Rhythmen als Können kommen, bei den Beatmastern wie Objekt, Actress, Prurient, Perc und Shifted.
2016 zeigte Heart of Noise Dub und Reggae als Quelle von Inspiration und als Auffassung von Produktionsweisen. Dabei haben wir uns aber nicht für das offensichtliche interessiert, also für Dubbands, die wegen Dubbands wie Dubbands spielen, sondern für die KünstlerInnen, die Szenen, Großstadtbewegungen und Umfelder, die die ursprünglichen Hallräume, die Hauntologensamples, die Visionen eines imaginierten verlorenen karibischen Sonnenscheins, die Widerständigkeit der Upsetter des Dub, die Utopie des Totalausstieges aus der kapitalistischen Verwertungslogik, aber auch die hedonistischen Tunnelvisionen aus Bass und Blitzlicht wie im Technodub realisieren, zelebrieren, inszenieren und an neue Grenzen führen.  

Abschließend: Was ist euer Ansporn, Chris und Stefan? Woraus schöpft ihr?

Stefan: Hauptsächlich aus dem Urlaub nach dem Festival.
Chris: Ja ein bisschen Ruhe braucht es auf jeden Fall nach den extrem intensiven Festivaltagen, aber wenn alles gut gelaufen ist, bekommt man schon auch einiges an Energie zurück. 

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