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May 11, 2017

E TE TSE #14
Warum wir alles scheiße finden

Michael Brugger

Ich gebe zu, ich liebe den neuen Song von Bibi. Wer nicht weiß, wer Bibi ist – schämt euch! Schämt euch in Grund und Boden, denn Bibi ist der hellste Stern am deutschen YouTube-Firmament. Größer als Y-Titty und Gronkh es jemals waren. Wem all diese Namen immer noch nichts sagen, der sollte am besten seine Kinder, Enkel, Neffen oder Nichten fragen.

Ich liebe Bibis Song. Nicht, weil sie die Stimme eines Engels hat, der als Kind einmal in eine Autotunemaschine gefallen ist. Auch nicht, weil die Melodie so klingt, als würde sie von Parthenope höchstpersönlich gesungen werden. Und auch nicht, weil das Musikvideo so aussieht, als wäre es Anwärter auf einen MTV Music Video Award. Das alles ist nämlich nicht der Fall. Mit Bibis Song ist es wie mit Donald Trump, Mario Barth oder Alex Vieider: Die Leute lieben es, sich darüber lustig zu machen. Sie finden es geil, alles scheiße zu finden.

Mit dem Medium YouTube – oder mit Social Media im Allgemeinen – ist es aber etwas anders. Man muss nichts Besonderes können, man braucht kein Talent, keine Ausbildung, man braucht theoretisch nicht einmal teures Equipment – jeder kann im Netz berühmt werden, wenn er es richtig anstellt. Diejenigen, die erfolgreich sind (die meisten zumindest), müssen dann aber damit leben, dass sie künstlerisch nicht akzeptiert werden, weil sie (wiederum: die meisten von ihnen) keine künstlerisch wertvollen Inhalte umsetzen. Die Entschädigung: tonnenweise Geld dafür, dass sie jede Woche ein neues Produkt in die Kamera halten. Das nennt sich Onlinewerbung, und es ist vollkommen in Ordnung, dass Menschen ihr Geld damit verdienen. Aber dann sollten sie sich bitte nicht als KünstlerIn bezeichnen.

Ab und an versuchen sich auch manche an ambitionierten Projekten, um sich entweder künstlerisch zu entfalten, oder um Geld mit etwas eigenem zu verdienen. Das hat in Vergangenheit auch meist gut geklappt – viele YouTuber haben in den letzten Jahren eigene Songs oder Alben produziert, die vom Zielpublikum und auch oft darüber hinaus sehr positiv aufgenommen worden sind. Nun kam aber ein Song – der von Bibi – der qualitativ schlicht und einfach nicht für sie gemacht wurde. Man merkt, dass sich der Autor nicht viel Mühe gegeben hat, dass sich der Komponist nicht viel Mühe gegeben hat und dass sich der Produzent nicht viel Mühe gegeben hat. Und obwohl das Lied qualitativ ein Griff ins Klo war, macht er, was er soll: Er wird auf YouTube angeklickt und macht Geld. Doch der Griff ins Klo ist der Eindruck der bleibt. „KünstlerInnen“ wie Bibi sind erfolgreich geworden, indem sie Produkte beworben und mit ihren Fans interagiert haben. Die neuste Hautcreme von Nivea gemeinsam mit einer Lebensweisheit „Wie schaffe ich es, dass Papa mich mit Murat von der Dönerbude ausgehen lässt“. Dafür braucht es kein Talent, man braucht keine Ausbildung, man investiert kein Geld, aber man verdient massenhaft davon. Man könnte auch sagen, sie werden fürs Nichtstun bezahlt, und niemand, der für das Geld, das ein YouTuber in einem Jahr verdient, zwei oder drei Jahre ackern muss, gönnt ihnen das Geld wirklich – ich zumindest nicht. Nun hat aber einer dieser „KünstlerInnen“ diesen Griff ins Klo gemacht, ein negativer Kommentar führte zum nächsten und das löste eine gewaltige Welle des Hasses und der Schadenfreude aus. Kontraproduktiv, denn das ist genau das Prinzip, das auch der Satire schon zugrunde liegt: Erfolg durch Medienpräsenz. THERE IS NO SUCH THING AS BAD PUBLICITY!

Ich bin mir übrigens der Ironie der letzten Zeilen bewusst. Ein Trostpflaster gibt es aber trotzdem: Wenn du nur von Aufmerksamkeit für deine Person und nicht für deine Arbeit lebst, dann bist du eine arme Sau.

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