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February 28, 2017

Kultur vermittelt sich auch durch Gastfreundschaft. Karin Pernegger, Kuratorin der 5. Trienala Ladina

Franz

Insgesamt 44 Künstlerinnen und Künstler haben sich für die fünfte Auflage des ladinischen Kunstwettbewerbes beworben. Am Ende hat die internationale hochkarätig besetzte Jury sechs von ihnen ausgewählt. Die Arbeiten von Gabriele Grones, Hubert Kostner, Nessi (Vanessa Layher), Notta Caflish, Simon Peratohner und Andreas Senoner sind bis 11. Juni 2017 [Do–Sa 15–19 H] im Museum Ladin in St. Martin in Thurn im Gadertal zu sehen. Kuratiert hat die Trienala Ladina „High Five“ 2016/2017 Karin Pernegger. Wir haben uns mit der Kunsthistorikerin, Kuratorin und Leiterin des Kunstraums Innsbruck über die Ausstellung unterhalten.   

Die sechs KünstlerInnen wurden von einer international besetzten Jury ausgewählt: Adam Budak (Chef-Kurator der National Gallery Prag), Gianluca D’Incà Levis (künstlerischer Leiter von Dolomiti Contemporanee), Carl Aigner (Direktor und künstlerischer Leiter des Landesmuseums Niederösterreich in St. Pölten) und du selbst. Wie wurde die endgültige Entscheidung getroffen? 

Aus den zahlreichen und detaillierten Einreichungen haben wir uns jeweils einstimmig für die einzelnen künstlerischen Positionen entschieden. Uns war es wichtig, die Vielfältigkeit der Positionen zu unterstreichen, somit wählten wir aus unterschiedlichen Sparten die KünstlerInnen, von der klassischen Skulptur und Malerei, bis zur politischen Installation oder Konzeptkunst bis hin zur Street Art.  

Ziel der Trienala Ladina ist es, das künstlerische Schaffen in den ladinischen Gebieten aufzuwerten und zu unterstützen. Welche Kriterien habt ihr angewandt, um dieses Ziel zu erreichen?

Einerseits versuchten wir aus den Einreichungen, wie oben beschrieben, die Vielfältigkeit der unterschiedlichen künstlerischen Stilrichtungen zu unterstreichen, aber auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der ladinischen Kultur in den Arbeiten widergespiegelt zu finden, wie es vor allem Hubert Kostner und Simon Perathoner umgesetzt haben. Hinzu kommt, dass ich gemeinsam mit Michael Moling vom in St. Martin ansässigen und sehr engagierten Büro MiSign unter dem Titel „High Five“ ein Ausstellungsdesign entwickeln konnte, das nicht nur auf das Jubiläum der 5. Trienala, sondern auch auf die verschiedenen fünf Täler reagierte, indem wir die Trachtenmuster als Basis des Ausstellungsdesign in Bahnen (vom Boden bis unter die Decke) durch den Ausstellungraum laufen lassen und teilweise auch die Kunst darauf installierten. Damit erschließt sich die Gegenwart der traditionellen ladinischen Kultur mit der Zeitgenossenschaft. 

Trienala Ladina High Five - Foto Museum LadinWie holen die Werke der Trienala Ladina das Publikum an die Werte und Geschichte der ladinischen Kultur heran?

Mit dem Verweis der Ausstellungsarchitektur auf die unterschiedlichen Trachtenmuster siedeln wir die Auseinandersetzung sprichwörtlich am Stoff der historisch eingeschriebenen ladinischen Kultur an und verstehen das Gestalten von Kultur als bildnerische Aussage in jeglicher Hinsicht. Hier versuche ich nicht, jede Tracht zum Kunstwerk zu erheben, sondern den gemeinschaftlichen Gestaltungswillen als Ausgangspunkt jeglicher kultureller Entwicklung zu verstehen. Damit konzentriert sich der Dank an das Museum, mit seiner Gründung auch dieses Format der Trienala ins Leben gerufen zu haben, um in Kontinuität dieses gemeinschaftlichen Gestaltungswillens der ladinischen Künstlerschaft einen Ort der Auseinandersetzung zu geben. Mit der direkten Auseinandersetzung der in die Ausstellungsarchitektur integrierten Stoffmuster wird deutlich, wie vielfältig Kultur betrachtet wird, die wir uns sprichwörtlich „anziehen“, die wir täglich leben.

Denkst du, dass Kunst nur Möglichkeiten eröffnen kann, wenn sich ein/e Künstler/in seiner/ihrer Identität bewusst ist?

Ich meine, die Auseinandersetzung mit ihrer/seiner Identität ist uns allen ein Wesentliches und Wichtiges und deswegen nicht von der künstlerischen Arbeit zu trennen. Der Punkt liegt vielleicht darin, zu erörtern, ob wir uns in unserer Identität nicht bestätigt oder akzeptiert fühlen. In der Auseinandersetzung mit der ladinischer Kultur ist mir vor allem aufgefallen, dass diese sich nicht auf ein auf der Landkarte eingezeichnetes Gebiet bezieht, sondern sich wesentlich durch einen Sprachraum definiert, der in Deutschland wie auch in der Schweiz gegenwärtig ist. Jenes nomadische Prinzip der Fortsetzung von Sprache hat auch Hubert Kostner in seiner Arbeit aufgenommen, indem er zufällig getroffenen Menschen auf dem Weg vom Museum zu sich nach Hause gefragt hat, ob sie den Satz „Ich bin ein Ladiner, ich bin einer von euch“ vom jeweils zuvor auf Band gesprochenen Passanten nachsprechen. Auf Basis der unterschiedlichen Herkunft der PassantInnen verändert sich auch die Aussprache. Damit zeigt sich nicht nur die Versöhnungsgeste Kennedys „Ich bin ein Berliner“ in dieser Arbeit, sondern auch der wesentliche Punkt der Lebendigkeit der ladinsichen Kultur, sich durch ihre Sprache über Generationen und Grenzen hinweg fortgesetzt zu haben. – Auch wenn es über die Zeit hinweg Mutationen oder Veränderungen gab. 

Wie hat sich die Wahrnehmung der ladinischen Kultur nach deiner Erfahrung als Kuratorin der Trienala geändert? 

Es hat mich wieder in dem Punkt sensibilisiert, zu verstehen, dass wir EuropäerInnen aus vielfältigen Kulturen gewachsen sind, und dies nicht in Abgrenzung, sondern gegenseitiger Wertschätzung und Beachtung verstehen müssen. Europäer sein heißt nicht, dass wir uns eine neue Identität „anziehen“ müssen, sondern das Verständnis, dass wir eine Gruppe von vielen sind, deren Identitäten wir nur gemeinsam bewahren und schützen können. 
Es war für mich eine besondere Erfahrung, so einen intensiven Einblick in die ladinische Kultur zu bekommen, nicht nur durch den persönlichen Austausch mit den KünstlerInnen und allen Beteiligten im Museum, sondern auch zu erfahren, wie positiv die BesucherInnen die Gestaltung der Ausstellung aufgenommen haben. Über das Thema der Tracht war sofort der Kontakt zur Kunst geschlossen, aber auch eine Geschichte erzählt, aus welchem Tal man selber komme. Kultur vermittelt sich auch durch Gastfreundschaft, deswegen war es mir ein Besonderes über die intensive Vorbereitungszeit so herzlich aufgenommen zu sein und zu einem kleinen Stück auch den Gästen der ladinischen Kultur den Teppich auszurollen, um ein wenig auf den Pfaden künstlerischer Praxis ladinischer Kultur wandeln zu können.

Trienala Ladina 2016 ”High Five”
Museum Ladin Ćiastel de Tor
St. Martin in Thurn, Gadertal

10.9.2016–11.6.2017

Fotos: (1) Andreas Senoner, (2) Museum Ladin

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