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December 1, 2016

Den eigenen Weg suchen + finden: Heidi Gronauer über die ZeLIG

Christine Kofler

Film ab! Am Freitag und Samstag, den 2. +3. Dezember 2016 ab 16 H feiert die Filmschule ZeLIG den Abschluss des vergangenen Ausbildungszyklus mit einem großen Filmfest. Gezeigt werden zehn Diplomfilme, an denen die AbsolventInnen über ein Jahr lang gearbeitet haben. Sie schicken die ZuseherInnen auf eine Reise um die ganze Welt – vom abgeschiedenen Alpental bis in die chinesische Peripherie, von den äquatorialen Wäldern Südamerikas bis in die Arktis. CineastInnen und alle, die dem hollywoodianischen Einheitsbrei entfliehen möchten, dürfen dieses Wochenende also aus dem Vollen schöpfen und treffen sich im Filmclub Bozen. (hier geht’s zum Programm). Heidi Gronauer, Direktorin der ZeLIG Filmschule, erzählt im Interview mehr über die Abschlussfilme, den didaktischen Ansatz von ZeLIG und über den Weg hin zum eigenen filmischen Erzählen.

Am 2. und 3. Dezember 2016 feiert ZeLIG den Abschluss des dreijährigen Ausbildungszyklus 2013–2016. Zehn Diplomfilme werden im Filmclub Bozen vorgestellt. Ist 2016 ein „guter“ Jahrgang?

Die Frage würde ich gerne von einer anderen Seite her beantworten: Das didaktische Konzept der Zelig sieht vor, dass jeder Student bzw. jede Studentin sich in seiner und ihrer kulturellen, sprachlichen und filmischen Eigenständigkeit und Einzigartigkeit entwickeln kann. Der Jahrgang misst sich also nicht nur am Endprodukt, sondern an auch daran, was die Ausbildung in den StudentInnen ausgelöst hat. In diesem Sinne ist es ein sehr guter Jahrgang. Ich glaube, dass der Versuch, eigene und gesellschaftlich relevante Themen formal adäquat aufzuarbeiten, sehr gelungen ist. Es gibt einige sehr wichtige Filme, also gesellschaftspolitisch relevante Filme.
Um nur einige Beispiele zu nennen: Der Film Medzi Nami (Before I met you)thematisiert das Geburtserlebnis im Kreißsaal, diese ganze Maschinerie rundherum, die Frauen zu Kranken macht. In diesem Fall geht es um die Schwierigkeit der Geburt in einem slowakischen Krankenhaus. Der Film hat in der Slowakei eine Debatte über die Bedingungen, unter denen Frauen Kinder gebären, ausgelöst. Oder der Film Hidden Photos, der die Darstellung eines Landes, in diesem Fall Kambodscha, hinterfragt. Einer der beiden Fotografen, um die es im Film geht, Kim Hak ist von der Alexander-Langer-Stiftung zu einer Gesprächsrunde nach Südtirol eingeladen (Anm. d. Red.: Samstag, 3.12. um 10 H @ Liceo Carducci über Fotografie und Erinnerung). Auch das Amt für Kabinettsangelegenheiten hat den Fotografen eingeladen. Zusätzlich wird der Film in Piemont bei einer Veranstaltung zum kambodschanischen Genozid gezeigt. Wir als ZeLIG Filmschule versuchen die Abschlussfilme unserer StudentInnen also auch einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, etwa auf Festivals und anderen Veranstaltungen. ZeLIG_Students_Esame di Diploma_Diplomprüfung_2016_Press2

Die entstandenen Dokumentarfilme decken eine enorme geografische und thematische Bandbreite ab. Gibt es etwas, das alle Filme vereint?

Die StudentInnen arbeiten über ein Jahr lang an den Filmen, sie werden in allen Entwicklungsphasen – also in der Themenfindung, in den Bereichen Kamera, Schnitt oder Postproduktion – von ExpertInnen begleitet. Diese ExpertInnen versuchen, das Thema des Studierenden heraus zu kitzeln. Die gezeigten Filme schaffen es, glaube ich, die Verschiedenheit der Studierenden, ästhetisch und visuell, sehr gut darzustellen. Es sind AutorInnendokumentarfilme, die relevante Themen mit einem ganz speziellen, eigenen Blick betrachten.

Wie finde ich meinen eigenen ästhetischen und visuellen Blick?

Der erste Schritt ist immer die Realität zu erkennen, der zweite die Art und Weise zu finden, diese auszudrücken. Wir machen Übungen mit den Studierenden – etwa soll das eigene Leben dramatisiert werden. Wie würde ich mein Leben filmisch darstellen? Es geht auch darum, die eigene Position im filmischen Prozess zu verstehen, um anschließend kreativ werden zu können.
Der didaktische Ansatz der ZeLIG ist ein besonderer: Der Unterricht ist dreisprachig. Außerdem gibt es keine fixen DozentInnen, sondern wir laden  jedes Jahr andere, internationale ReferentInnen ein. So treffen in der ZeLIG ganz unterschiedliche Filmkulturen zusammen, ganz unterschiedliche Arten und Herangehensweisen, Filme zu realisieren. Die Studierenden sind so mit vielen Möglichkeiten konfrontiert und müssen sich ihren eigenen Weg suchen. Das unterscheidet uns von einigen anderen Filmschulen, wo es stets dieselben charismatischen DozentInnen gibt, in deren Fußstapfen die Studierenden treten. Für AbsolventInnen ist es dann oft schwer, auszuscheren aus dem Konzept, das ein/e sehr starke/r FilmemacherIn vorgibt.Shooting MOON EUROPE

Die DozentInnen sind international. Woher kommen die Studierenden der ZeLIG?

Vor allem aus dem italienisch- oder dem deutschsprachigen Raum, aber auch aus anderen Ländern, etwa in diesem Jahr aus Israel oder der Slowakei. Eine der AbsolventInnen hat beispielsweise vorher zehn Jahre in China gelebt. Sie hat den Film Happy New Yearrealisiert – ein Film über einen vierzigjährigen Chinesen, der verbittert auf sein Leben zurück blickt, auf einstige Hoffnungen und Träume. Er erzählt von der Trauer, nicht mehr träumen zu können. Und verweist gleichzeitig auf die Gegenwart Chinas zwischen Wirtschaftsboom und repressiver Gesellschaft. Der Film konnte nur realisiert werden, weil die Studentin selbst in China gelebt hat, chinesisch spricht und mit der Kultur vertraut ist.

Die digitale Revolution hat auch den Film komplett verändert. Wie geht ihr als Institution mit diesen ständigen Veränderungen der Produktion und Verbreitung von Inhalten um?

Unabhängig, ob man für’s Web oder Fernsehen produziert, crossmedial oder linear arbeitet – der Kern ist immer: „Wie erzähle ich meine Geschichte? Wie verändern sich die ProtagonistInnen und wie verändere ich mich als FilmemacherIn?“ Im dreijährigen Ausbildungszyklus arbeiten wir eher traditionell, obwohl es natürlich auch Seminare zum crossmedialen Erzählen gibt. Bei ESODOC hingegen steht das Crossmediale stärker im Fokus, da die TeilnehmerInnen ja bereits Profis sind und sozusagen die Grundlagen des Erzählens bereits beherrschen.Shooting_DUSK CHOURS_in Ecuador 2016-1244

Was deckt der Ausbildungszyklus ESODOC genau ab?

ESODOC ist ein einjähriges Programm für Leute, die bereits im Beruf stehen und bereits mindestens zwei Filme realisiert haben. Der Fokus liegt auf Dokumentarfilmen und Crossmedia-Projekten, die eine soziale Relevanz haben. Also umweltpolitische, soziale oder anderweitig gesellschaftspolitische Themen aufgreifen und ganz konkrete Änderungen herbeiführen möchten. Im Zentrum steht dabei die Frage: Wie kann ich ein brennendes Thema, am besten – filmisch oder als interaktives Projekt – nutzen, um eine Veränderung auszulösen? Ein Film aus dem Lehrgang, Drone von Tonje Hessen Schei, zeigt die Rekrutierung und Traumatisierung von Drohnenpiloten. Er wurde auch im Norwegischen Parlament gezeigt und hat eine riesige Debatte zu Drohneneinsätzen ausgelöst.

Alle Fotos von ZeLIG: (1) Heidi Gronauer umringt von den Studierenden des Jahrgangs 2013–2016; (2) Filmshooting Moon Europe, Arktis, ZeLIG Filmschule; (3) Filmshooting Dusk Chorus, Ecuador, ZeLIG Filmschule 

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