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November 11, 2016

Das Überdenken der Selbstverständlichkeit: Sylvia Barbolini bei Kunst boden_nah

Kunigunde Weissenegger

Eigentlich sollten sie zu diesem Zeitpunkt im Sehrspätherbst schon weg sein oder sich beeilen, abzuziehen. Hauptsächlich nachts sind sie unterwegs, fliegen sehr hoch, von den meisten Menschen unbemerkt, und eine der Hauptrouten führt tatsächlich über die relativ niedrigen Alpenpässe unter anderem auch durch das Eisacktal. 

Zugvögel“ heißt die Ausstellung bzw. Installation von Sylvia Barbolini, die von Samstag, 12. November bis (voraussichtlich) 2. Dezember 2016 auf Initiative von Kunst boden_nah in der Oberstadt in Klausen zu sehen ist (Vernissage am 12.11. um 11 H). Die an der “Accademia di Belle Art” in Venedig sowie an der “Facultad de Bellas Artes Alonso Cano” in Granada ausgebildete Malerin (die auch zeichnet, druckt, formt, komponiert, gießt und schnitzt) ist selbst ein Zugvogel – sie lebt und arbeitet in Südtirol und Rottweil – und meint mit dem wandernden Volk eben nicht nur die Tiere in der Luft über uns, sondern denkt auch an unser menschliches, unablässiges Wandern und Tagein-tagaus-in-Bewegung-Sein.

Mit Sylvia Barbolini haben wir uns über Zugvögel (klar!), Klausen (zwinker!) Überraschungsmomente (wow!) und Selbstportraits (huch!) unterhalten. Sylvia Barbolini Elitepartner

Sylvia, bald sehen wir etwas von dir in Klausen. Was für einen Eindruck macht das Städtchen auf dich?

Einen sehr romantischen. Ein so malerischer Ort muss einer Malerin einfach gefallen. 

Und daran anschließend sogleich: Warum Zugvögel?

Klausen liegt an einer Engstelle, an der alle Welt vorüber muss. Wie ein wahrhaftiger Fels in der Brandung versperrt der sogenannte Heilige Berg das Tal. Auf ihm thront das Kloster Säben, zu Füßen seiner besonnten Hänge liegt die verwinkelte Stadt. Der beständige Verkehr von Nord nach Süd, der an diesem Nadelöhr vorüber muss, hat der Siedlung gut getan. Wie die imposanten Bauwerke beweisen, wussten ihre Bürger die Kraft der Ströme immer gut für sich zu nutzen. 
Heute allerdings hat man das Gefühl, dass Menschen und Waren an dem überraschend ruhigen Ort vorübergehen. Sie rauschen auf der Brennerautobahn hoch über der Stadt vorbei. Ähnlich wie ein Vogelschwarm. Eilig und schreiend. Unpersönlich wirkt der Lärm. Bei genauerem Hinsehen aber werden die einzelnen Bestandteile des Durchgangsverkehrs sichtbar: Individuen, deren Existenz zerbrechlich und bedroht erscheint. Wie die einzelnen Gänse des Schwarms, der in der engen Gasse keinen Raum findet sich zu entfalten. In ihrer beständigen Flucht nach vorn, haben sich die Vögel in die Fußgängerzone der alten Stadt verirrt. Sylvia Barbolini - Zugvögel

Was sind die zentralen Themen in deinen Arbeiten? 

Die Beschäftigung mit der menschlichen Psyche nimmt den Großteil meines Schaffens ein. Schließlich geht es ja im Leben ständig darum sich und andere zu erkennen. Unvermeidliche Irrtümer und Zweifel führen dann zu einem mehr spielerischen Umgang mit Problemen, der wohl aus den meisten meiner Werke spricht.

Wann entscheidest du dich für das Thema einer Arbeit und wie weißt du, ob es eine Collage, eine Monotypie oder ein Objekt wird…?

Das ergibt sich zumeist ganz von selbst. Ich denke automatisch und beinah ausschließlich in Bildern und “sehe” somit gleich, was mir ein Gedanke werden will.

Was fehlt denn in den Arbeiten von Sylvia Barbolini niemals?

Ich denke irgendein Bezug zur verworrenen Welt der Empfindung.

Zeit heilt alle Wunden, Steh auf!, Überholspur, Der feine Unterschied, Die perfekte Tochter – sind Titel einiger deiner Collagen. Was reizt dich am Arbeiten mit Überraschungsmomenten?

Sie entlarven eine falsche Erwartung und bringen einen dazu Selbstverständliches zu überdenken.Gluehbirne mit Bremse Sylvia Barbolini

Sylvia Barbolini, schon mal an ein Selbstportrait gedacht? Wie sähe das aus?  

Witzigerweise habe ich mich während meines Studiums intensiv mit dem Selbstportrait als Genre beschäftigt, verspürte dabei aber keinen Drang, mich selbst auf diese Weise darzustellen. Mein Blick auf mich selbst scheint ein mehr nach innen gerichteter zu sein. Bislang jedenfalls spielte mein Gesicht und meine physische Erscheinung in solchen Überlegungen keine Rolle. 

Du lebst in Südtirol und Süddeutschland – warum? 

Nun, in Südtirol bin ich geboren und aufgewachsen. Die Natur und viele Menschen dort sind irgendwie ein Teil von mir und so fühle ich mich diesem Fleckchen Erde auf natürliche Weise sehr verbunden. Nach Süddeutschland, genauer gesagt ins Schwabenland, hat mich der Zufall geführt. Während meines Studiums in Venedig habe ich meinen Freund kennengelernt, der aus Rottweil am Neckar kommt. So lebe ich nun an beiden Orten und genieße die sich daraus ergebende Inspiration und Abwechslung. Die Region um die alte Reichsstadt herum macht es einem auch leicht sich wohl zu fühlen.  Die Landschaft ist vielfältig und bewegt. Ganz ähnlich wie in Südtirol gibt es schöne mittelalterliche Städtchen und auch die Mentalität der Menschen und ihr Dialekt sind von unserem gar nicht so sehr verschieden. So fällt es mir leicht, mich an beiden Orten daheim zu fühlen. Sylvia Barbolini Globalplayer

Wie unterscheidet sich die Kunst- und Kulturszene hier und dort? Was schätzt du? Was weniger?

Ich habe den Eindruck, dass die Kunstszene in Südtirol eine jüngere ist. Das heißt, dass gerade junge Künstler dort besonders gefördert werden. Auch mag die überschaubare Größe Südtirols dazu beitragen, dass im öffentlichen Raum mehr Aufmerksamkeit und Ruhe herrschen. In gewisser Hinsicht fühlt es sich an wie ein geschützter Ort, in dem sich besondere Dinge entfalten können. Auch in Deutschland gibt es solche für die Kultur wichtigen Rückzugsräume, sie sind aber größerer Konkurrenz ausgesetzt und behaupten sich schwerer. Gerade im ländlichen Raum stützt man sich daher gern auf große und etablierte Namen, was dem Nachwuchs bisweilen den Einstieg erschwert.

Was kommt demnächst?

Als nächstes habe ich mir schon lange vorgenommen, größere Skulpturen zu machen. Ich komme zur Zeit nur nicht dazu und das Ergebnis soll natürlich eine Überraschung sein.

Welche Frage möchtest du den Leserinnen und Lesern stellen? 

Warum sie nicht schon längst auf dem Weg nach Klausen sind.

Alle Fotos von Sylvia Barbolini außer (3) von Kunst boden_nah: (1) Sylvia Barbolini, (2) Elitepartner (3) Zugvögel, (4) Glühbirne mit Bremse, (5) Globalplayer

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