Music

October 12, 2016

Chormusik, Rausch und Experimente: Cantus Domus verlässt gewohntes Terrain

Text Nadja Röggla
Photography Mirja Kofler
Dem verstaubten Klischee nach wird Chormusik sehr oft mit  Zahnspangen, Uniformität, zu langem Rumstehen und hingenommener Langeweile verbunden. Der Berliner Chor Cantus Domus beweist jedoch, dass diese Form der Musik sehr viel mehr kann. Durch außergewöhnliche Konzertformate verlässt der 1996 gegründete Chor mutig gewohntes Terrain, lässt Grenzen verschwimmen und schafft Synergien. Die Klangexperimente und verschiedenen Kollaborationen mit Künstlern, wie Bon Iver oder Damien Rice, ermöglichen Zuhörenden dabei einen ganz neuen, unerwarteten Zugang zur Chormusik. 
 
Ab Donnerstag, den 13. Oktober wird Cantus Domus mit seinem Repertoire, welches von der Renaissance bis zum Jetzt reicht, zum zweiten Mal beim Kaltern Pop Festival 2016 zu Gast sein. Leiter und Dirigent Ralf Sochaczewskys hat uns vorab einige Fragen beantwortet:

In eurer Kurzbeschreibung auf der Seite des Kaltern Pop Festivals lese ich: “Auf den Auftritt in Kaltern darf auch gespannt sein, wer Chormusik eigentlich hasst, und immer alles daran gesetzt hatte, aus dem Schulchor zu fliegen.” Was unterscheidet euch denn von einem klassischen Chor, so wie wir ihn alle kennen?

In Deutschland haftete dem Chorgesang tatsächlich etwas von spießigem Vereinswesen an. Glücklicherweise ändert sich das in letzter Zeit und ich hoffe, dass schon bald Chöre in erster Linie mit Lebensfreude und schöner Musik verbunden werden. Wir arbeiten daran, indem wir in unseren Konzerten regelmäßig die normale Konzertsituation auflösen und uns so ins Publikum begeben, dass die ZuhörerInnen ein Teil des Chores und der Aufführung werden. 

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Mittlerweile zählt Cantus Domus über 100 Mitglieder. Wie und aus welchem Bedürfnis heraus ist Cantus Domus entstanden? Wie ging es dann weiter?

Ein Abiturjahrgang, der gemeinsam im Schulchor eine gute Zeit hatte, wollte das fortsetzen und hat mich gefragt, ob ich den neuen Chor dirigieren will. Seitdem waren wir immer neugierig und ambitioniert. So wurden aus den anfangs 18 SängerInnen mittlerweile über 140.

Bei den sogenannten Konzeptkonzerten singt ihr an ungewöhnlichen Orten, so wie zum Beispiel 2008 in einem ehemaligen Kühlhaus in Berlin, Kreuzberg. Wie ist diese Idee entstanden? Welches war das aufregendste Konzept bzw. Ort, wo ihr je aufgetreten seid? 

Wir singen an Orten, die bisher nicht als Konzertorte genutzt wurden, um neue Wechselwirkungen zwischen Musik und Architektur zu schaffen. Das Berliner Konzerthaus ist wunderbar, aber man ist dort einfach sehr festgelegt. Das ist anders an Orten, wo noch keine Konzerte stattgefunden haben – da ist jeder Zuhörer frei, zu hören, wie er will. Und wir haben natürlich auch mehr dramaturgische Möglichkeiten. Neben dem Kühlhaus war für mich Bachs h-Moll-Messe im Kraftwerk am spannendsten. Wegen des Gegensatzes zwischen dieser Industriekathedrale mit ihrer rohen, schroffen Betonästhetik und der Musik von Bach, die Barocke Architektur in Tönen malt. 

Neben den A-Cappella-Konzerten entstanden unter anderem auch Kollaborationen mit Künstlern wie The Slow Show, Damien Rice oder Loney Dear. Was hat euch dazu gebracht, Genres wie Rock, Folk oder Indie/Alternative mit der klassischen Musik zu vermischen? Was nehmt ihr aus solchen Erfahrungen mit?

Die Musiker sind uns immer mit einer großen Offenheit begegnet. Das gibt uns die Möglichkeit, mit ihrer Musik zu verschmelzen. Die Arrangements machen wir in der Regel selbst und so wird unser Cantus-Domus-Klang Teil des kreativen Prozesses. Das ist spannend und macht uns immer wieder sehr viel Spaß. 

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Welche Zusammenarbeit war besonders inspirierend?

Es ist immer besonders schön, wenn man mehrmals zusammen kommt und sich dadurch die Dinge entwickeln können. Mit The Slow Show treten wir mittlerweile das vierte Mal auf (in Kaltern am 14.10.), das ist ein besonderes Highlight für uns. Kürzlich hatten wir auch die Gelegenheit mit Damien Rice und Bon Iver mehrere Konzerte in Folge zu singen und es wird von Auftritt zu Auftritt immer intensiver. Das sind Momente, die für uns unvergesslich sind.

Den genauen Zeitplan zum Kaltern Pop Festival 2016 gibt’s hier.

Foto (c) Mirja Kofler für franzmagazine

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