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October 4, 2016

Mein Herz ist ein Garten: Lissy Pernthaler + die Begegnung von Ursrpünglichem mit Modernem

Allegra Baggio Corradi

Anlässlich der Ausstellung “Garten Giardino” zum 70-jährigen Bestehen des Südtiroler Künstlerbundes hat die Künstlerin, Yogalehrerin, Schauspielerin und Schriftstellerin Lissy Pernthaler aus Kaltern dem Publikum das Geschenk einer poetischen Erfahrung gemacht: Ihr Kunstprojekt “Erdstern. Mein Herz ist ein Garten” besteht aus einer Performance, wobei Kunst und Leben miteinander verschmelzen und flüchtige Momente in einem neuen Umfeld atmen können. Der Körper verwurzelt sich über das feinstoffliche System der Erdsterne mit dem Planeten. Die Künstlerin wirkt als Schamanin, da sie aus der Szene körperlich verschwindet. Ihr Werk spricht an ihrer Stelle und wirkt auf jede/n Besucher/in so, dass jede/jeder zur/zum Performer/in werden kann. Das Herz ist ein Garten und der/die Besucher/in wird ein/e Gärtner/in. Die Füße in die Erde einzugraben ist der erste Schritt, um in sich selbst einzutauchen. 

Worin besteht deine Performance “Erdstern: Mein Herz ist ein Garten”?

Ich lade die Besucher ein, sich mit den Füßen in die Erde einzugraben und sich Kopfhörer aufzusetzen, um einen Text zu hören. Ich begreife den Menschen als Kanal zwischen Himmel und Erde. So wie es im Himmel die Sterne gibt, gibt es sie in der Erde, dem Planeten, auf dem wir zu Gast sind. Der Erdstern ist ein feinstoffliches System im Aurafeld des Menschen. Er verwurzelt uns mit der Erde, dem Ursprünglichen. Ohne dieses “Mit beiden Beinen auf der Erde/im Leben stehen”, fällt es uns schwer, hier richtig anzukommen und in Harmonie mit allem zu sein. Und erst wenn wir Menschen verwurzelt sind, wissen, wo wir hingehören, fühlen wir uns in unserem Körper wohl, unser “Monkey Mind” kann ruhig werden und wir können Zufriedenheit verspüren. Dann erst können wir auch unser Herz als Garten vom Unkraut befreien. 
Es gibt einen wunderschönen Text von den Essenern, auch die “Schriftrollen vom Toten Meer” genannt. Sie stammen aus einer Zeit von 250 v. Chr. und sind die bislang ältesten Bibelhandschriften. Ein Text aus dieser Sammlung spricht darüber, dass unser Herz wie ein Garten gepflegt werden muss, um nicht zu verwildern. Ein wunderschönes, poetisches Bild, das mich dazu veranlasst hat, den Menschen wirklich physisch in die Erde zu pflanzen, um ihn in eine Erfahrung eintauchen zu lassen.
Mich fasziniert die Begegnung von Ursprünglichem mit Modernem. Und so scannt der zum Performer werdende Mensch mit seinem Smartphone einen Code in sein Handy, steigt barfuß in die Erde und hört mit den Kopfhörern einen Text, der von der “Gartenpflege”, also der Herzenspflege spricht, inspiriert am alten Text “Mein Herz ist ein Garten”, von vor so langer Zeit.

Deine Performance fand erstmals am 2. September 2016 anlässlich des 70-jährigen Bestehens des Südtiroler Künstlerbundes statt. Das Leitmotiv der Werkschau war “Der/Die KünstlerIn als GärtnerIn”. Wie siehst du dich als “Gärtnerin” und inwiefern kann deine bzw. die Kunst ständig “blühen”?

Die “Performance” findet immer noch statt, es ist ein Aktionsraum, den ich für die gesamte Ausstellungsdauer kreiert habe. Denn jede/r Besucher/in der Ausstellung in der Brixner Hofburg kann selbst zum/zur Performer/in werden, indem er/sie die Situation selbst erlebt. Ich habe mich in den letzten Arbeiten immer mehr davon entfernt, selbst zu performen, meine Kunstprojekte wie eine Aufführung zu gestalten. Die Grenze zwischen Publikum und Darsteller, wie ich es vom Theater her kenne, habe ich schon länger versucht aufzubrechen. Ich möchte, dass das Individuum nun aber unmittelbar selbst die Empfindung erleben kann. 
Ich liebe es, mit den Händen in der feuchten Erde zu wühlen, eine Pflanze umzutopfen, es verändert mich. Ich träume von einem großen, wilden Garten mit vielen Farbtupfern und Düften. Bis dieser Garten Realität wird, säe ich die Ideen, die mir eingepflanzt werden, mit meinen Aktionsräumen unter die Menschen. In der Hoffnung, dass bei dem einen und der anderen etwas zu sprießen anfängt, das sie inspiriert hat. Mein Label, das seit 2007 besteht, nennt sich Blütenwerfer Performances. Es gibt so viel Strenge und Verbissenheit in unserer Welt, in unserem Alltag, da sollen die bunten Blüten – die Performances – die poetischen Momente im Leben sein, die einen den Blickwinkel ändern lassen. 

05_Meine Haut mit Worten 2012 Lissy Pernthaler

Seit 2011 kreierst du sogenannte “Performative Aktionsräume”, in denen der Besucher selbst zum Performer wird. Versuchst du durch deine Performances die Grenzen zwischen Kunst und Leben zu verwischen oder möchtest du als Künstlerin die Rolle einer Vermittlerin zwischen dem Publikum und seinem inneren “Selbst” spielen?

Es geht für mich im Leben um Erfahrung. Und jemanden eine poetische Erfahrung zu schenken, empfinde ich selbst als Geschenk. Ich will keine Vermittlerin “spielen”. Wenn sich jemand auf mein Angebot einlässt, tritt er selbst in die Verantwortung ein, seinem Selbst zu begegnen. Ich bin nur wie eine Schamanin, die eine Möglichkeit der Erfahrung bietet, einen geschützten Raum, um sich zu erfahren. Also will ich damit wirklich, dass Kunst und Leben verschmelzen. Für mich gibt es diese Trennung nicht. Kunst ist Leben und Leben ist Kunst. Das Wort “Kunst” entrückt die Dinge oft zu sehr. “Ich mache jetzt Kunst”. Was soll das bedeuten? Meine Inspiration lässt mich einen performativen Aktionsraum gestalten, einen anderen ein Restaurant eröffnen oder einen wundervollen Garten anlegen. Die Vielfältigkeit der Menschen und wie sie sie in Frieden mit sich und ihrer Inspiration als Bereicherung für die Welt ausleben, das ist für mich wahre Kunst.

Die Zeit spielt im Rahmen der Performance eine essentielle Rolle. Worin besteht deine – künstlerische – Verbindung zur Zeit?

Zeit kann man dehnen. Und das meint: verlängern und verkürzen. Wenn man lernt, Zeit bewusst zu verändern, bekommt sie eine neue Wertigkeit. Mich faszinieren Erlebnisse, die kurz und impulsiv sind, einfach und im Nachhall einen langen, positiven Abdruck in mir hinterlassen. Bei meiner aktuellen Performance gab es auch eine Zeitdiskussion. Mein Vater riet mir, die Soundcollage mit dem Text so kurz wie möglich zu halten. Ich finde es gerade spannend, wie lange man als moderner Mensch für “die Kunst” opfert. Wie lange stehe ich vor einem Bild oder einer Skulptur in einer Ausstellung? Kann ich mich darauf einlassen? Indem man sich bei meinem Aktionsraum die Kopfhörer aufsetzt, trifft man ja schon eine Entscheidung. Und man muss sich ja auch noch die Schuhe ausziehen. Lasse ich mich darauf ein, schenke ich dieser Einladung meine Aufmerksamkeit und was macht es mit mir? Das finde ich spannend.09_Dark Diary Lissy Pernthaler

Wie finden deine inneren Impulse die passende Ausdrucksform in der Kunst? Nach welchen Kriterien entscheidest du, deine Gedanken, Gefühle, Fragen und Antworten entweder durch Literatur, Theater oder Performance auszudrücken?

Ich entscheide das nicht. Zum Glück. Ich werde inspiriert und inspiriere. Wenn ich es schaffe das zu leben, bin ich sehr glücklich. Die jeweilige Ausdrucksform ergibt sich ganz von selbst. Manchmal suche ich dann auch nach Verschmelzungen im Nachhinein. Der Grund, warum ich schlussendlich zur Performancekunst gekommen bin, war eine Einladung zu einer Lesung meiner Gedichte mit anderen AutorInnen ins UFO Bruneck 2007: Ich hatte keine Lust meine relativ kurzen, bildgewaltigen Gedichte an einem Rednerpult mit Mikrofon vorzulesen. Das fand ich langweilig. Die sind so kurz, da kommt eines nach dem anderen, da bleibt doch fast nichts hängen, dachte ich mir. Also habe ich meine Gedichte inszeniert, die Bilder aus dem Text versucht mit den Mitteln des Körpers und des Theaters zu übertragen. Es hat geklappt, die ZuschauerInnen fanden das alle verrückt. Da steht eine im alten geblümten Unterrock ihrer Oma mit Wasser gefüllten grünen Bauerngummistiefeln auf der Bühne und zittert am ganzen Körper wie bei einem epileptischen Anfall und liest ihr Gedicht vor. Bis heute suche ich noch nach weiteren Möglichkeiten meine Gedichte mit anderen “Kunstformen” zu verbinden. Das ist ein Forschungsanliegen von mir. Wie kann ich Gedichte anders als durch einen Gedichtband oder eine klassische Lesung so an den/die Zuhörer/in bringen, dass es einen nachhaltigeren Eindruck hinterlässt. Ein neuer Versuch wird sein, Essen und Gedichte zu verschmelzen. Bei der Aktion “Wilder Herbst“, welche der Südtiroler Künstlerbund dieses Jahr mit den Literaten in den “Gasthäusern Südtirol” umsetzt, werde ich mit dem Restaurant Apollonia in Sirmian bei Nals am 8. Oktober ein lyrisches Menü kreieren. Ich bin gespannt wie es ankommt…
Ich habe auch eine digitale Kolumne gelauncht, habe eine Plattform kreiert, um das Schreiben fließen zu lassen: www.bergluftundliebe.com ist ganz neu und soll mich daran erinnern, zu schreiben, auch wenn einmal nicht Zeit für eine Prosa-Erzählung ist.

Seelencharakterstudien durchzuspielen scheint eines deiner Hauptinteressen als Künstlerin zu sein. Kannst du diesen Gedanken weiterentwickeln?

Da denke ich zuerst ans Schauspiel. Da studiert man wirklich einen Charakter, um eine andere Seele, die man verkörpern soll, darstellen zu können. Im besten Fall passiert das automatisch, ich befasse mich mit einem Thema, einem Charakter und dann bekommt das Gebilde einer Persönlichkeit und dadurch eine Seelentiefe. Wenn wir aus unserem irdischen Körper scheiden, geht die Reise für die Seele weiter. Sie ist ewig. Seelen haben vermutlich wirklich so etwas wie einen Charakter, eine Prägung, die Möglichkeit von Expansion. Schön wäre es, wenn es kein reines “durchspielen” bleibt, sondern wenn die Erfahrung der Seele mich als Mensch formt. Ein Zitat von Yogi Bhajan, der das Kundalini Yoga in den Westen gebracht hat, das ich ganz wundervoll finde, erklärt mein Anliegen in der Welt ganz gut: “Wir, die Seele (Atma), sind geboren, um eine menschliche Erfahrung zu machen, wir sind keine Menschen, die geboren wurden, um eine spirituelle Erfahrung zu machen. 

04_Du bist heilig Lissy Pernthaler 

Dein Werk als Künstlerin besteht aus Seelenbildern. Malerei hast du aber bis jetzt noch nicht ausprobiert. Interessiert sie dich überhaupt?

Seelenbilder, welch schönes Wort. Danke für die Inspiration! ; – ) Ich liebe die Malerei. Besonders den österreichischen Expressionismus. Das war für mich der Beginn der Liebe zu einer Kunstform des bedingungslosen Ausdrucks. Als ich sie im Kunstlyzeum in Bozen kennengelernt habe, war für mich klar, so will ich berühren. Ich habe dann im Fach “Zeichnen und Malen” erst einmal mit mir kämpfen müssen und wohl auch mit meinen Lehrpersonen, denn ich habe nicht eingesehen, dass ich zuerst zeichnen lernen muss, realistisch zeichnen. Schatten, Licht, Staub, Stillleben, unendliche Stillleben. Das hat mich traurig gemacht. Denn ich konnte es nicht. Ich habe rebelliert. Mein schönstes Bild habe ich gemalt, als ich mit einer Arbeit während des Unterrichts schon fertig war und meine Lehrerin mir eine große Spanholzplatte in die Hand drückte und ich mich mit den Ölfarben austoben konnte. In einer halben Stunde, bis die Schulglocke das Schulende einläutete, entstand ein Feuerwerk meines Ausdrucks. Dieses Bild habe ich heute noch und halte es sehr in Ehren. Es erinnert mich an die Möglichkeit, es ist da. Ich möchte gerne malen. Aber das kommt später, das spüre ich. Inzwischen habe ich etwas Anderes geschaffen, das man sich nach Belieben auch an die Wand hängen kann. Denn es hat mich immer schon beschäftigt, wie ich eine Performance irgendwie einfangen kann, ohne ihr Flair zu zerstören. Ein Maler verkauft sein Bild, doch eine Performance zu verkaufen ist weitaus schwieriger. Seit einiger Zeit kreiere ich sogenannte Video-Stills, Sekundenausschnitte aus den Performances auf Alu-Dibond gedruckt. Flüchtige Momente, die so in Seelenbildern weiterleben und in einem anderen Umfeld in neuem Kontext atmen.

Fotos: Lissy Pernthaler

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