Tanz Bozen “off stage”: Natur und Stadt
als Tanzbühne

Im heißen Sommermonat Juli gerät die Südtiroler Landeshauptstadt in Bewegung, kann nicht mehr still halten und  – tanzt. Die Rede ist vom Festival Bozen Tanz, das internationale Berühmtheiten nach Bozen einlädt und seinem Publikum vom 14. bis 30. Juli 2016 ein buntes Angebot an Workshops, Aufführungen und Installationen anbietet. (Für das gesamte Programm siehe www.tanzbozen.it)

Die 32. Ausgabe, mit dem Titel „Beautiful Stranger“, dreht sich rund um das Thema Identität und nimmt als Ausgangspunkt das Phänomen der Migration, welches von kosmopolitischen KünstlerInnen und InterpretInnen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wird.

Bemerkenswert sind bei diesem Festival die Veranstaltungen, die abseits des Stadttheaters inszeniert werden. Sie finden nicht im geschlossenen Raum statt, sondern migrieren selbst, lösen sich von der traditionellen Aufführungssituation und finden ihre Heimat in der Stadt und Natur. Sie fordern regelrecht die Bevölkerung zum Tanz auf und setzen die urbanen Strukturen und die Natur in eine neue Beziehung und Bewegung.

Den Auftakt der Veranstaltungen, die den klassischen Aufführungsort verlassen, macht am 15.7. die französische Kompanie Ke Kosa mit dem Stück 500/Cinquecento im Bozner Semirurali-Park. Im Mittelpunkt steht das kultige Automobil Fiat Cinquecento, das mit zwei Tänzern eine Zeitreise, ausgehend von den 1960ern, beginnt. Hier trifft ein maschinell hergestelltes Produkt auf einen grünen Flecken in der Stadt.

Auch heuer tauscht das Festival die starren Schaufensterpuppen im historischen Stadtkern mit tanzenden Körpern aus. Am 16. Juli hat man die Möglichkeit sich beim Schaufenstertanz in der Museumsstraße während einer alltäglichen Situation, dem Stadtbummel und Einkaufen, von einfallsreichen Choreografien überraschen zu lassen.

Doch nicht nur die Geschäftsvitrinen verwandeln sich in Tanzräume, auch das Museum für moderne Kunst wird erneut zur Fläche für Bewegungssprache. Mit der Videoinstallation Les yeux tournent autour du soleil – die Augen kreisen um die Sonne – bespielen der Videokünstler Mehdi Meddaci und der Choreograf Rachid Ouramdane die großflächige Glasfassade des Museions und untersuchen ihre kulturelle Identität.

Eine Verlagerung des Tanzes in das malerische Naturbild der Seiser Alm dürfen die Zuschauer am 24. Juli genießen. In Voluminosité loten tanzende Luftakrobatinnen mit Zirkusausbildung die Grenzen und Gesetze der Schwerkraft aus, umgeben von den himmlischen Bergmassiven der Dolomiten. Weitere Veranstaltungen dieser Art sind das Let’s Dance, ein Konzert des Haydn Orchesters im Semirurali-Park, das eine musikalische Reise verspricht, nicht nur den jüngst verstorbenen David Bowie zitierend, und die Silent Disco im Kapuzinergarten, die eine Überraschungsperformance bereit hält.

Bozen darf sich auf eine ungewöhnliche Zeit freuen, in der Grenzen verschoben werden. Denn Bozen Tanz sucht die Menschen in ihrem Alltag auf, trifft sie in intimen und doch öffentlichen Plätzen, wie den Parkanlagen, dem Museum und der Natur. Der Tanz beziehungsweise die Bewegung sind nämlich nicht nur dem menschlichen Körper zu eigen. Nein, selbst die Blätter wehen im Rhythmus der Natur und auch die statisch anmutenden Gebilde der Stadt verkörpern eine Form, sind in einer Pose erstarrt. Das Festival gibt dem Tanz genau den Freiraum, den die Bewegung benötigt, um sich frei entfalten zu können, indem es den klassischen Saal verlässt. Hoffentlich lassen sich viele vom Klang mitreißen, auf eine neue Erfahrung in altbekannten Plätzen und eine Migration ins Innere der Stadt und Natur ein.

Fotos:
Cie Retoruamont, Vide Accorde, photo Hubert Thouvenin
Parco delle Semirurali 2015
Cie Ke Kosa, 500Cinquecento, photo Lucile Brosseau 
Abschlussabend 2015, photo Claudia Corrent