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July 5, 2016

Der Weltenzeichner im Kunsthaus Meran: Markus Vallazza und Günther Oberhollenzer im Interview

Christine Kofler

Markus Vallazza feiert heuer seinen 80. Geburtstag. Kunst Meran ehrt den bekannten Südtiroler Künstler, der als einer der bedeutendsten Zeichner und Grafiker Europas gilt, mit einer Retrospektive. Dabei werden sowohl bekannte, als auch neu entdeckte Arbeiten aus verschiedenen Schaffensphasen zu sehen sein. “Können wir die Divina Commedia noch lesen, ohne auch Vallazzas Höllenvisionen zu imaginieren? An Friedrich Nietzsche denken, ohne die so menschlich gestalteten Porträts vor Augen?” – schreibt Kurator Günther Oberhollenzer im Vorwort zum Kunstbuch, das begleitend zur Ausstellung im Folio Verlag erscheint. Auch wir haben dem Kurator der Ausstellung und dem Künstler Markus Vallazza im Vorfeld der Eröffnung am 8. Juli einige Fragen gestellt. 

Markus Vallazza, anlässlich Ihres 80. Geburtstags wird am 8. Juli im Kunsthaus Meran eine Ausstellung (bis 4. September 2016) eröffnet, kuratiert von Günther Oberhollenzer. Welche Werke haben Sie für diese Retrospektive ausgewählt?

Den Parcours der Ausstellung hat Günther Oberhollenzer (der Kurator, Anm. d. R.) vorgeschlagen; es sollte ein Querschnitt durch mein Lebenswerk sein, aber angesichts der beschränkten Größe des Kunsthauses haben wir uns vor allem auf das grafische Werk (Radierungen und Zeichnungen, einzelne Mischtechniken) konzentriert. Und dabei vor allem auf die Zyklen, die zur Literatur entstanden sind, etwa zu Don Quichote, zur Divina Commedia, zu den Werken von Oswald von Wolkenstein, Friederike Mayröcker, Rimbaud…

Markus Vallazza - Dante und Vergil mit Spinne 1994 - Peter Infeld PrivatstiftungMarkus Vallazza, Dante und Vergil mit Spinne 1994. Foto: Peter Infeld Privatstiftung

Sie blicken auf ein jahrzehntelanges Schaffen zurück, Sie haben über 1.300 Radierungen, unzählige Skizzen und Grafiken geschaffen. Warum sind Sie Künstler geworden und wann war Ihnen klar, dass sie diesen Weg gehen wollten?

Begonnen hab ich als Holzschnitzer, wie viele Grödner. Da ich aber immer schon ein begeisterter Leser war und ich dadurch auch viele andere Welten und Gedanken kennenlernte, reifte schon früh der Wunsch, wegzugehen aus dem Dorf. Ich war in Florenz als Gasthörer an der Akademie. Dort begegnete ich zufällig Oskar Kokoschka in den Uffizien. Er lud mich ein zur Sommerakademie nach Salzburg, was leider nicht zustande kam. Geblieben ist mir sein Zuspruch, mich als Zeichner zu versuchen.

Ausgangspunkt vieler ihrer Bilderzählungen sind Werke der Weltliteratur. Sie haben sich eingehend mit Cervantes “Don Quijote” auseinandergesetzt, aber auch mit Dantes “Göttlicher Komödie” oder Friederike Mayröckers “Das Herzzerreißende der Dinge”. Woher kommt diese Faszination für die großen Werke der Literatur?

Wie gesagt, die Literatur hat mich immer beschäftigt. Ich wollte das Gelesene meist aber auch umsetzen, wenn mich etwas faszinierte, musste ich es bildnerisch umsetzen, mir sozusagen zeichnend aneignen, es mir zeichnend “gefügig” oder verständlich machen.Markus Vallazza - Porträt Othmar Seehauser

Neben der Auseinandersetzung mit fiktiven Figuren in der Literatur haben Sie auch Porträts von Zeitgenossen gemalt, etwa von N. C. Kaser. Welche Begegnungen in Ihrem Leben haben Ihre künstlerische Entwicklung besonders beeinflusst?

Von den ganz großen Namen waren das Alberto Giacometti, den ich in Paris kennenlernte, Henry Moore und wie bereits erwähnt Oskar Kokoschka. Andere, vorwiegend österreichische Künstler, darf ich als meine langjährigen Wegbegleiter und Freunde bezeichnen, etwa Kurt Moldovan, Alfred Hrdlicka, Rudolf Schönwald. Von den Südtirolern waren es Robert Scherer, bei dem ich meine ersten Radierungen gemacht habe, auch Roland Kristanell und Michael Höllrigl.

Ich habe in einem Interview gelesen, dass Sie das Malen vor der Depression rettete. Ist Kunst Trost?

Kunst kann auch Trost sein – ich empfinde Kunst allerdings mehr als Anregung und Beschäftigung, die einen täglich neu herausfordert und also nicht in Trübsinn verfallen lässt.

Was würden Sie jungen KünstlerInnen, die erst am Anfang ihres Schaffens stehen, mit auf den Weg geben?

Meine Devise ist: arbeiten, arbeiten, arbeiten.

Markus Vallazza - In memorian N. C. Kaser 1984 - Mischa NawrataMarkus Vallazza, In memorian N. C. Kaser 1984. Foto: Mischa Nawrata, Wien.

Günther Oberhollenzer, Sie kuratieren die Ausstellung, die zum 80. Geburtstag von Markus Vallazza im Kunsthaus Meran eröffnet wird. Welche Verbindung haben Sie zu dem Künstler?

Markus Vallazza ist einer der ersten zeitgenössische Künstler, die ich bewusst wahrgenommen habe. Irgendwie war sein Werk immer anwesend. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich das erste Mal eine Zeichnung oder Radierung von ihm gesehen habe. Auch nicht, um welche Arbeit es sich handelte. Vermutlich war es eine Radierung zu Oswald von Wolkenstein, vielleicht ein gemaltes Porträt oder auch eine Zeichnung zu Wolfgang Amadeus Mozart. Über die Jahre sind es immer mehr Bilder geworden, sie begleiten mich, sie begleiten mein Leben. Vor einigen Jahren durfte ich einen Text über Vallazzas Werk schreiben und auch die Eröffnungsansprache zu seiner Ausstellung auf Schloss Kastelbell halten. Als Markus mich dann vor fast eineinhalb Jahren gefragt hat, ob ich seine Ausstellung zum 80. Geburtstag kuratieren möchte, habe ich mich sehr darüber gefreut und mich natürlich auch geehrt gefühlt.

Wie haben Sie die Werke ausgewählt? Gibt es einen roten Faden, der die BesucherInnen durch die Ausstellung führt?

Bei den Recherchearbeiten, dem Austausch mit Galeristen und Künstlerkollegen, besonders aber bei den zahlreichen Gesprächen mit dem Künstler stand immer wieder eine zentrale Frage im Raum: Wie kann ein überwältigendes Schaffen, bestehend aus Tausenden Radierungen, Zeichnungen und Mischtechniken, angemessen gezeigt werden? Allein mit den Radierzyklen wäre es ein Leichtes, mehrere Ausstellungen zu bespielen. Es kann nur ein persönlicher Einblick angeboten werden, der – in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler – auf wichtige Stationen im Leben Vallazzas fokussiert und einzelne Schaffensphasen vertiefend betrachtet. Ein Einblick aber auch, der den Mut zur Lücke aufweist und auf manche Werkphasen und Themen bewusst verzichtet. Ein großes Anliegen ist es mir, neben bekannten Kunstwerken auch weniger oder noch nie gezeigte Arbeiten in den Blickpunkt zu rücken, wobei neben dem Zeichner und Radierer auch dem Maler und Literaten eine wichtige Rolle eingeräumt wird.

Haben Sie bei der nun sehr intensiven Auseinandersetzung mit den Exponaten etwas Neues erfahren, hat Sie etwas überrascht?

Überrascht und begeistert haben mich die Mischtechniken und Zeichnungen. Ihnen wurde bisher in der Rezeption meiner Meinung nach noch zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Sie sind mehr als nur Vorstudien zu den Radierungen. Die Zeichnungen haben einen eigenständigen Charakter, überzeugen durch Spontaneität und Erfindungsfreude, durch Unmittelbarkeit und Lust am Experiment. Nicht zu vergessen die Farben, die immer wieder auftauchen. Manchmal tragen sie dazu bei, einige Konturen zu verstärken, oder auch, im Stile eines Comics, die Figuren und Settings zu kolorieren, immer wieder sind sie aber auch wild expressiv und mischen sich mit abstrakt-malerischer Geste in die Figuration ein. Sie werden zu einem eigenständigen kompositorischen Element. Vallazza ist Radierer und Zeichner, aber er ist auch Maler.

Welche Werke finden Sie besonders eindrucksvoll?

Allein die Werkfülle und ihre Vielfalt sind schon überwältigend. Es ist kaum vorstellbar, dass all das ein einzelner Künstler geschaffen hat. Außergewöhnlich ist zum Beispiel der Radierzyklus “Im Reich der Fanes (Dolomitensagen)”. Neben der überbordenden Dichte und dem “Horror vacui” der ungefähr zeitgleich entstehenden “Divina Commedia” wählt Vallazza hier einen offenen, lockeren Strich, der viel Leerraum und Platz für Andeutungen lässt. Dass Vallazza gerade beim archaischen Thema der Sagen diesen leichtfüßigen Stil wählt, ist bemerkenswert. Die Bilder sind von einer sensiblen Zartheit und Empfindsamkeit.
Dieser überraschende Moment zeichnet auch die kurz davor entstandenen Radierungen “Vom Herzzerreiszenden der Dinge” zu Sätzen von Friederike Mayröcker aus. Der Künstler erschafft Figurenkonstellationen von poetischer wie sinnlicher Kraft. Beide Zyklen gehören für mich zu den stärksten Radierserien, selten hat sich Vallazza so stark vom Text emanzipiert, sich derart frei treiben lassen und dabei zu so wundersamen, emotional berührenden, im wahrsten Sinne des Wortes herzzerreißenden Kompositionen gefunden.
Vallazza ist aber etwa auch ein grandioser Porträtist. Er legt die Porträts nicht naturalistisch an, sondern versucht, das Innere des Menschen zu erkennen und die Einmaligkeit des Individuums, die Persönlichkeit und sein Schicksal in das Gesicht einzuzeichnen. Wichtig ist nicht die im Detail “richtige” Zeichnung, sondern das Gefühl der Spannung und der Kraft, das sich dem gelungenen Blatt mitteilt.

Markus Vallazza - Don Quijote 2005 - Fotolito Longo, BozenMarkus Vallazza, Don Quijote, ruhend, 2005. Foto: Fotolito Longo, Bozen.

Welche Relevanz haben die Zeichnung oder die Radierung in der Gegenwartskunst?

Vallazzas hält zeichnerisch Menschenbildnisse und Tagebuchnotizen fest, als die gegenstandslose Malerei mit abstraktem Expressionismus und Informel das angebliche Maß aller Dinge ist, er radiert Dantes “Divina Commedia”, als Neue Medien und konzeptionelle Ansätze die traditionellen Techniken zu verdrängen scheinen, und er zeichnet immer noch, als – in den letzten Jahren – eine “Rückkehr” und “Wiederentdeckung” der (figurativen) Malerei bejubelt wird. Die Zeichnung – als Kunst so alt wie die Menschheit – wird es aber immer geben, ist und bleibt sie doch eine der unmittelbarsten Ausdrucksformen künstlerischer Vorstellungskraft und Kreativität. Ein Zeichenstift. Ein Blatt Papier oder eine Druckplatte. Das genügt. Und ein ganzer Kosmos kann entstehen.
Die Welt ist heute bunt und grell. Vielleicht haben die Menschen das grafische Sehen verlernt, ein Sicheinsehen und -fühlen in Schwarz-Weiß, in einen reduzierten Farbklang, wie man es früher noch von Zeitung, Fotografie oder Film gewohnt war. Gleichzeitig hat sich aber gerade in den letzten Jahren das literarisch-zeichnerische Genre der Graphic Novel zu einer überraschend ernst zu nehmenden Kunst entwickelt. Daneben scheint auch die Zeichnung wieder mehr Wertschätzung im Kunstbetrieb zu finden. Das Wiederaufleben der Zeichnung (und auch der Malerei) hat wohl mit der Sehnsucht des Menschen nach dem unmittelbaren, authentischen künstlerischen Ausdruck zu tun, nach einem Werk, das gerade in unserer schnelllebigen, multimedialen Zeit den Moment überdauert. In den Ateliers gibt es immer wieder außergewöhnlich starke Arbeiten zu entdecken, die nur darauf warten, gezeigt zu werden. So kann das Werk Vallazzas für viele junge Künstlerinnen und Künstler eine (Wieder-)Entdeckung und auch Inspiration darstellen.

Markus Vallazza: *1936 in St. Ulrich in Gröden geboren. Südtiroler Maler, Grafiker und Illustrator, bekannt für seine Illustrationen zu literarischen Vorlagen, etwa zu Dantes “Göttlicher Komödie”.  Ausstellungen in ganz Europa, zahlreiche Preise und Ehrungen, unter anderem Ritter des Verdienstordens der Italienischen Republik.

Günter Oberhollenzer: * 1976 in Brixen, Kunsthistoriker, Autor und Kurator. Von 2006 bis 2015 war Oberhollenzer Kurator der Sammlung Essl in Klosterneuburg. Seit Anfang 2016 ist er Kurator für das neue Kunstmuseum in Krems, das 2018 eröffnet wird.

Titelbild: Markus Vallazza, Inferno, Canto XXIII, 1995, Tusche laviert auf Papier, 22 x 34 cm. Foto: Fotolito Longo, Bozen

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