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June 27, 2016

Literatur und Menschenrechte in Meran – Leonhard M. Seidl im Interview

Christine Kofler

Die Franz-Edelmaier-Residenz für Literatur und Menschenrechte stellt Literaturschaffenden zwei Wohnungen in Meran zur Verfügung, um dort ungestört arbeiten zu können. Das “Writer in Residence”-Programm dauert zwischen zwei und zwölf Wochen. Teilnehmen können AutorInnen und ÜbersetzerInnen, deren Werke einen inhaltlich klar erkennbaren Bezug zu Menschenrechten aufweisen. Gründer des Stipendienprogramms ist der Meraner Pfarrer Franz Edelmaier, der seinen Nachlass der Schweizerischen Gesellschaft für die Europäische Menschenrechtskonvention (SGEMKO) vermachte. Wir haben den aktuellen Stipendiaten und Autor Leonhard M. Seidl getroffen, um zu erfahren, wie es ihm in Meran ergangen ist.

Herr Seidl, Sie waren einige Wochen lang Stipendiat der Franz-Edelmaier-Residenz für Literatur und Menschenrechte in Meran, organisiert von der SGEMKO. Wie haben Sie von diesem Writer-in-residence-Programm erfahren?

Durch eine Newsletter, die diverse Stipendien veröffentlicht, und die ich regelmäßig erhalte. Ich habe ein Exposé bzw. meinen Romanentwurf eingereicht – genauso wie mein Sohn Leonhard F. Seidl. Wir wurden daraufhin beide nach Meran eingeladen und wir konnten zusammen dieses Writer-in-residence-Programm antreten. So konnten wir nicht nur in Ruhe arbeiten, sondern uns auch intensiv zu unseren Romanprojekten austauschen.

Die SGEMKO ist eine gemeinnützige Organisation, die Informationen über die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte verbreitet. Das Stipendium wird speziell an AutorInnen vergeben, die sich literarisch mit menschenrechtlichen Fragestellungen auseinandersetzen. Wie thematisieren Sie diese in ihren Büchern?

Mein aktueller Roman ist im Frühjahr 1945 angesiedelt, also während dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Auch in meinem Buch “Das schwarze Tagebuch” aus dem Jahr 2008 thematisierte ich den Krieg und seine Grausamkeiten. Dort geht es um ein Massaker der SS im Jahre 1944 in dem norditalienischen Dorf Cumiana in der Nähe von Turin. 51 Zivilisten wurden damals von der SS ermordet. Ich bin für meine Recherchen in das Dorf gereist und habe mit Überlebenden gesprochen. Das Massaker war Ausgangspunkt für den fiktionalen historischen Roman. Dort beschreibe ich eine Vergewaltigung einer der Zivilistinnen, die anschließend schwanger wird. Das Kind dieser Frau macht sich später auf nach Deutschland, um seine Väter zu suchen. Es geht in dem Roman auch darum, wie Kriegsverbrechen nachwirken und unsere Gegenwart beeinflussen.

Sie haben zahlreiche historische Kriminalromane verfasst…

Mein Schreiben begann mit Theaterstücken und ich habe auch zehn Jahre als Regisseur gearbeitet. Auf Anfrage der Stadt verfasste ich das Stück “Der Rote Hanickl“. Darin geht es um eine Räuberbande, die während der 1840er-Jahre in Erding ihr Unwesen trieb. Ich recherchierte lange in den Originalakten des bayrischen Staatsarchivs und so erfuhr ich, dass der Anführer dieser Bande eine Frau war. Sehr ungewöhnlich. Die Thematik und die Figuren haben mich dann so fasziniert, dass ich neben dem Theaterstück auch noch einen Roman verfasste. Und dann noch einen zweiten und dritten Teil.
Zwischen den historischen Romanen schreibe ich auch andere Texte, zum “Auflockern”, die weniger düster sind. Etwa das sehr schräge Buch “Letzte Ausfahrt Giesing“, in dem es um einen Privatdetektiv und die Gentrifizierung dieses Münchner Stadtteils geht. Ich habe auch eine Folge von Jerry Cotton geschrieben. Und Theaterstücke ins Bayrische übersetzt, etwa Gogols “Der Revisor“. Das Stück wurde unter anderem auch in einem Gefängnis aufgeführt.

Der Rechercheaufwand für einen historischen Roman ist bestimmt sehr groß…

Ja, für “Der Rote Hanickl” habe ich zwei Jahre lang recherchiert. Ich lebe zum Glück gleich in der Nähe von München und kann in den vielen Münchner Archiven stöbern, etwa in der bayrischen Staatsbibliothek. Ich bin überhaupt kein Waffennarr, aber inzwischen weiß ich fast alles über historische Waffen, über diverse Münzen und Scheine, über Dienstgrade bei Polizei und Militär, über die Gerichtsbarkeit in den verschiedenen Epochen… man taucht ja bei der Recherche komplett ein in eine Zeit.

Wie ist es Ihnen in Meran während Ihres Aufenthaltes ergangen? Haben Sie Ruhe und Inspiration gefunden?

Ja. Wir hatten wirklich zwei sehr schöne Wohnungen in Untermais zur Verfügung. Die Meraner sind sehr freundlich, gerade ältere SüdtirolerInnen sind auch offen und erzählen aus ihrem Leben. Neben dem Schreiben haben wir uns auch zwischendurch interessante Orte angesehen, etwa Schloss Juval. Hier bekommt man gleich wieder einige Ideen für künftige Projekte… Für zukünftige StipendiatInnen wäre es vielleicht schön, den Austausch mit den kulturellen Institutionen in der Stadt zu forcieren, also etwa Lesungen in der Stadtbibliothek und ähnliches zu organisieren.

Leonhard M. Seidl, geboren 1949 in München. Dramatiker und Autor zahlreicher Theaterstücke und Romane, unter anderem “Der Rote Hanickl”, “Das schwarze Tagebuch” oder “Letzte Ausfahrt Giesing”. Lebt in Isen im Landkreis Erding. 

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