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June 19, 2016

Alte Wege: Mit die Schoof gian

Petra Götsch
Sebastian Marseiler und Helmut Lechthaler widmen dem spektakulären Schnalser Schafübertrieb die Dokumentation "Mit die Schoof gian". Am 10. Juni 2016 feierte der Film in Karthaus im Schnalstal die gut besuchte Premiere.

Einmal schaute ich einigen Bauern zu, wie sie Schafe sortierten und weil mich die Frage nicht in Ruhe ließ, wollte ich wissen, wie sie es schaffen, die Schafe auseinanderzuhalten. Keine zwei Schafe sind gleich, wie auch keine zwei Menschen gleich sind, antwortete mir die Bäuerin und schaute mich lange an, als würde sie bei sich denken, was ist nur aus der Menschheit geworden. 

In Südtirol hält heute niemand mehr Schafe, weil es sich finanziell nicht lohnt. Waren sie einst das Rückgrat eines jeden Hofes, sind sie für die meisten heute nur noch ein Hobby – oder Ausdruck für die Verbundenheit zur eigentlichen, ursprünglichen Bauernkultur. Die neue Dokumentation “Mit die Schoof gian” bietet Einblicke in diese archaische Welt, begleitet Hirten und Schafe durch das unwegsame Gebirge und beweist am Beispiel von Hirte und Künstler Friedrich Gurschler, auf welche subtile Weise die Landschaften, die wir durchqueren, uns prägen und formen. Transhumanz Foto TVSchnalstal 2

Schnee, Schnee, alles nur Schnee. Man kann sich kaum vorstellen, welche Strapazen und Gefahren die Hirten seit jeher auf sich nahmen, um tausende Schafe, Ziegen und früher sogar Ochsen, über das Schnalstal auf die Weidenflächen des Ötztals zu treiben. Der stetige Rückgang des Schnalser Gletschers erleichtert Mensch und Tier mittlerweile den Übergang, die Gefahr von Neuschnee, Nebel und vor allem Gletscherspalten ist geblieben. Erfahrene Hirten gingen mit langen Stöcken voraus und suchten die sichersten Wege. Wie breit kann so eine Gletscherspalte auch schon sein? – Breit genug, dass das Leben nicht hinüberkommt.

Aus Laas und Kortsch treiben die Vinschger Hirten jedes Jahr im Juni ihre Schafe über das Schlandrauntal hinein ins Schnalstal, dort vereinen sich die Vinschger und Schnalser Herden und ziehen dann gemeinsam über die Jöcher ins österreichische Ötztal. Seit grauer Vorzeit findet dieses Spektakel jährlich statt: das Begehen dieser alten Wege, die damals noch keine Landkarten, keine Talnamen und keine Staatsgrenzen kannten. 2011 gelang es dem Schnalstal gemeinsam mit dem Verein Pro Vita Alpina, die Transhumanz bzw. Wanderweidewirtschaft als immaterielles Weltkulturerbe der UNESCO in Wien zu verankern. Transhumanz Foto TV Schnalstal

Im Mittelpunkt des Filmes stehen nicht nur die Schafe, sondern auch die Hirten. Stolz sind sie, und mundflink. Hans Waldthaler erzählt verschmitzt, wie er selbst dem ehemaligen Landeshauptmann Durnwalder einen Korb gab: “Wir mussten lange warten, bis er für uns einen freien Moment fand. Dieser fiel dann auf den Schafzusammentrieb, also sagte ich das Treffen wieder ab und er wollte wissen, ob ich denn denken würde, wir würden jederzeit nach Belieben einen Termin mit ihm bekommen. Da antwortet ich, er würde schon was finden, er sei schließlich das ganze Jahr Landeshauptmann, während die Schafe nur diesen einen Termin haben.”

Unter die Hirten mischt sich dann auch der der bekannte Schnalser Künstler Friedrich Gurschler, der eindrücklich davon erzählt, wie er als erst 12-jähriger Hüterbub alleine die Verantwortung über 200 Schafe trug und jährlich hundert dazukamen. Diese Erfahrungen flossen auch noch Jahrzehnte später in sein künstlerisches Schaffen ein und man ertappt sich bei der Frage: Was habe ich selber eigentlich mit 12 Jahren getan? 

Sebastian Marseiler und Helmut Lechthaler gelang mit “Mit die Schoof gian” ein ruhiger, unaufgeregter Film, der vor allem durch die schönen Landschaftsaufnahmen besticht. An manchen Stellen verliert die Dokumentation allerdings an Schwung, zehn Minuten weniger hätten dem 60-minütigen Film vermutlich gut getan. Drehbuchautor Sebastian Marseiler, selbst ein profunder Kenner der Transhumanz, war sichtlich bemüht, die Thematik aus verschiedenen Winkeln zu betrachten. Neben den Hirten kommen auch Archäologen und der bekannte Volkskundler Hans Haid zu Wort, die dieses uralte, für uns oft unsichtbare Geflecht zwischen Orten und Tälern greifbar machen und somit einen neuen Blick auf ein altbekanntes Land ermöglichen. 

Mit die Schoof gian, eine Dokumentation von Sebastian Marseiler und Helmut Lechthaler, im Auftrag von RAI Südtirol. 

Alle Fotos: TV Schnalstal

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