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June 4, 2016

Autorin Tanja Maljartschuk: Schreiben in der Absurdität des Augenblicks

Kunigunde Weissenegger

Sie ist Ukrainerin, Schriftstellerin, Wahlwienerin. Tanja Maljartschuk über Sprachen, Texte, Politik und den Krieg in ihrem Geburtsland. Am Samstag, 11. Juni 2016 liest die Autorin um 14.30 H im Rahmen der ersten Ausgabe des Literaturfestivals WeinLesen Kloster Neustift am Strasserhof in Neustift. Hellwach und scharfsinnig.

In welcher Sprache schreibst du und wie fühlt sich das an? 

Längere Texte schreibe ich weiterhin in meiner Muttersprache Ukrainisch. Kürzere Texte wie zuletzt für Die Zeit Online oder die Neue Rundschau schreibe ich mittlerweile in deutscher Sprache. Das fühlte sich anfangs ungewohnt, aber auch sehr gut an. In deutscher Sprache bin ich lakonisch und genauer, nur die Geschichte ist dann wichtig und nicht die Sprachspiele. Ich bin ehrlicher, weil um zu lügen, bräuchte ich mehr Wörter. 

Was ist beim Schreiben von kurzen Texten der große Unterschied zu Romanen? Oder gar nicht?

Ein umfangreicher Text erfordert einen längeren Atem. Der Roman, an dem ich zur Zeit arbeite, beschäftigt mich schon seit zumindest vier Jahren. Das ist eine unglaubliche Quälerei für eine wie mich, die früher eine Erzählung in ein paar Tagen schreiben konnte. Ich leide mit dem Roman, aber er verändert mich auch stark. Ich schuf meine Erzählungen und der Roman erschafft mich. Das ist der Unterschied.  

Inwiefern muss Kunst und auch Literatur politisch, sozialkritisch sein?

Literatur muss nichts müssen, ist aber immer politisch, auch wenn es um Schmetterlinge geht. Sobald die Schmetterlinge in einer Zeit leben und einen Namen bekommen, Beziehungen und Nachbarn haben. Man kann beim Schreiben der Politik nicht entgehen. Es ist nur eine schöne Illusion für manche Autoren, unter denen ich mich früher auch befand.    

Du lebst nun in Wien? Warum bist du aus der Ukraine weggezogen?

Das hat nichts mit der Ukraine zu tun, aber mit der Liebe. 

Welchen Kontakt hältst du zu deinem Geburtsland? 

Meine Familie und Freunde leben da und so bin ich in einem ständigen Austausch. Ich bleibe Ukrainerin, jetzt vielleicht mehr, als zu meiner Zeit in der Ukraine. Aber ich habe einen Vorteil, weil ich eine neue Kultur, nämlich die österreichische, kennen lernen kann. Das ist ein Geschenk.  

Wie “hilfst” du deinem Land? 

Indem ich weiter schreibe so gut ich kann? Ich weiß nicht, was sich sonst machen lässt. Im Land herrscht Krieg. Als Autorin fühle ich mich in solch einer Situation sehr hilflos, manchmal wie ein Nichtsnutz. Die Absurdität des Augenblicks ist so: Ich lebe, gebe Ihnen ein Interview, lese aus meinen Büchern dem Publikum vor und irgendwo sterben junge ukrainische Männer oder sie werden gefoltert, oder sie sind schon nach Hause gekommen, aber ohne Beine. Wir sind ungefähr im gleichen Alter. Traurig. Absurd. Die Wörter sind in diesem Land gescheitert.       

Tanja Maljartschuk Geboren in Ivano-Frankivsk/Ukraine. Dort studierte sie Ukrainische Philologie an der Prykarpattia National Universität. Nach Abschluss des Studiums arbeitete die Autorin einige Jahre als Fernsehjournalistin in Kiew. Seit 2011 lebt sie in Wien. Bisher veröffentlichte die Autorin sieben Bücher in ukrainischer Sprache, davon wurden drei ins Deutsche übersetzt, u. a. 2009 “Neunprozentiger Haushaltsessig” (Residenz Verlag) und 2014 “Von Hasen und anderen Europäern” (Verlag edition.FotoTAPETA, Berlin). 2013 wurde in der renommierten Reihe “Best European Fiction” von Aleksandar Hemon die Erzählung “Me and my sacred Cow” publiziert. Weitere Erzählungen und Essays wurden in mehrere Sprachen übersetzt, u. a. ins Englische, Polnische, Russische, Tschechische, Bulgarische und Slowenische. 2013 wurde Tanja Maljartschuk mit dem Vilenica-Kristall und Joseph Conrad Award ausgezeichnet. Seit 2014 veröffentlichte die Autorin einige Kolumnen in der FAZ, Die Zeit und im Falter

Foto: Leachim Rellist

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