50 Shades of Gray… Das Burgtheater Wien mit “Dorian Gray” zu Gast in Südtirol

Der Vorhang fällt im Waltherhaus in Bozen und gibt den Blick auf ein kurioses Gestell von Stangen und Leinwandbildschirmen frei, auf die nach und nach verschiedene Personen projiziert werden; sie alle kennen nur ein Thema: Dorian Gray.
Das Gewirr der Stimmen erlischt prompt und der Zuschauer erblickt den Grund seines Theaterbesuches: Dorian Gray erscheint von sakraler Musik umrahmt auf der Bühne. Eine Mischung aus Frankensteins Monster und modernem Prometheus ist Gray puppengleich in einen schwarzen Anzug samt Handschuhen gehüllt, seine Haare und das Gesicht sind mit Gold bemalt und verklebt (oder entstellt?). Nichts an der Figur hat passenderweise etwas Menschliches an sich, vielmehr gleicht Regisseurs Bastian Kraft´s Protagonist einem in einen Goldtopf gefallenen Nosferatu.
“Das Bildnis des Dorian Gray” von Oscar Wilde dürfte der wohl berühmteste viktorianischen Roman sein, in dem sich die Handlung um Selbstsucht, Narzissmus, Mord und Totschlag dreht; bis heute ein Stoff, der an Brisanz nichts eingebüßt hat.
Dabei ist die Geschichte des Stücks schnell erzählt: Während der junge Edelmann Dorian äußerlich immer gleich schön und attraktiv bleibt, entstellt sich mit jeder seiner Missetaten das von seinem Verehrer gemalte Porträt bis es – metaphorisch für Grays Seele – schließlich zu einer grausigen Fratze verkommt.
Die Adaption des Burgtheaters (auf Einladung des Kulturinstituts in Bozen) hat sich auf einen einzigen Schauspieler konzentriert – das Bildnis des Dorian Grey als “One Man Show” sozusagen; weitere Personen würde der selbstverliebte Protagonist wohl auch kaum ertragen. Gray alleine soll die ganze Aufmerksamkeit gehören.
Neben der hervorragenden Leistung von Hauptdarsteller Markus Meyer – der trotz aufgemalter Larve und der doch beachtlichen Bewegungsbeschränkung zwischen den Gerüsten schlichtweg brillant ist – stellt die wahre Attraktion des Abends die bereits zitierte Bühne selbst dar. Bei dieser Inszenierung von Wilde hat man eher das Gefühl, einen Dokumentarfilm auf RTL Crime mitzuverfolgen, als im dunklen Theatersaal zu sitzen – ein Resultat der zahlreichen Videoinstallationen, die vorab für das Stück aufgenommen wurden. Diese zeigen sowohl den wunderbar verrucht- dekadenten Sir Henry als auch seinen moralischen Gegenspieler und Bildnisschöpfer Basil bis hin zu einem an einen Surfer- Dude erinnernden Bruder von Dorians Ex-Verlobten Sibyl Vane. Der Clou dabei ist, dass sämtliche Rollen von Meyer selbst interpretiert werden – wäre das Stück ein Film, wäre dem Maskenbildner der Oscar wohl sicher.
Es braucht ein unheimliches Timing des Schauspielers, um mit den ständigen Einspielungen auf der Leinwand Schritt zu halten, was Mayer bravurös meistert. So ergibt sich ein multimediales Szenario in 3D, das man im Theater so nur selten gesehen hat – mal sieht man Dorian und Lord Henry mit Weinkarte gemeinsam im Restaurant sitzen, kurz darauf sind sie dann aber auch schon in einer Theaterloge, nachdem sich Meyer durch das Gerüst aus Stangen auf eine andere Plattform gewunden hat.
Mit der Zeit blättert die unsterbliche Maske aus Gold zusehends ab und gibt eins nach dem anderen einzelne Hautstückchen und Makel frei, bis Dorian am Ende in einem Anfall aus Verzweiflung und später Reue auch noch den letzten Rest von Gold aus seinem Gesicht und seinem Leben kratzt – das Bild ist hin, der Protagonist tot.
Als nach knapp einer Stunde der Butler auf einem der Bildschirme den grausamen Fund der Leiche preisgibt, womit das Stück endet, ist Markus Meyer sichtlich außer Atem – kein Wunder, ist er doch sportlich für den gesamten Zeitraum von einer Stange zur nächsten geturnt (wer braucht schon ein Fitnessstudio bei so einem Job?). Das Publikum verdankt es ihm und holt ihn geschlagene sechs Mal zurück auf die Bühne.
‘Dorian Gray’ von Oscar Wilde. Regie: Bastian Kraft, Bühnenbild: Peter Baur, Kostüme: Dagmar Bald, Dramaturgie: Barbara Sommer, Musik: Arthur Fussy, Licht: Michael Hofer, Video: Michael Schüller, Peter Baur, Alexander Richter.
Mit: Markus Meyer. www.burgtheater.at
Foto: (c) Reinhard Werner, Burgtheater, Markus Meyer