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April 8, 2016

Wasser, Gas und Kunst: “Eau & Gaz”, Artist in Residency Program der Oberrauch Sisters in Eppan

Kunigunde Weissenegger

BAU, Hotel Amazonas, Klausen Vollpension, Radical Hospitality, GAP und Eau & Gaz sind die Namen einiger KünstlerInnen-Residenz-Programme in Südtirol. Letzteres ist jenes der Schwestern Kathrin und Sarah Oberrauch. Seit 2014 laden die beiden Eppanerinnen Künstlerinnen und Künstler in die Wohn-, Arbeits- und Ausstellungsräume der Johann-Georg-Platzer-Straße 17 in St. Michael, eben einem Ortsteil von Eppan an der weinseligen Straße. Für die zweite Edition von Eau & Gaz haben sie 2015 fünf Künstler und Künstlerinnen in die Residenz geladen: Monika Grabuschnigg (Österreich), Zohar Gotesman (Israel), Vincent Grünwald (Deutschland), The Wa (Frankreich) und Ivette Mrova Zub (Polen). Alle 5 stellen nun von 8. April bis 9. Mai (Fr–So 16–20h) ihre Arbeiten im Lanserhaus aus. Mit Stefan Alber haben die Oberrauch Sisters dieses Jahr auch eine Südtiroler Position in die Ausstellung geholt.
Am 12. April 2016 moderiert Alex Pichler anlässlich der Eau & Gaz Residency den SaltoTalk zwischen Philipp Bagnara und Zohar Gotesman, fragt nach ihrem persönlichen Werdegang und wird auch das Publikum und Ivette Mrova Zub und Stefan Alber in die Diskussion verwickeln. Von den beiden Kuratorinnen wollten wir wissen, wie es zur Entstehung des Residenzprogramms kam, wie’s läuft und wie’s weiter geht?!

Sarah und Kathrin Oberrauch, was hat es mit dem Namen Eau & Gaz auf sich?

“Eau & Gaz” ist eine häufig anzutreffende Beschilderung auf den Hausfassaden französischer Großstädte. Schilder dieser Art gaben ursprünglich den Hinweis auf fließendes Wasser und Gas im Gebäude. Erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen, zeugten sie von einem neuen Lebensstandard und wurden damit zum Zeichen modernen Komforts. Mit dem Namen “Eau & Gaz” spielen wir in erster Linie an das “Object trouvé” von Marcel Duchamp an. Der Bezug zu Duchamp hat einen bestimmten Grund: Duchamp war sehr stolz, dass sein Werkkatalog wenige Arbeiten umfasst. Es war der Meinung, dass Dinge Zeit brauchen und erst durch das Experiment entstehen können. Auf dem heutigen Kunstmarkt müssen Künstler ständig Präsenz zeigen und aktiv bleiben, um überleben zu können. Dabei entstehen oft Kunstwerke, die Duchamp als “quick art” bezeichnet hat. Die Residency soll gegen diese Tendenz ein Refugium für KünstlerInnen bilden. Als Rückzugsort, abgekoppelt von ständigen äußeren Aktivitäten, gewährt die Residenz einen Raum der intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit.The Wa - Sarah Obrrauch + Kathrin Oberrauch - Eau & Gaz Residency.jpg

Wie kam es zur Idee für die Residenz? Wer steckt dahinter? Wer sind Kathrin und Sara Oberrauch? Was macht ihr, wo und woran arbeitet ihr sonst? Erzählt uns ein bisschen was über euch bitte.

Wir sind beide im Bereich der zeitgenössischen Kunst aktiv. Über die letzten Jahre haben wir viele Projekte gemeinsam gestemmt. Zu zweit zu arbeiten hat den Vorteil, dass man von Anfang an eine feste Dialogpartnerin hat, mit der man über den ganzen Prozess hinweg im Austausch steht. Wir sind aber auch Schwestern, somit überspannt sich dieser Dialog schon seit Anbeginn.
Wir haben neben Südtirol auch Ausstellungen in Berlin und Tel Aviv gemeinsam organisiert. Das verrückteste Projekt war vielleicht das in Kairo – Ritornello. Zu den logistischen Problemen fügten sich auch sprachliche Barrieren mit dem Team des Darb Center, in dem die Ausstellung gezeigt wurde. Doch am Ende haben wir es geschafft, alle dazu zu bewegen, ihren vollen Einsatz zu zeigen und sich als Teil dieser Ausstellung zu sehen. Das Ergebnis war eine sehr gelungene Ausstellung, an der jeder seine Freude hatte, und viele neue Freundschaften, die durch dieses gemeinsame Erlebnis bestärkt wurden.

Was transferiert ihr von euren Ideen nach Südtirol? Was ist das Besondere an der Residenz in Eppan?

Für uns hat die Idee mit der Residency damit gestartet, dass wir einen Ort schaffen wollten, der über die Zeitspanne einer Ausstellung andauert. Etwas, das sich mit der Zeit entwickeln und verändern kann. Und etwas, das alle Mitwirkenden innerhalb desselben Projekts immer wieder auf’s Neue zusammen bringt. Das Schöne ist, dass wir erstmals mit eigener Kraft etwas ins Leben rufen kann, wie eben diese Residency, und mit der Zeit verselbständigt sich diese Idee. Immer mehr Menschen sind involviert und geben ihren ganz eigenen Beitrag.
Südtirol liegt im Herzen der Nord-Südachse. Es war somit immer schon ein wichtiger Handelsweg, in dem es zum vielseitigen Austausch von Kulturen kam. Die Residency soll in diesem Sinne diesen Austausch fördern. Wir Schwestern sind gemeinsam in Südtirol in St. Michael an der Weinstraße aufgewachsen. Deshalb gibt es auch diese emotionale Bindung zu St. Michael bei Eppan. Seit unserer Studienzeit verbringen wir aber sehr viel Zeit im Ausland, wo wir viele neue Leute kennen lernen und neue Freundschaften knüpfen konnten. Waren unsere Freunde zu Besuch in Südtirol, waren immer alle begeistert und auch positiv überrascht von dem vielseitigen Kulturprogramm, das hier geboten wird. Die Residenz soll dazu beitragen, dass St. Michael lebendig und attraktiv bleibt. Es ist auch schön zu sehen, dass immer mehr Kulturangebote außerhalb von den üblichen Ballungszentren entstehen, wie zum Beispiel die Kunsthalle Bozen, die eben nicht wie der Name suggeriert im Bozner Zentrum liegt, sondern im Umland, oder die Residence BAU, die ganz ohne festen Ort auskommt, sich aber auf abgeschiedenere Gefilden konzentriert. In der Kunsthalle Bozen wird übrigens zur Zeit auch eine Rauminstallation von zwei der Residenzkünstler, Vincent Grunwald und The Wa, gezeigt [bis 22.4.2016]. Monika Grabuschnigg Bilbao2015Wie wählt ihr die KünstlerInnen aus, die ihr einladet? Gibt es ein Thema oder einen roten Faden…? 

Die Residency ist vor drei Jahren als ein Pilotprojekt gestartet. Jedes Jahr werden 4-6 KünstlerInnen zur Residency und zur anschließenden Gruppenausstellung im Lanserhaus eingeladen. Bei der Auswahl der KünstlerInnen achten wir auf Gemeinsamkeiten in deren Recherche oder künstlerischen Praxis, und somit gibt es ein gewisses übergeordnetes Thema, aber es ist nicht unsere Absicht Themenausstellungen zu kuratieren. Wir möchten vorwiegend den KünstlerInnen die Freiheit geben, sich mit ihrer künstlerischen Arbeit auseinander zu setzen.
Bei der ersten Edition haben vorwiegend KünstlerInnen und AutorInnen aus unserem Freundeskreis teilgenommen. Mit jeder Edition erweitert sich der Kreis der Mitwirkenden. Vorschläge zur Auswahl der Künstler und Künstlerinnen kommen nicht nur von uns, sondern auch von Seiten der teilnehmenden KünstlerInnen: Sprich, wenn jemand eine Kooperation wünscht oder gemeinsam mit einem Künstlerfreund an der Residenz teilnehmen möchte, würden wir das auch unterstützen. Genauso kommen Vorschläge von Seiten unserer AutorInnen, die für den jährlichen Ausstellungskatalog ihre Beiträge liefern. Damit erweitert sich mit jedem Jahr der Kreis der Mitwirkenden.
In der diesjährigen Ausstellung versuchen wir, den Blick auf das zu lenken, was sich gerne im Hintergrund hält. Es werden verschiedene Institutionalisierungsprozesse beleuchtet, welche zur Stabilisierung sozialer Normen und Praktiken führen sowie allgemeine Ordnungs mechanismen festigen. Als ein Schwerpunkt zeichnen sich architektonische Fossilien ab, die von herrschenden Kräften zeugen und eine Gesellschaft weiterhin prägen. Neben der Suche nach Spuren solcher Konstituierungen werden auch Fragen der Ästhetik des Widerstands gestellt. Die teilnehmenden KünstlerInnen untersuchen, wie Raum-und Wissensordnungen zusammen hängen und inwieweit ihre Repräsentationsformen eingesetzt werden können. Zohar Gotesman Wie können wir uns den Ablauf, nachdem ihr euch für eine_n Künstler_in entschieden habt, vorstellen? Wann kommen sie, wie lange bleiben sie… Wie sieht der Tagesablauf aus…?

Mit jedem Künstler oder jeder Künstlerin werden wir mit einer neuen Situation konfrontiert. Die Interessen unterscheiden sich sehr und wir möchten diese Vielfältigkeit fördern. Jeder hat andere Vorstellungen und Neigungen. Dadurch lernen wir auch Südtirol immer wieder auf’s Neue kennen und kommen mit neuen Aspekten in Kontakt. Viele der KünstlerInnen streben Kooperationen mit Südtiroler Handwerkern und Unternehmen an. Dadurch kommen auch Menschen mit dem Kunstfeld in Kontakt, die von Berufswegen ansonsten weniger damit zu tun haben.
Wir versuchen auch die KünstlerInnen mit der Kulturszene Südtirols vertraut zu machen. Wir organisieren Studio Visits oder auch Kuratorengespräche.Gemeinsam besuchen wir Ausstellungen und Events oder arrangieren auch mal ein Abendessen. Kurz vor und nach der jährlichen Ausstellung ist natürlich die intensivste Zeit: Bisher ist es uns gelungen, dass immer alle KünstlerInnen zur Ausstellung nach Südtirol zurück kehren konnten. In diesem Zeitraum platzt die Residency aus allen Nähten. Aber es ist auch die schönste Phase, in der sich alle besser kennenlernen und Zeit miteinander verbringen. Diese gemeinsamen Erlebnisse tragen auch am meisten dazu bei, dass neue Freundschaften und spätere Kooperationen entstehen.
Die KünstlerInnen bekommen für die Residency ein Produktionsbudget und wir unterstützen sie vorwiegend bei der Produktion neuer Arbeiten. Meistens wird über die Projekte gesprochen und wir versuchen einen Weg zu finden, um diese zu realisieren. Wir kümmern uns um die Zusammenführung der Künstler mit lokalen Handwerken und Unternehmen oder bei ihrer Recherche.
Für diese Ausstellung hatten wir zum Beispiel eine großartige Zusammenarbeit mit dem Steinmetzunternehmen Bagnara: Der israelische Künstler Zohar Gotesman ist Bildhauer, der sich klassischen Inhalten wie der Portraitbüste oder Reiterstatue bedient. Bei dieser Kooperation steht der Aspekt der veränderten Arbeitsprozesse in der Bildhauerei im Vordergrund. Für die Herstellung der neuen Skulptur, die thematisch an den Kampf des Theseus mit Zentaur anknüpft, wird eine elektronisch gesteuerte Maschine benützt, welche die Skulptur aus dem Rohling herausarbeitet. Dementsprechend übersetzt er die Figur des klassischen Zweikampfes in einen zeitgenössischen Kampf zwischen Bildhauer und Computer. Diese Herangehensweise ist exemplarisch für seine Arbeiten, die sich meist als humorvolle Persiflage gegenüber seiner eigenen klassisch-künstlerischen Ambition erweisen.Mrova - Sarah Obrrauch + Kathrin Oberrauch - Eau & Gaz Residency Unterscheiden sich die erste und die zweite Ausgabe der Residency?

Letztes Jahr waren die KünstlerInnen vermehrt intimer und persönlicher in ihrer Herangehensweise. Es sind vorwiegend Arbeiten im Atelier entstanden. Am Beispiel von Mrova und Saori Kuno wird das sehr deutlich. Mrovas und Saori Kunos unterschiedliche Herangehensweisen spiegeln den Unterschied der diesjährigen Ausstellung zur ersten Edition recht schön wieder: Die Künstlerin Mrova stellt in der diesjährigen Ausstellung aus. Sie bezeichnet sich als “social designer” oder “visual researcher”. Ihr allgemeines Interesse gilt sozialen wie politischen Ereignissen, die in der jüngeren Geschichte eine Schlüsselrolle gespielt haben. In Südtirol geht sie den architektonischen Relikten des Faschismus nach und hebt die besondere Rolle der Alpen hervor. Ihr Fokus liegt auf den Formen der Repräsentation und Strategien der Dekonstruktion von Machtverhältnissen. Gemeinsam mit dem Jugendchor von St. Pauls hat sie das Lied “Bella Ciao”, das durch die italienische Widerstandsbewegung gegen den Faschismus im Zweiten Weltkrieg weitgehend bekannt wurde, vor einen der zahlreichen verlassenen Bunker singen lassen, sowie das Solidaritätslied von Bertolt Brecht vor der faschistischen Fassade des Bozner Bahnhofs. Mrova ist sehr konkret auf das Territorium eingegangen. Bei Saori Kuno, die in der ersten Edition mit dabei war, ist dies auf den ersten Blick weniger ersichtlich. Sie beschäftigt sich mit Konsumgütern, die in großen Stückzahlen hergestellt und in Büros oder Haushalten benutzt werden. In dieser Massenproduktion lassen sich immer wieder regionale Unterschiede erkennen und für Saori Kuno spiegeln sich auch darin die Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit wider.
Saori Kuno arrangiert diese Massenartikel immer wieder neu, bis sie ein bestimmtes Verhältnis zu den Objekten herstellen kann. Sie arbeitet vorwiegend im Atelier und in einer ständigen Auseindersetzung mit sich selbst. Mrovas hingegen interveniert in das Umfeld und bezieht es stärker mit ein.

Wie geht’s weiter?

Seit November 2015 haben wir den Verein Goldgasse gegründet. Dieser Verein hat es sich besonders zur Aufgabe gemacht ein breites Publikum zu erreichen und den Dialog mit der Kunst für viele Menschen, besonders außerhalb des Kunstfeldes, zu eröffnen. Auch streben wir weitere Kollaborationen mit Südtiroler Unternehmern und Handwerkern an, als auch Kooperationen mit bestehenden Institutionen, wie zum Beispiel 2016 mit SaltoTalk und Transart. Und es ist bereits die nächste Künstlerin und Autorin Eugenia Lapteva angereist, Jonathan Lahey Dronsfield folgt bald. Sie eröffnen somit die dritte Edition.

Alle Fotos (c) Eau & Gaz: (1) Sarah Obrrauch + Kathrin Oberrauch, (2) The Wa, (3)  Monika Grabuschnigg, (4) Zohar Gotesman, (5) Mrova

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