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April 7, 2016

Das alles sind sie:
“Blaue Wildnis” von Nico Feiden & Giacomo

Verena Spechtenhauser

Er ist wieder unterwegs, Nico Feiden, der Wanderpoet, den wir vor etwa einem Jahr hier vorgestellt haben. Auch jetzt macht sich Nico wieder auf Reisen, aber dieses Mal zieht er nicht mit Rucksack (oder doch?) und viel Zeit durch halb Europa, sondern befindet sich auf einer Lesetour: von März bis Mai 2016 durch den gesamten deutschsprachigen Raum und mit im Gepäck sein erster Gedichteband “Blaue Wildnis”, den auch ich gerade hier vor mir liegen habe.

Ein schmales, dunkles Büchlein, wunderbar schwarz-weiss illustriert vom freien Illustrator und Grafiker Giacomo, ein Indiebook, veröffentlicht im unabhängigen ELIF Verlag. Meine Ausgabe schon etwas verknickt und mit Eselsohren, weil ich das Paperback, seit es vor ein paar Wochen mit der Post gekommen ist, immer wieder in die Hand nehme, ein und zwei und manchmal auch fünf Gedichte auf einmal lese, es irgendwo offen liegen lasse, es vergesse, dann meinen Blick wieder drauf fallen lasse und mich erneut spontan darin vertiefe.

“Durch schlaflose Straßen. [...] Den Fluß entlang mit Wein und Kippen [...] taumelnd zwischen schlafend und wach”, heißt es im ersten Gedicht, das den Band eröffnet. – Sind es “Sweet Dreams” oder ist es doch Erlebtes. …wahrscheinlich ein bisschen von beidem, aber doch vermehrt zweiteres. “[...] rauf und immer wieder runter [...]” geht die Reise, in Bewegung die Worte, ruhelos die Wortbilder, auch das Gemalene, das sich lässig an die Texte schmiegt. Es sind auch “Schöne Nächte”, bloß am Ende des Buches ist “Sendeschluss”: “Es ist Sonntag, ich bete nicht, ich zünde Kerzen an & lege mich mit Schuhen ins Bett. Gute Nacht!”Blaue Wildnis - Nico Feiden + GiacomoNico, du bist mitten in einer neuen (Lese-)Reise. Wie fühlt es sich für dich an, auf eine derart organisierte Wanderschaft zu gehen?

Es ist schon etwas anderes; dieses “Treibenlassen”, das mir sonst das Wichtigste war, geht natürlich verloren. Ich glaube, man muss die Freiheit einfach woanders suchen, zum Beispiel im Vortragen der Texte oder in den schönen Bekanntschaften, die man macht, aber die Magie des “Unterwegssein” ist & bleibt ein zauberhaftes Gefühl, ob es nun geplant ist oder nicht.

Blau und Wildnis und Nächte. Was hat es mit dem Titel auf sich?

Der Titel bezieht sich auf eine ganz bestimmte Zeit & auf einen ganz bestimmten Zustand.
Wenn man morgens – der Himmel schon blau – betrunken, bekifft oder einfach nur übermüdet von einer Party kommt. Man hat das Gefühl, als wäre man leer & will nur noch schlafen. Doch dann gibt es da diesen kleinen Augenblick der Erkenntnis, wenn man eben nicht nach Hause geht, sondern sich noch in Ruhe auf eine Bank an den Fluss setzt, verträumt in den Himmel schaut & Reflexionen seiner Selbst im Geiste aufruft. Das ist die Blaue Wildnis, der einzig wahrhaftige Moment der Nacht & für mich der schönste …

Die Gedichte wirken auf mich sehr düster… – täusche ich mich?

Teilweise schon, doch liest man sie sich öfters durch, erkennt man, dass es keine Tragik oder Melancholie ist. Ganz im Gegenteil, es ist ein ursprünglicher, kompromissloser Blick auf das Leben. Kein Wünschen, kein Wollen, kein Analysieren. Die Dinge so sehen, wie sie sind,
schön & tragisch zugleich. In der Indischen Philosophie (Mahavakyas) gibt einen Spruch dafür, der mich schon sehr lange begleitet: Tat tvam asi – Das alles bist du!

Wie viel von deiner Zeit mit Obdachlosen in Südtirol und Bozen im Herbst 2013 hast du in deinem Gedichtband verarbeitet?

Egal, was ich jemals schreiben werde, ein Stück von dieser Zeit steckt in allem von mir & in den Ansichten, die ich dem Leben gegenüber habe. In dieser Zeit habe ich wirklich sehr viel über mich selbst & die Welt gelernt. Unsere Zeit, unser System, dieser Neokapitalismus züchtet eine Generation der Empathielosigkeit heran, wir profilieren uns mit Dingen, die wir besitzen & tun,
& vergessen dabei vollkommen, wer wir sind & auch wenn die Menschen auf der Straße wenig Geld & Besitz haben, so sind sie doch reicher, als manche von uns.
Ich glaube wir sollten öfters ein Blick an & über die Ränder unserer Gesellschaft wagen,
dort steckt mehr Weisheit, als sich anfangs erahnen lässt.Blaue Wildnis - Nico Feiden + GiacomoEs geht in deinen Gedichten auch um Liebe, um das Feiern und das Schreiben, um den Rausch, die Heimat und den Tod. Sind dies alles Dinge, die für dich das “große Ganze” symbolisieren?

Ich persönlich kann meine Gedanken nur sehr schwer lenken & sobald ich über etwas nachdenke, muss ich auch darüber schreiben & dies sind die Themen, über die ich in der Entstehung des Bandes nachgedacht habe & noch immer nachdenke. Das “große Ganze” ist natürlich viel viel mehr,
ich bin noch jung, muss & will viel lernen & habe hoffentlich noch genügend Zeit, all die Wunder dieser Erde zu erleben & durch meine Schriften mit anderen zu teilen.

Nico Feiden und Generation Beat – Ja oder Nein?

Natürlich kann ich meine Einflüsse schlecht leugnen. Das merkt auch jeder, der sich etwas mit Literatur beschäftigt. Ginsberg, Kerouac, aber auch Walt Whitman zählen zu literarischen Vorbildern. Weniger deshalb, was sie geschrieben haben, sondern mehr wie sie geschrieben haben.
Anfangs habe ich auch versucht die Richtlinien der Lyrik einzuhalten (Metrum, Reim & Komposition). Aber egal, ob nun in der Literatur oder im gesellschaftlichen Leben,
Richtlinien waren noch nie meines & der freie Vers, gibt mir die Freiheit, die Dinge so zu schreiben, wie ich sie empfinde.

Kannst du uns auch kurz etwas über Giacomo erzählen, der den Lyrikband illustriert hat?

Ja, Giacomo ist ein unglaublich talentierter Grafiker & Illustrator. Ich lernte ihn im März 2015 auf einer Veranstaltung in Hannover kennen. Linden Legendz – eine offene Bühne für Musik & Literatur, die er, ich & noch andere wunderbare Menschen nun zusammen jeden Monat veranstalten. Ich las aus meinem Kurzgeschichtenband “Die Engel der Straßen” & er malte in der Zeit ein wirklich sehr schönes Bild von mir & als ich dann den Buchvertrag in der Tasche hatte, wusste ich sofort, das wir das gemeinsam machen. Es sind nicht nur die Illustrationen, die er gemacht hat, auch die Gestaltung des Buches, die Schriftsatzung und und und. Alles Dinge, von denen ich absolut keine Ahnung hatte. Deswegen ist es mir auch wichtig zusagen, dass dies unser gemeinsames Buch ist. Dann muss man noch dazu sagen, dass das Team vom Elif Verlag uns alle Freiheit gelassen hat, die wir brauchten, um unsere Idee vom Buch umzusetzen.

Kommst du mit Blaue Wildnis auch zu uns?

Im März bin ich auf großer Deutschlandtour, im April dann in Österreich. Ab Mitte April habe ich ca. 1 Woche Zeit & werde meine obdachlosen Freunde in Bozen besuchen & einfach, weil es mir so große Freude bereitet, meine Bücher wieder auf der Straße am Waltherplatz verkaufen. (…und es wird eine Lesung in kleinem Kreis geben… –  Anmeldung via weissenegger@franzmagazine.com)

Blaue Wildnis Lesetour im April:
09.04 – Zürich // Sphér
12.04 – Bozen // franzmagazine [Anmeldung via weissenegger@franzmagazine.com]
13.04 – Innsbruck // Stiegenhausmusik
14.04 – Wien // Cafe Adorno
17.04 – Salzburg // Bureau du Grand Motmosaik – Zeitschrift für Literatur und Kultur
19.04 – Ingolstadt // Cafe Urna
22.04 – Magdeburg // Café Omm
23.04 – Hamburg // Altes Theater

Nico Feiden & Giacomo: Blaue Wildnis. Gedichte der Nacht
Text. Nico Feiden
Illustration: Giacomo
ELIF VERLAG 2016
84 Seiten, 11,95 Euro
ISBN: 978-3-9817509-3-5
www.nicofeiden.tk
Giacomo findet ihr auf FB unter Duckdays

Foto: (1) Nico Feiden, (2+3) franzmagazine

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