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March 29, 2016

“Nur nicht berieseln.” Manuela Kerer, Komponistin

Kunigunde Weissenegger
Ihre mit Arturo Fuentes co-komponierte, satirische Oper "Whatever Works" ist am 1. April (20h) und 3. April (16h) im Stadttheater Bozen erstmals in Italien zu sehen. Ein Gespräch mit der Brixnerin Manuela Kerer über das Verbinden von Klängen, alltägliche Töne, ungewöhnliche Musiktitel und Erwartungen, die sie wecken. Auch Arturo Fuentes haben wir für zwei Antworten erreicht.

Ist das die Zukunft der Musik? – Vielleicht. – Che culo! [In einem Interview mit ihr erlaube ich mir diese Wortwahl.] Eine der freigeistigsten Geister Südtirols ist Komponistin und Manuela Kerer. Wirf ihr Etwas zu – Wort, Ton, Dings, le truc [eine Französin hat mir das Wort "truc" so erklärt: "es kann alles sein" – und auch das scheint mir hier passend, deshalb schweife ich schon wieder ab]. Und schon geht’s los. Sie schnappt, greift zu. Denkt, kombiniert, experimentiert. Schlagzeug und Violine, E-Gitarre und Blockflöte, Harfe und Tuba miteinander verbunden, in einem einzigen Stück [zu erleben am 29.4.2016 um 19h mit 300 Schülerinnen und Schülern der Musikschule Bozen bei der Uraufführung von "Plenissimo" in der Bozner Stadthalle]. 

Wie klingt Korruption? Und profitgeile PolitikerInnen, sinnlose Hilfsgüter, Angst, Not, Enttäuschung, Hoffnung? In “Whatever Works” am 1. und 3. April (Libretto von Dimitré Dinev, Idee von Michael Schedl) geht es genau darum und darum: Was, wenn Katastrophenhilfe zu PolitikerInnenkarrierenhilfe und Parteiwahlerfolgswahn wird? Ironie omnipräsent. Zuvor, am Donnerstag, 31. März diskutiert Manuela Kerer [die kürzlich vom Zentrum für Genderforschung der Kunstuniversität Graz zur Künstlerin des Monats März 2016 gewählt wurde] ab 19.30h in der Oper.A Lounge im Parkhotel Laurin mit Regisseur Michael Scheidl, Eurac-Klimafolgenforscher Marc Zebisch und Caritas-Direktor Franz Kripp zu “Vor dem Sturm. Von Katastrophen aller Art und der Bereitschaft zu helfen.”  

Und nun, die Komponistin und Manuela Kerer ans Mikrophon.  

Manuela Kerer, wie komponierst du? Wann komponierst du? Was geht da in deinem Kopf vor sich? Ziehst du dich zurück oder “passiert” es unterwegs? 

Manuela Kerer: Das Komponieren verläuft bei mir in verschiedenen Phasen ab. Da gibt es zunächst eine Idee. In meinem Terminkalender, (der ganz altmodisch “analog”, also ein Büchlein ist,) gibt es einige Seiten, wo ich Ideen für Stücke notiere. Der Terminkalender deswegen, weil ich den immer bei mir habe und Ideen auch im Zug oder in fremden Städten kommen können. Dazu habe ich auch einen Notenlinien-Stift, der gleichzeitig 5 Linien zeichnet, also ein Notensystem. Wenn die Idee auch nach ein paar Mal drüber schlafen gut genug ist, wird sie zu einem Konzept und einer Skizze und dann in mehreren Schritten ausgearbeitet. Ich arbeite am Schreibtisch mit Bleistift und Notenpapier. Ich liebe den Geruch, den mein Radiergummi hat, wenn ich etwas radiert habe. Das Komponieren an sich ist eine sehr intensive Arbeit und kann bei längeren Stücken oder Opern über ein Jahr dauern. Wenn die Partitur fertig ist, dann übertrage ich das Ganze in mein Notenprogramm. Ich arbeite mit “Finale”, weil das die ausgefalleneren Zeichen hat als andere Programme. Für spezielle Klänge muss ich mir oft auch spezielle Notationen ausdenken. Es kann dann eine richtige Herausforderung sein, diese Zeichen in das Computerprogramm zu übertragen. Eines ist ganz klar: So sehr mir diese Arbeit auch Spaß macht, so knallhart kann sie sein. Denn Aufträge haben Deadlines und der Druck kann einen ganz schön fertig machen. Auch wenn ich mit Druck viel konzentrierter und zielgerichteter arbeite. Am liebsten arbeite ich allein im sprichwörtlichen “Kämmerlein”. Aber es kann schon mal vorkommen, dass ich in einer Zugfahrt nach Wien zum Beispiel mindestens 30 Sekunden eines Streichquartetts fertig kriegen muss, weil ich unter Zeitdruck bin. Wenn der Zug dann aber so voll ist, dass man wie die Sardellen in der Dose steht, und es keine Chance gibt, irgend etwas zu denken oder gar zu schreiben, dann erscheint das in dem Moment wie eine mittlere Katastrophe.  Komponieren kommt ja vom lateinischen Wort componere – zusammenstellen. Was verbindest du miteinander – Klänge von Instrumenten, Worte, auch Laute, Töne…? Launen, Zustände…?  

Manuela Kerer: Ich verbinde Klänge, die in meiner Vorstellung existieren. Dort sind sie abstrakt, ich versuche sie real zu machen. Das sind dann meistens Klänge von Instrumenten. Ich verwende sie entweder so, wie man sie gewohnt ist, oder ich versuche neue Klänge auf den Instrumenten zu finden. Oft habe ich aber auch Lust auf ganz alltägliche Töne, wie das Umblättern von Zeitungs- oder Packpapier, das Kauen von Schüttelbrot oder das Öffnen von Türen. Dann schreibe ich Werke für dieses “Instrumentarium”.

Wie viel fließt von deinem Leben und Erlebten in die Musik ein? Inwiefern? 

Manuela Kerer: Eigentlich fließt sehr viel in meine Musik ein. Nicht nur das von mir direkt Erlebte, sondern auch das Wahrgenommene, wie zum Beispiel politische Entwicklungen oder nicht unmittelbar greifbare klimatische Veränderungen. Oft fließen diese Erfahrungen sehr subtil in meine Arbeiten ein. Andere Male setze ich sie gezielt ein und teile sie dem Publikum mit. Das kann ein Satz von Hannah Arendt sein, den ich gerade gelesen habe. Das kann der Klang meines ungeborenen Neffen sein, dessen Herztöne ich gehört habe. Das kann aber auch eine Feder sein, eine elektrische Zahnbürste oder das knirschende Metall von Grenzzäunen. Oft werde ich gefragt, ob ich eine politische Komponistin sei. Natürlich bin ich das, schließlich lebe ich im Hier und Jetzt, und ich kann auch beim Komponieren nicht ausschalten, was ich gerade in den Nachrichten gehört habe. Auch wenn ich ein Liebesgedicht vertone. 

 Deine Kompositionen haben Namen wie “Anti aging für Klangkosmetiker”, “zersplittern”, “eMontionale Entäußerung – for Elena in motion”, “Die amygdala telefoniert mit herrn stefan zweig” oder “Manifest der coolen Instrumente” oder auch “rei(hihi)”. Wie kommst du auf diese ungewöhnlichen Titel? Was bezweckst du damit?

Manuela Kerer: Das ist ganz unterschiedlich. Bei “Die amygdala telefoniert mit herrn stefan zweig” geht es um die Amygdala, der Teil im Gehirn, der wesentlich an der Entstehung der Angst beteiligt ist. Sie spielt generell eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen. Stefan Zweig hat in seiner Novelle “Angst” unglaublich psychologisch treffend die Angstgefühle einer Ehebrecherin beschrieben. Deshalb habe ich mir vorgestellt, was inhaltlich und musikalisch passieren würde, wenn Stefan Zweig sich am Telefon mit der Amygdala unterhalten würde. Oft will ich, dass ein Zuhörer schon beim Lesen des Titels versteht, worum es im Stück inhaltlich geht. Bei anderen Titeln will ich das gerade vermeiden. Ab und zu wähle ich Titel auch ganz einfach deswegen, weil sie mir gefallen. Musik und Worte sind nicht immer, aber sehr oft zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich bin überzeugt, dass man Musik nicht endgültig mit Worten erklären kann. Musik anstatt Worte funktioniert auch nicht. Mit einem Titel weckt man aber Erwartungen. Musikalisch stelle ich mir dann die Frage: “Will ich die Erwartungen erfüllen?” Manuela Kerer © Franz Kimmel

Was sind für dich wichtige Komponenten einer Komposition? Wie möchtest du das Publikum berühren? Es involvieren? Motivieren? …? Gemütszustände, wie Lachen, Weinen, Erstaunen usw., oder Reaktionen provozieren, hervorrufen? 

Manuela Kerer: Für mich ist die Form eines Stückes wahnsinnig wichtig. Daran merke ich, ob ein Komponist sein Handwerk versteht. Musik passiert in der Zeit, jeder erlebt normalerweise im selben Moment dasselbe. Ganz anders als beispielsweise bei einem Bild, wo ich entscheiden kann, ob ich zuerst in die Ecke links oben, in die Mitte schaue oder ob ich es als Ganzes wirken lasse. Deshalb will ich diese Zeit gut füllen. Ich möchte das Publikum tatsächlich berühren, auf welche Weise auch immer. Lieber als dass meine Musik berieselt oder gefällig im Hintergrund läuft, will ich, dass sie verstört oder nicht gefällt. Aber natürlich ist mir lieber, wenn sie beeindruckt und Spuren hinterlässt. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich ungern Fußballstadien mit meiner Musik füllen würde. Aber das ist halt nicht so, weil leider nur ein kleiner Teil des Publikums mit zeitgenössischer Musik zu begeistern ist. Wie ich das Publikum letztendlich im Detail berühren will oder kann, ist mir selber ein Rätsel. Ich schreibe das, was ich selber hören will. Im ersten Moment denke ich also in mein eigenes Ohr und hoffe, dass es auch für andere – auf welche Weise auch immer – funktioniert. Wie gesagt: Nur nicht berieseln.

Du arbeitest des öfteren mit Kindern und Jugendlichen zusammen, schreibst auch für sie (wie letztens das Werk “Plenissimo” für 300 MusikschülerInnen der Musikschule Bozen, das am 29.4. in der Stadthalle aufgeführt wird). Was reizt dich an diesen jüngeren, “weniger erwachsenen” Menschen? Oder siehst du da gar keine großen Unterschiede zu den “ausgewachseneren” unter uns? 

Manuela Kerer: Erstens reizen mich ihre Ideen und ihre unkonventionelle Herangehensweise. Sie sind unvoreingenommen, offen und sagen ganz ehrlich, was ihnen gefällt und was nicht. Vor allem bei jüngeren Kindern gibt es nicht viele Unterschiede in der Herangehensweise, wenn sie Mozart oder Kerer hören. In der Art der Arbeit sehe ich prinzipiell aber keine Unterschiede zu “ausgewachsenen” Menschen beziehungsweise ProfimusikerInnen. Junge MusikerInnen sind auch ambitioniert und wollen das Beste herausholen. Das können sie am besten, wenn das, was sie spielen sollen, gut spielbar, aber dennoch herausfordernd ist. Deshalb habe ich bei der Komposition von “Plenissimo” ordentlich geschwitzt. Denn natürlich musste ich mich am Machbaren orientieren. Daraus dann eine “Partitur der 300″ zu kreieren war eine besondere Arbeit. Unser Ziel war, dass möglichst alle, die Lust dazu haben, im Boot sein sollten. Egal, auf welchem Niveau sie spielen. Inzwischen haben die Proben längst begonnen und ich bin schon jetzt Fan all dieser Bozner MusikerschülerInnen! Sie wissen, dass unser Projekt kein alltägliches ist. Und sie gehen mit einer Ernsthaftigkeit und gleichzeitigem Spaß an die Sache heran. Das ist für mich unglaublich motivierend. So extrem wie auf diese Aufführung habe ich mich noch selten gefreut. So gespannt war ich auch noch nicht oft.  Die Oper ist tot, lang lebe die Oper. Wie definierst du diese Gattung des Theaters? Und was ist denn eine musikalische Gattung, die dich besonders reizt? …und die deiner Meinung nach nie aussterben wird?

Tatsächlich reizt mich die Oper sicher am meisten. Oder vielleicht ein etwas weiter gefasster Begriff, der des Musiktheaters. Oper oder Musiktheater können den Menschen als mehrsinnliches Wesen erfassen und das taugt mir einfach. Unsere Sinne profitieren voneinander. Wenn wir sehen, hören wir auch besser. Wenn wir etwas berühren können, dann spüren und hören wir das anders. Der Geruch eines Konzertsaals beeinflusst uns. Für mich ist Kunst generell ein Erlebnis, das mehr als nur einen Sinn erfasst. Das Wort “Ästhetik” entwickelte sich aus dem Griechischen “aísthesis”, also “sinnliche Wahrnehmung”. Musiktheater ist für mich aber ein weiter Begriff, auch ein Streichquartett oder ein Orchesterstück können im Prinzip Musiktheater sein.

Für “Whatever Works” hast du (nicht das erste Mal) mit einem anderen Komponisten, nämlich Arturo Fuentes, zusammen gearbeitet. Was ist anders als bei der Arbeit allein? Wie können wir uns das vorstellen?

Die Arbeit haben wir vor allem in der Anfangsphase des Projektes geleistet, als wir uns nämlich sehr oft getroffen und diskutiert haben. Dabei hat uns das ganze Team unterstützt, unter anderem Librettist Dimitré Dinev und Regisseur/Produzent Michael Scheidl. Das Libretto war damals noch nicht ausformuliert, und langsam sind wir auf eine Aufteilung der Szenen gekommen. Die sind nämlich, den beiden Handlungssträngen folgend, durchmixt und nicht in 1. und 2. Teil unterteilt. Ich gebe ganz offen zu, dass ich als Komponistin egoistisch bin. Deshalb war von Anfang an wichtig, erkennbar zu machen, wer welche Szenen komponiert hat. So haben wir entschieden, dass Arturo mit Elektronik arbeitet, ich hingegen vollkommen ohne Zuspielungen oder Live-Elektronik. Dafür habe ich eine Theorbe und einen Chor verwendet. Rein “analog” zu arbeiten birgt natürlich Risiken. Aber die bin ich eingegangen und die Rechnung ist aus meiner Sicht aufgegangen. Auch wenn wir also nicht “vierhändig” komponiert haben, ist so eine Zusammenarbeit riskant, da teilweise bis zum Schluss nicht klar ist, was der andere machen wird. Deshalb war eine ordentliche Portion Vertrauen Grundvoraussetzung. Arturo Fuente © Arturo Fuentes Und dieselbe Frage auch an dich, Arturo Fuentes: Arbeitest du oft mit anderen KomponistInnen zusammen? Was ist anders als bei der Arbeit allein? Was bevorzugst du?

Arturo Fuentes: Nein, ich arbeite zumeist allein. “Whatever Works” war ein Experiment. Manuela Kerer ist einen großartige Komponistin und von den ersten Treffen an wollten wir dieses Experiment fortführen: Ich wusste, dass Manuela einige Szenen der Oper komponieren würde. Wir haben unabhängig voneinander gearbeitet, ich war auf die Komposition meiner Teile konzentriert, am Ende haben wir uns getroffen, mit unseren vollendeten Stücken, gespannt auf die Mise en Scène. Ich denke, wir waren eins aufgrund desselben Themas, derselben Dramaturgie und wir konnten beide unserer persönlichen Ästhetik folgen. Ich arbeite mit Elektronik und Zitaten, beispielsweise einer Arie aus “Carmen” von Bizet. Da wir uns in dieser Produktion mit schwierigen Themen befassen, wie politische Machenschaften und der Not in der Welt, habe ich mich der Ausdrucksweise des Kabaretts bedient, um etwas Leichtigkeit auf die Bühne zu bringen, angelehnt auch an den zynischen und feinen Humor des Libretto. 

Und noch eine Frage an dich, Arturo Fuentes: Wie definierst du das Genre Oper? Ist die Oper tot oder gibt’s ein Revival? Was bedeutet Oper für dich?

Arturo Fuentes: Ich kann das nicht benennen, ohne Bezug auf die Operninszenierungen des 19. Jahrhunderts zu nehmen, denke ich; um auf die Frage zu antworten, werde ich jedoch nicht in eine musikwissenschaftliche Analyse einsteigen. Ich liebe die klassische Oper, wie auch immer, die Dinge haben sich geändert. Ich kann dir erklären, wie ich diese Bezeichnung als Form von Musiktheater heutzutage begreife – beispielsweise arbeite ich gerade an einer Komposition für ein Opern-Monodrama für einen Sopran, Ensemble und Elektronik. In der Gegenwart verfügen wir über neue Arten der Bühnenerkundung, wie beispielsweise der Einsatz von Live-Elektronik-Schalltransformation, Video, Bewegungssensoren, digital programmierter Beleuchtung usw. Dies alles bringt uns Schöpfer dazu, die Verwendung eines Musik-Raumes neu zu denken und natürlich neue Wege der Dramaturgie zu beschreiten. Doch nicht nur Technologie hat unsere Sichtweisen verändert und neue Abstufungen geschaffen, auch Theater ist vermehrt an diesen Produktionen beteiligt. Für “Whatever Works” habe ich sehr dichte Musik-Theater-Passagen erarbeitet, die exzellent von meinen beiden Sopranistinnen/Schauspielerinnen Sarah Maria Sun and Shira Karmon ausgeführt werden. Für meine Mise en Scène erzeuge ich ununterbrochen Kurzfilme und Foto-Sessions, ich entwickle meine Oper- und Musiktheaterkonzepte auf eine cinematographische Art und Weise. Für mich bedeutet Oper Live-Kino.  Komponistin, Musikerin, Psychologin oder Juristin? Oder kannst du diese Frage mittlerweile einfach nicht mehr hören? – Und inwiefern gehen Kennzeichen beziehungsweise Eigenarten der einzelnen Tätigkeiten vielleicht fließend ineinander über? – In deiner Dissertation ging es um Musik und Demenz: Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?

Manuela Kerer: Da kann ich ganz laut und deutlich “Komponistin” rufen! Tatsächlich höre ich diese Frage eigentlich sehr gerne, weil auch die anderen Disziplinen zu mir gehören. Also danke dafür! Komponieren ist mein Hauptberuf, aber die anderen Fächer beeinflussen mich dabei. Ich habe oft das Gefühl, dass ich im Kompositionsstudium zwar das Handwerk erlernt habe. Die anderen Studien waren aber mindestens genauso Kompositionsstudium, weil sie ideell und inspirationsmäßig so wahnsinnig wichtig waren/sind. Andererseits muss ich auch sagen, dass ich mir öfter überlegt habe, nicht mehr zu erwähnen, dass ich auch andere Studientitel abgeschlossen habe. Oft habe ich das Gefühl, dass ich in die Schublade “macht alles, aber nichts richtig” geworfen werde. Dennoch bin und bleibe ich Fan der antiken Tradition der “septem artes liberales”, oder eigentlich Fan einer möglichst umfassenden Bildung. Weil die zu mir gehört, werde ich sie also auch weiterhin erwähnen. Die Musik beeinflusst aber auch meine anderen Interessen. Deshalb habe ich mich schon früh beispielsweise für Musik und Demenz interessiert. Auch wenn jemand aufgrund einer Demenz kognitive Einschränkungen hat, kann er weiterhin erstaunliche (Gedächtnis-)Leistungen im Bereich der Musik erbringen. Das kann den Betroffenen in vielerlei Hinsicht helfen und zeigt, dass die Musik im Gehirn ganz besonders wirkt. Allein wenn ich daran denke, bekomme ich eine Gänsehaut, so beeindruckend ist es nach wie vor für mich.

Was hörst du zur Zeit total gern?

Manuela Kerer: Das, was mir entgegen pfeift, wenn ich das Fenster öffne. Ich habe derzeit eine intensive Probenzeit wegen verschiedener Projekte, da bin ich froh, wenn ich die Ohren mit stiller Atmosphäre lüften kann.

Was wäre ein Projekt, das du unbedingt demnächst angehen und realisieren möchtest? 

Manuela Kerer: Mir schwebt schon lange etwas vor, wie ich meine Stadt Brixen zum Klingen bringen kann, oder die Aufmerksamkeit auf die vorhandenen Klänge lenken kann. Da denke ich, wie gewohnt, größenwahnsinnig, denn man muss die Ziele hoch stecken, damit man zumindest Teile davon realisieren kann. 

MANUELA KERER, Komponistin, geboren 1980 Brixen/Südtirol/I, staunt gern und ist ständig auf der Suche nach neuen Klängen, Überraschungen und Herausforderungen. Sie schloss neben den Studien am Tiroler Landeskonservatorium (Komposition und IGP Violine) die Studien der Rechtswissenschaften und der Psychologie an der Universität Innsbruck ab (Dissertation: Musik und Demenz). Weiterführende Kompositionsstudien führten sie zu Alessandro Solbiati nach Mailand. Werke von M. Kerer entstanden für das “Solistenensemble Kaleidoskop Berlin”, “die reihe”, die “Bayerische Kammerphilharmonie” oder für Ausnahmekünstler wie Julius Berger und Maja Ratkje. Sie wurden bei Festivals wie der Münchener Biennale für zeitgenössisches Musiktheater und Wien Modern oder in den Konzerthäusern Berlin und Wien, auf Kampnagel Hamburg, in der Accademia Filarmonica Romana und im ACF New York aufgeführt. Manuela Kerer erhielt zahlreiche Preise, darunter den Walther-von-der-Vogelweide-Preis (2009), den SKE Publicity Preis (2011) und das Österreichische Staatsstipendium für Komposition (2008, 2011 und 2016). Im Jahr 2009 wurde die Komponistin vom Ausschuss der Europaregionen als eines von europaweit 100 “young creative talents”, 2012/2013 vom österreichischen Außenministerium für das Programm “New Austrian Sound of Music” ausgewählt. 2015 erhielt sie das Internationale Arbeitsstipendium “Composer in Residence – Komponistinnen nach Frankfurt”, 2016 ist sie Composer in Residence des Festivals St. Gallen/Steiermark. Manuela Kerers Werke erscheinen im Verlag Breitkopf & Härtel. Sie wurden auf zahlreichen CDs eingespielt, eine Porträt-CD erschien im Rahmen der ORF Edition “Zeitton“. www.manuela-kerer.bz

ARTURO FUENTES, Komponist, geboren 1975 in Mexiko, zog es 1997 nach Europa, um Komposition in Mailand und Paris bei Franco Donatoni und Horacio Vaggione zu studieren. In Wien und Innsbruck, wo er derzeit lebt, entwickelt er den Großteil seiner musikalischen Aktivitäten. Seine Produktionen enthalten Instrumental-, Elektro-akustische Werke sowie Film und Musiktheater. In den letzten Jahren sind zwei monographische CDs entstanden: Eine mit den Ensembles Phace und Recherche bei Neos, die zweite mit dem Quatuor Diotima bei Kairos. Des Weiteren veröffentlichte Kairos eine DVD der Tanz-Musik-Performance Grace Note, die in Zusammenarbeit mit der Compagnie Liquid Loft, dem Ensemble Phace, dem österreichischen Künstler Günter Brus und Fuentes entstand. Bei dieser Produktion von Wien Modern 2012 konnte er gemeinsam mit dem Choreographen Chris Haring zum ersten Mal seine Ideen in der Regie umsetzen. Einige seiner aktuellen Auftragswerke sind Snowstorm für das Ensemble Intercontemporain; die Musiktheater-Produktionen Desastres de la guerra (Die Schrecken des Krieges 2017, basierend auf dem Werk Goyas) für das Zafraan Ensemble in Berlin; Musique des êtres imaginaires (Musik eingebildeter Wesen 2016, basierend auf der Lyrik Borges) für das Ensemble Lucilin mit der Premiere in der Philharmonie Luxembourg, inszeniert vom Komponisten selbst, und Whatever Works unter der Regie von Michael Scheidl (2015, Wien Modern). Als audiovisueller Künstler und Regisseur hat Arturo Fuentes einige Kurzfilme produziert. www.arturofuentes.com 

Fotos: 1+2: Manuela Kerer © Franz Kimmel;  Foto 3: Arturo Fuente © Arturo Fuentes

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