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January 29, 2016

Maria C. Hilber: aus Liebe und Drang Autorin, Performerin, Vermittlerin

Nadja Röggla

Wir sitzen im “blauen Salon” in Bozen vor einem Teller Nudeln. Maria C. Hilber, auf der dunklen Holzbank neben mir, isst langsam, fast schon andächtig, und überlegt meistens sehr lange, bevor sie mir antwortet. Als uns der Kellner den Wasserkrug serviert, erzählt mir Maria plötzlich von Blutkörperchen, die wegen mangelnder Flüssigkeitszufuhr zusammenkleben. Winzig kleine rote Zellen, die sich in unseren Körpern, tanzend, zart aneinander schmiegen und leuchtende Proteine aufsaugen. “Das sieht unter dem Mikroskop wahnsinnig faszinierend aus.” Bilder. Die 32 Jahre alte Pustererin redet und denkt visuell. Diese bildliche Vorstellungskraft, auf’s Wort übertragen, vermittelt Stimmung, Gefühl – gesprochen sowie geschrieben. Maria C. Hilber spielt mit Worten, lässt sich auf Gedankenwellen treiben, (wie beispielsweise bei Performances mit Arbeitstiteln wie “Das beeindruckende Gesäß von Phlegma” oder Schreibprojekten mit Titeln wie “Hyperlinkessays” – geht Ende Februar 2016 online, oder Texten wie in der Kulturelemente Nr. 125 “Die Esifizierung“).

Die Pustererin ist auf einem Hof in Terenten aufgewachsen und ging dann nach Bozen, um Design zu studieren. – “Dort bin ich dann richtig aufgegangen, die neu geschlossen Freundschaften haben mich ein großes Stück weiter gebracht in  meiner Entwicklung. Hier traf ich auf die ersehnte heterogene Masse.”Maria C. HilberManchmal schweift Maria in ihren Erzählungen ab, Sätze wirbeln durch den Raum. Und Reize rattern nicht einfach an Marias Brillenrändern vorbei. “Das ist manchmal sehr anstrengend. Ich nehme sehr genau wahr.” Auch deshalb genießt sie die nach ihrem Umzug vor zirka einem Jahr von Wien in ihren Heimatort Terenten zurückgewonnene Ruhe sehr. In unserem Gespräch hüpfen wir von einem Thema zum nächsten. Viel Gedachtes und Gemachtes gibt es zu erzählen. Doch an Struktur fehlt es nicht: “Ich stelle immer wieder Diagramme und Tabellen auf, um mich nicht zu verlieren,” erzählt Maria. “Seit ich mich selbstständig gemacht habe, habe ich ein Drei-System für mich entworfen.”

Die erste Säule sei das Schreiben und Lesen. Seit 2007 tritt Maria in Lesungen und Performances auf – “aus Liebe und Drang“. 2012 erschien ihr erstes Theaterstück “Blue Moon” mit Georg Kaser, 2014  dann die szenische Lesung von “Weiß oder kein Schildkrötenhaus” am Schauspielhaus Wien. 2015 gehörte sie zu den FinalistInnen der Bozner AutorInnentage der Vereinigten Bühnen Bozen, Kategorie Dramatik und im selben Sommer war sie eine der auserwählten Teilnehmerinnen der Summer School Südtirol für Dramatisches Schreiben zum Thema Flucht und Zuflucht mit Maxi Obexer im Schloss Velthurns in Feldthurns – in der Folge ist auch dieser Text von ihr entstanden: schloss-post.com/agents-between-the-worlds.Maria C. HilberKulturmanagemant, Casa Nang und Weiteres in diese Richtung wären dann die zweite Säule. Der Fokus liegt dabei darauf, literarische oder performative Veranstaltungen zu organisieren. Zusammen mit Martin Hanni konzipierte sie 2015 Casa Nang, ein temporäres Literaturhaus, das als Verbindungsprojekt eine Serie an Veranstaltungen schuf, um einen Dialog zwischen SchreiberInnen und LeserInnen herzustellen. “Nang ist ein unabhängiges Blatt für Wortkultur und Bildhaftigkeit. Er versteht sich als Ort, an welchem lokale Autorinnen und Autoren ihre Texte anbieten und Worte dem Experiment preisgeben.”

Die dritte Säule ist der Punkt der Co-Partizipation: Im Sinn der Theorie “The Art of Hosting” aus den Staaten will Maria C. Hilber partizipative Prozesse schaffen und versucht dabei Moderationssysteme zu entwickeln und Räume zu schaffen, um gezielt Wissen zu vermitteln, gemeinsam Entscheidungsfindungsprozesse durchzuführen und Dialog zu fördern. Es geht ihr um Vermittlung und Diskussion – um den offenen Austausch unterschiedlicher Menschen. Empowerment und Emanzipation spielen dabei eine zentrale Rolle.

“Ich bin nicht zufrieden, wenn ich einer dieser Sachen nicht nachgehe. Dann fehlt mir etwas,” meint Maria C. Hilber abschließend. – Langsam fügt sich alles zusammen. Erfahrungen verweben sich mit Interessen, Zufällen und Leidenschaft und ergeben ein harmonisches Ganzes,  das Sinn ergibt. Und vor uns steht ein kalter Teller Nudeln. Wir haben zu viel geredet, um zu essen – im blauen Salon.

Maria Christina Hilber *1984, lebt und arbeitet zwischen Südtirol und Wien. Masterstudium von “Art and Science” an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Mehrjährige Tätigkeit als Künstlerische Leitung bei pro mente  inWien. Mitbegründerin von “NANG. Autonomes Wort” und Initiatorin der “CASA NANG. Temporäres Literaturhaus”, Südtirol 2015 (www.casanang.eu). Erstes Stück 2012 unter dem Dachtitel “Im Jahre des Affen”. Zweites performatives Stück  “Weiß. Kein Schildkrötenhaus”. Maria schreibt am geförderten Projekt Hyperlinkessays. Sie versteht sich als systemische Arbeiterin, Autorin, Performerin und Gastgeberin, als komponierendes Labor. Sie sucht nach neuen Wegen der Verknüpfung zwischen den Disziplinen, nach neuen (politischen) Verhandlungsformen und literarischen Entfaltungen zwischen Fiktion, Faktum und Beobachtung.

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