Und wenn er nicht gestorben ist, dann trommelt er noch heute…

Die Inszenierung von “Die Blechtrommel” des Schauspiels Frankfurt auf Einladung des Südtiroler Kulturinstituts zu Gast in Südtirol.

28.01.2016
Und wenn er nicht gestorben ist, dann trommelt er noch heute…

“Die Blechtrommel” – DER Roman der deutschen Nachkriegszeit schlechthin; ein Name, mit dem wohl jeder etwas anfangen kann, auch wenn er den Roman von Günter Grass oder die Verfilmung von Volker Schlöndorff nicht gelesen bzw. gesehen hat.
Keine Frage also, dass ich beim Gastspiel des Schauspiels Frankfurt im Bozner Waltherhaus am vergangenen Mittwoch dabei sein musste.
Zur Sicherheit überfliege ich nochmals die alten Mitschriften aus der Unizeit – ein Kind, das mit drei Jahren aufhört zu wachsen, Deutschland im Nazi-Rausch und da war doch noch irgendetwas mit einem Aal und Brausepulver…
 
Die Inszenierung beginnt, Nico Holonics alias Oskar Matzerath steht etwas verwirrt und mit Kapuzenpullover über der Latzhose – wohl eine missglückte Referenz an das Hier und Jetzt – auf der Bühne und beginnt vor sich her zur stammeln. Holonics Stimme ist dabei so kindlich hoch, dass einem der Schauer über den Rücken läuft. Mein erster Gedanke: Schon wieder so ein prätentiöses Stück…; doch es soll besser werden.
Die Bühne selbst kommt mit einem Podest aus Erde und Sand aus und ist eine Anlehnung an den kaschubischen Kartoffelacker auf dem Matzerath’s Großmutter einen Augenblick zu lang die vier Röcke aufgehoben hat – die Geschichte nimmt ihren Lauf.
  
Als Requisiten sind nur ein übergroßer Stuhl, neben dem Nico Holonics tatsächlich wie ein Erstklässler aussieht, und das titelgebende, wichtigste, Utensil, die Blechtrommel, im Einsatz. Vielleicht hätte man das Stück besser “die Blechtrommeln” nennen sollen, denkt man an die schier unüberschaubare Menge an Instrumenten, die Oskar im Laufe des Abends eintritt und zerstört.

Ich brauche länger als üblich in die Aufführung hineinzufinden, vielleicht auch deshalb, weil Ich immerzu auf andere Mitspieler warte; doch weit gefehlt. Regisseur Oliver Reese beschränkt sich auf Holonics, der dieser Rolle mehr als gerecht wird. Sieht man zu Beginn den jungen Matzerath noch leicht befremdlich an – eine Figur, die irgendetwas Unheimliches, ja Perverses an sich hat – fesselt Holonics den Zuschauer nach und nach immer mehr und wird schließlich zum Hauptgrund, sich diese Inszenierung nicht entgehen zu lassen. Das entschädigt sogar das zu einem Gekrächze verkommene Schreien von Oskar, das angeblich Glas zerbersten lassen soll.

Alle Personen gleichzeitig zu sein, einmal der jüdische Spielwarenhändler Sigismund Markus, dann Onkel oder Vater Jan Bronski, dann wiederum Gnom Bebra bis hin zu Stiefmutter oder erster Liebe Maria ist wahrlich eine Meisterleistung und lässt den Zuschauer mehr als einmal daran zweifeln, ob es sich hier um den immer gleichen Schauspieler handelt.
Holonics spricht mit unterschiedlichen Akzenten, schneidet Grimassen, ist mal unbeherrscht wütend mal kindlich naiv. Bei einem Dialog von immerhin über zwei Stunden ein triumphales Kunststück.
 
Die Vorlage des Romans von Günter Grass wird dabei zwar strikt befolgt, doch gleichsam ungemein stark gekürzt. Der Tod von Bronski, ja die ganze Rahmenhandlung wird weggelassen oder nur angedeutet, was teilweise zu Verwirrungen führt – angesichts der 800 Seiten des Originals ein wohl notwendiges Übel. Jeder Gymnasiast, der sich eine stimmige Zusammenfassung des Werkes für den nächsten Aufsatz erhofft hatte, ging aber wohl enttäuscht nach Hause.

Abgesehen von Holonics Darbietung ist die Aufführung selbst eher überschaubar. Bis auf eine Szene am Ende des ersten Aktes, in der Oskar nach dem Selbstmord des jüdischen Spielwarenhändlers in der Kristallnacht auf eine dramatische Art und Weise eine ganze Wand von Blechtrommeln enthüllt, geht das Stück ohne größere Zwischenfälle zu Ende.

Auch wenn ich mich streckenweise lethargisch der Faszination dieses übergroßen Stuhles auf der Bühne nicht entziehen will, werde ich  plötzlich wieder von Holonics Aufschrei zurück ins Theater geholt und kann nichts anderes tun, als dem Spiel des Mimen bis zum Schluss hin gebannt zu folgen. Bravo!

Die Blechtrommel von Günter Grass. Theaterfassung von Oliver Reese. Regie: Oliver Reese; Bühne: Daniel Wollenzin; Kostüme: Laura Krack; Musik/Sounddesign: Parviz Mir-Ali; Sounddesign: Joachim Steffenhagen; Dramaturgie: Sibylle Baschung. Mit: Nico Holonics. Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause. 

Titelfoto: (c) Birgit Hupfeld

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