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November 10, 2015

Der Seelenfänger. Andreas Nestl und die Fotografie

Maximilian Mayr
Andreas Nestl gehört zu Südtirols bekanntesten Fotografen. Zwei Veranstaltungen, die eine am 23. Oktober in Brixen, die andere am Freitag, 30.10. in Dorf Tirol, stellten nun seinen Katalog mit Arbeiten der letzten Jahre vor.

“Als Kind ist jeder ein Künstler. Die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsener einer zu bleiben.” Mit diesem Zitat von Pablo Picasso wird die Präsentation von Andreas Nestls Porträtkatalog im Kaisersaal der Brixner Hofburg eröffnet. 
Ich übernehme ganz bewusst das Zitat des spanischen Malers am Anfang meines Textes, da es Andreas Nestl ohne Zweifel geschafft hat sich eine besonders kreative Ader von Kindheitsbeinen an zu bewahren und auch, weil Picasso nicht der einzige prominente Namen ist, der an diesem Abend mit dem Sterzinger Fotografen in Verbindung gebracht wird. In dieser kühlen Oktobernacht finden sich nämlich außer mir um die hundert begeisterte Bewunderer, Freunde oder speziell eingeladen Gäste in Brixen ein, die die Arbeiten eines ganz speziellen Talents in Augenschein nehmen wollen. Als ich schließlich, nach anfänglicher Skepsis, ein Porträt zu Gesicht bekomme, verstehe ich dann auch gleich warum: Indem Nestl bei seinen schwarz-weiss Porträts alles Überflüssige weglässt – das Gesicht des Menschen zeichnet sich nur von einem schwarzen Hintergrund ab –, gelingt ihm etwas Erstaunliches: Man hat das Gefühl, dass er die Seele des Porträtierten einfängt. 

Ich nutze die Gelegenheit und führe gleich zu Beginn der Veranstaltung, am Rande des Sekt-Empfangs, ein kurzes Interview mit dem Mann der Stunde. 1983 in Sterzing geboren, startet Andreas seine Karriere in der Mailänder Modebranche und entdeckt dort die Leidenschaft für Fotografie- seitdem gehört er zu den prominentesten und erfolgreichsten Fotografen unseres Landes. „Am Anfang meiner Karriere“, so der Südtiroler Künstler: “Ich habe in Mailand einem Fotografen assistiert, der im Modebereich tätig war. Aber davon abgesehen, kam ich zu dieser Kunstform, weil sie mir am meisten liegt und ich mich am besten dadurch ausdrücken kann. Die Porträtfotografie ist das, was mich am meisten interessiert hat auf meiner Reise von meiner Assistenzzeit bis heute. Ich habe mich dann darauf spezialisiert – auf das Porträt und den Menschen hauptsächlich.” Die Veranstaltung in Brixen ist die erste von zwei,  welche den neuen Katalog von Nestl in den Vordergrund stellen; eine weitere fand am 30. Oktober 2015 in Schloss Tirol statt.Andreas NestlDer Katalog des Fotografen beinhaltet die Projekte der letzten Jahre und kann neben einer Sektion von Auftragsporträts in weitere 3 Kapitel eingeteilt werden, wie mir Andreas erklärt: “Das erste Kapitel beleuchtet verschieden Porträts unterschiedlicher Menschen wie Guido Westerwelle, Luis Durnwalder oder Reinhold Messner. Ein weiteres Kapitel habe ich Charaktermenschen gewidmet. Das waren Menschen mit Behinderung, die ich zusammen mit einer Einrichtung in Sterzing realisiert habe. Das Tolle war, dass man das Bild vorher nicht planen konnte. Das Unvorhergesehene war die Schwierigkeit, um den Prozess zu kontrollieren und ihm eine Form zu geben. Ein weiteres Kapitel im Katalog ist das Projekt “Kinderträume”, welches ich in Berlin realisiert habe. Hierbei geht es um Tagträume von Kindern. Diese konnte ich mit Kostüm und Maske in einem speziellen Filmlicht in die Tat umsetzten. Ich hatte damals einen Wettbewerb vom Kamerahersteller “Hasselblad” gewonnen und konnte durch die tatkräftige Unterstützung mit Equipment mein vorgeschlagenes Konzept durchführen. Das letzte Kapitel befasst sich schließlich mit den Senatoren auf Lebenszeit in Rom, die ich porträtieren durfte – wie zum Beispiel Giulio Andreotti, Rita Levi-Montalcini oder Carlo Azeglio Ciampi. Ich konnte diese Persönlichkeiten unter meinem Porträtlicht ablichten. Das war sehr spannend. Jede Begegnung ist immer anders. Es ist faszinierend, was da dahintersteckt, welche Lebensgeschichte und was der Mensch dann einem auch im Bild verrät.”Nestl AndreasImmer auf der Suche nach neuen Charakteren, bleibt Andreas Nestl, der zwischen München und Dorf Tirol hin und her pendelt, stets rastlos und interessiert – allem voran am Menschen, wie er mir zu verstehen gibt: “Es ist der Charakter, der mich fasziniert: Wer ist dieser Mensch? Also nicht nur sein Äußeres, denn das kann man ja alles arrangieren – die Haare, das Makeup, die Kleidung. Es ist sehr wichtig  mit der Oberfläche zu arbeiten, aber ich versuche auch hinter die Fassade zu blicken. Das ist die Herausforderung bei der Porträtfotografie. Das Zusammenspielen von Porträtiertem und Fotograf. Das muss dann funktionieren. Wenn sich der Porträtierte auf das Spiel einlässt, kann ich auch mehr herausholen. Unter meinem harten Licht versuche ich das Gesicht so zu modellieren, wie man das vielleicht von den rauen Zeichnungen von Egon Schiele kennt; – den dramatischen harten Ausdruck auf dem Bild festzuhalten, sozusagen. Teilweise ist das inszeniert, aber das Unvorhergesehene spielt eine große Rolle – und alles dann wirklich einzufangen. Man weiß dann nie, was einen wirklich erwartet bei einem Portrait-Shooting.”

Nestl, der inzwischen für die Süddeutsche Zeitung, das renommierte SZ-Magazin oder auch das Geo-Magazin fotografiert, erregte zuletzt Aufsehen durch seine Porträts der “Russenkinder” – der Kinder also, die aus der Verbindung deutscher Frauen mit russischen Soldaten zur Zeit des zweiten Weltkriegs entstanden. Oft handelte es sich hierbei um Vergewaltigungen. Mit der Serie wurde auch die Historie mit aufgegriffen. Die Geschichten der Kinder des Feindes; eine Schande im Deutschland der Nachkriegszeit.  

Fotografien und Porträts faszinierender Persönlichkeiten, Aufträge von einflussreichen Print-Medien – gibt es dennoch einen Traum, den sich das Ausnahmetalent für die Zukunft erfüllen möchte, will ich zum Schluss  wissen: “Ich bin sehr froh, dass ich auch in Deutschland mittlerweile für renommierte  Zeitschriften arbeiten darf, von denen ich schon häufiger gebucht wurde, genau aufgrund meines Porträtstils, den ich jetzt schon seit einiger Zeit verfolge. Mein Wunsch ist, dass es so mit den Magazinen weitergeht. Als Künstler ist man ja immer auf der Suche und gibt sich nie zufrieden; das hört nie auf, denn jeder Mensch ist ein eigenes Individuum. Jeder ist anders und hat eine eigene Persönlichkeit. Ich suche stets nach neuen Charakteren und neuen Gesichtern, die mich als Künstler schließlich und endlich auch ausdrücken.”

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