Music

October 27, 2015

Offene Arme als gewaltigster Protest.
Heisskalt im Interview

Robin Wehe
Nadja Röggla
Kunigunde Weissenegger
Photography Andreas Bertagnoll

Heisskalt sind ein wenig wie die netten Studenten von nebenan. “Die grüßen immer sehr freundlich, aber die Frisur…”, sagt Frau Müller dann immer, wenn sie von ihrem selbsternannten Blockwartposten aus über die Straße schaut. – Aber viel bekommt man ja nicht von ihnen mit. Das ein oder andere Mal sieht man sie aus der Küche rauchen oder durch die Straße laufen. Man unterhält sich kurz über dies und das, bevor es wieder weitergeht. Eines Tages fängt Herr Jerns mit dem Gitarrenunterricht an (“Man muss ja schauen, wo man bleibt mit ‘de Hobbies, jetzt wo’s ‘anne 60 geht…”). Sein Gitarrenlehrer hat ihm kürzlich diese Band gezeigt. “Ich weiß ja auch nicht, wie man diesen Stil nennt, aber ich sach‘ euch, das ist feine Rockmusik, und ich wette, der eine ist der Junge mit den Locken in dieser Wohngemeinschaft da drüben. Dieser Student oder was der macht.” “Das sind Musiker?”, heißt es dann. “Jaja, nicht von schlechten Eltern, das sach‘ ich euch.”

So studentisch und beiläufig stehen die Jungs von Heisskalt auch beim Kaltern Pop Festival unter den Leuten, hören sich entspannt die Konzerte an, während sie am Wein nippen und sich unterhalten. Auf der Bühne sind sie nicht so unauffällig. Es gibt eine Show mit viel Energie und Dynamik. Die Lieder von Heisskalt steigern sich immer weiter in eine eigene Atmosphäre hinein und enden nicht selten mit einem Paukenschlag: “Passt bitte aufeinander auf in dieser Scheißwelt,” gibt uns der Sänger noch auf den Weg mit, bevor der letzte Akkord erklingt.

Die Texte sind poetisch und anspruchsvoll, es fehlt selten an Dramatik und Zerrissenheit – “Komm, wir machen ‘was kaputt, weil hier nichts mehr noch Sinn macht” –, aber auch Optimismus dringt immer wieder an die Oberfläche: “Alles ist gut, denk dran”. Auch an instrumentaler Komplexität fehlt es den Jungs nicht: erfrischende Rhythmen und Melodien, in denen sich verschiedene Stile vermischen. Vor allem in Deutschland sind Heisskalt absolut kein Geheimtipp mehr. Das 2014 erschienene Debüt Album “Vom Stehen und Fallen” landete in Deutschland auf Platz 29 in den Charts, das Jahresabschlusskonzert im Dezember in Stuttgart ist schon seit Monaten ausverkauft, 2013 gab es den “Musikpreis des Verbandes der Deutschen Konzertdirektionen”. Derzeit weilen Heisskalt in der Schweiz und nehmen ihr nächstes Album auf. Wir haben uns mit Mathias (Gesang, Gitarre) und Philipp (Gitarre) am Rande des Kaltern Pop zu einem Interview getroffen und unser Kartenspiel* gespielt – wie auch bereits mit Bilderbuch und Wanda. Hierbei gibt es zufällige Fragen, die nicht immer ganz zu Situation und  Thema passen und trotzdem zu beantworten sind. Platz für einen Dialog über Musik und Politik gab es trotzdem. 

Nummer 1 ist obligat: Mal ein tierisches Selbstportrait!

Philipp: Von mir selbst oder von der Band?

…von der Band am besten.

Mathias: Das ist Phils Spezialität – immer wenn es Gästebücher gibt, ist es Phils Aufgabe, sich maximal zu betrinken und dann am Zenit des Rauschs sich in dem Gästebuch zu verewigen.

Bist du jetzt maximal betrunken?

Philipp: Nee..

Mathias: Ich weiß auch nicht, vielleicht würde das schlecht werden.Heisskalt - Philipp © Andreas Bertagnoll x franzmagazineLassen wir Philipp also malen und fangen mit dem Kartenspiel an, erste Frage: Nenne drei Dinge, die wir definitiv nicht gemeinsam haben.

Mathias: Ich kenn euch überhaupt nicht. Ich glaube unsere Herkunft. Ich komm aus Stuttgart. – Ich finde Herkunft aber ziemlich egal. Dann unseren Schuhgeschmack. Ich glaube, ich trage meine Schuhe länger als ihr und ich habe wahrscheinlich weniger. Und in zwei Fällen unser Geschlecht.

Nächste Karte ist gezogen: Würdest du Tiere im Schlafzimmer dulden, oder sie sogar im Bett schlafen lassen?

Mathias: Tatsächlich ja und nein. Also ich find es okay, wenn Tiere mit im Zimmer sind. Ich finde aber, in dem Moment, wo man Sex hat, mit jemandem oder mit sich selbst und dann da eine Katze sitzt und einen dabei so anguckt und der Blick etwas sagt wie: “Mhm, okay, das machst du jetzt echt oder was?” Dann finde ich das einfach zu unangenehm.

Verständlich. Mathias zieht die nächste Karte: Welchen Namen würdest du deinem Kind niemals geben?

Mathias: Sören.

Philipp.: Schwierig, vielleicht so etwas wie Kevin.

Mathias: Ja, wie sind denn diese ganzen Namen? Diese Sören, Bastelco, Jasper, Finn, keine Ahnung, diese super, also diese schrecklichen. So etwas wie Otto find ich geil. Oder Heinz.Heisskalt - Mathias © Andreas Bertagnoll x franzmagazine 02Karte: Glaubst du, dass es in einer guten Beziehung keine Konflikte geben sollte?

Mathias: Nein, ich glaube, dass eine gute Beziehung sich dadurch auszeichnet, dass man sehr viele Konflikte hat und sie klug und respektvoll löst und man daran wächst. Und nicht dadurch, dass man die ganze Zeit einfach nur in einem Sumpf aus Einverständnis rumdümpelt.

…und in der Gesellschaft?

Mathias: Sehe ich das eigentlich genauso. Ich glaube, es muss immer Konflikte geben. Leute müssen immer unterschiedliche Meinungen zu Dingen haben. Aber man muss sie halt richtig lösen und nicht gar nicht lösen. So wie das eigentlich grade in unserer Gesellschaft passiert.

Und bei euch in der Band? Habt ihr da auch Konflikte?

Mathias: Ja, und immer dann, wenn wir die Konflikte nicht lösen und sie nicht auf den Tisch kommen, sondern wir sie in uns herumschwelen lassen, dann endet das Scheiße. Also ich habe eigentlich noch nie ein Bespiel dafür gefunden, dass es sich gelohnt hat, eine Meinungsverschiedenheit oder ein Problem nicht anzusprechen. Das kam mir noch nicht unter. Glaube ich. Vielleicht, wer weiß.

Zurück zum Kartenspiel: Welche Websites besuchst du mehr als 3 Mal täglich?

Wahrscheinlich Facebook, weil das so ein dummer Reflex ist, immer wenn man seinen Browser öffnet, irgendwie ein “F” einzugeben und sich dann zu “Facebook” vervollständigen zu lassen.Da kommt die Zwischenfrage vom malenden Philipp: Welches Tier möchtest du sein?

Mathias: Welches Tier ich sein möchte? Ich möchte gerne eine Giraffe sein. Weil Giraffen cool sind. Ich stelle mir immer vor, wie witzig das ist, wenn Giraffen miteinander schlafen oder wenn Giraffen umfallen. – Was passiert eigentlich, wenn Giraffen umfallen? Wie sieht das dann wohl aus?

Weißt du‘s?

Mathias: Nein, ich weiß es nicht. Und ich finde es witzig, dass die sich einfach darauf spezialisiert haben, die Blätter ganz oben in den Bäumen zu essen und sie deswegen so krass aussehen und überlebensmäßig so am Start sind, weil sie einfach lange Hälse haben. Ja, ich mag Giraffen.

Nächste Karte: Was wäre anders an unserem Leben, wenn wir alles Geld der Welt hätten?

Mathias: Das ist tatsächlich eine interessante Frage. Alles Geld dieser Welt, weiß ich nicht. Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich habe, oder eigentlich haben wir uns, jüngst an einer Ausschreibung für das bedingungslose Grundeinkommen angemeldet. Dort kann man das für ein Jahr gewinnen. Da habe ich viel darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn man monatlich einfach 1000 Euro bekäme. Ich glaube ganz fest daran, dass alle Leute dadurch, dass sie bei allem weniger an Geld denken müssten, weniger in diesem Belohnungsprinzip leben würden. Das vorherrschende Prinzip ist ja, dass man etwas macht, dafür Geld bekommt, und dadurch erwirbt man sich quasi das Recht auf ein anständiges Leben durch seine Arbeit. Ich glaube, dass das viel ausmachen würde.
Wahrscheinlich sehr viel Gutes. Wahrscheinlich, dass man mehr Dinge wieder einfach so machen würde. Ich schweife kurz aus, es gibt nämlich ein Beispiel – das habe ich auch in einem Buch gelesen: Dort gab es eine Studie von Kindern. Hier wurden drei Gruppen von Kindern in eine Situation gebracht, in der sie helfen mussten. Bei der einen Gruppe der Kinder wurde nach dem Helfen überhaupt nicht reagiert. Es wurde als selbstverständlich hingenommen. Die andere Gruppe wurde belohnt und die dritte Gruppe wurde nur gelobt. Und die Gruppe, die belohnt wurde, hat sich bei weiteren Versuchen immer mehr dahin entwickelt, dass sie gesagt hat: “Ja, wir machen das, aber nur wenn wir wieder etwas bekommen.” Deswegen glaube ich, dass es wahrscheinlich gut ist, wenn man das bedingungslose Grundeinkommen einführen würde. Oh, da habe ich mich jetzt gut rausgerettet aus dieser Frage.Heisskalt - Mathias © Andreas Bertagnoll x franzmagazine 03Wo es etwas politisch wurde: Würdet ihr euch auch als politische Band sehen? Die Texte sind eher persönlicher, oder?

Mathias: Ja, aber Politik ist ja auch etwas Persönliches. Also ich möchte in den Texten auf keinen Fall eine Tagespolitik machen. Ich habe keine Lust über Frau Merkel zu singen, oder so. Das finde ich irgendwie Quatsch. Aber, wenn man sich als politischer Mensch in einer Gesellschaft bewegt, dann erlebt oder sieht man die Dinge automatisch auch mit politischen Augen. Und dann wird Politik auch zu etwas, was in einem selbst stattfindet. Und damit ist es auf jeden Fall Teil der Texte, aber ich versuche das dann eigentlich meistens eher ein bisschen fließen zu lassen. Ich würde schon sagen, dass die Texte auf jeden Fall mit der Gesellschaft zu tun haben, in der ich mich befinde, während ich sie schreibe.

Beim Konzert in Kaltern hast du vor dem Song “Gipfelkreuz” eine Ansage gemacht und den Song auf die Flüchtlingssituation bezogen. Das ist ja kein rein politisches Lied, sondern durchaus persönlich, oder verstehe ich das falsch?

Mathias: Ne, überhaupt nicht. Das ist ja auch wieder so ein Interpretationsding. Denn eigentlich gibt es den Song ja zum Beispiel viel länger, als es eigentlich gerade diese große Frage gibt, wo all diese Menschen hinsollen. – Den Song gibt es ja schon viel, viel länger. Der ist eigentlich auch aus einer anderen Geschichte heraus entstanden, aber das ist ja eigentlich immer das, was mit Songs passiert: Sie verändern sich irgendwie und das heißt, dass sie in einer anderen Situation plötzlich etwas ganz anderes bedeuten können. So passiert es, dass der eine sich zu einem Song verliebt und der nächste sich trennt. Oder der eine flüchtet und der andere nicht. Und deswegen, glaube ich, dass sich Songs verändern und Songs auch immer ganz viele Bedeutungen haben. Es geht dabei vielleicht vor allem um ein Gefühl, oder eine Ahnung. Ich glaube trotzdem, dass bei diesem Song und dieser Zeile – “offene Arme der gewaltigste Protest den wir haben” – mein Gefühl dasselbe war, als ich ihn damals geschrieben habe ,und nun heute, wenn ich es in den Kontext der Flüchtenden setze. – Möchtest du auch noch einmal eine Frage beantworten, Philipp?

Philipp: Kommt auf die Frage an.

Mathias: Dann kann ich nämlich mal trinken…

Philipp: So. Stimmt, ich muss ja eine Karte ziehen… Ich war so in meiner Zone. Habe das gerade gar nicht mitbekommen alles.

Et voilà, das Selbstbild sieht übrigens so aus:Heisskalt Self PortraitWelcher Berühmtheit siehst du deiner Meinung nach ähnlich?

Philipp: Tatsächlich hat mich noch nie irgendjemand mit irgendeinem berühmten Menschen verglichen. Deswegen habe ich mir noch nie darüber Gedanken gemacht. Matze, was würdest du denn sagen?

Mathias: Ich habe gerade überlegt und habe ganz spontan an Super Mario gedacht. Ich glaube, das liegt daran, dass du mal diesen Sticker auf deiner Lederjacke hattest, mit diesem Pilz und daher kam die Assoziation.

Philipp: Dann nehmen wir eben Super Mario. Find ich auch gut.

Und wir sind auch schon bei der letzten Karte angekommen: Hast du schon einmal in die Dusche gepinkelt?

Philipp: KLAR!

Mathias: Every fuckin’ time.

Philipp: Every fuckin’ time I need to pee.

Mathias: Ist vor allem schön, wenn man eine Dusche zu sehr vielen Menschen benutzt. Zum Beispiel zu neunt. Wir sind zu neunt unterwegs und man weiß, dass eigentlich in diese Dusche neun Mal reingepinkelt wurde und auch vielleicht das ein oder andere Mal noch ganz andere Sachen in dieser Dusche passiert sind…

Philipp: Kann man sich eigentlich auch direkt straight anpinkeln. Die ganze Gruppe. Zu neunt, in der Dusche. Dafür wäre ich.

Dankeschön! Noch was zum Abschied?

Mathias: Wir sind die Band Heisskalt und wir schreiben unser Album gerade fertig und es kommt nächstes Jahr raus. Voll cool. Tschüss.*Let’s play Zubi

Es begann an einem kleinen und sehr feinen Flohmarktstand im 8. Bezirk in Wien – dort liegt eine durchsichtige Kassette, in deren Inneren sich 100 rote Fragekärtchen befinden. franz zückt sofort die flinken Finger und packt die kleine Box ein. Für Interviews mit Überraschungsfaktor. Fragen, auf welche meistens schlichte Antworten folgen [können] und sich dann, zum Glück und im besten Fall, sehr oft Geschichten spinnen. Und so manch eine_r allerhand aus dem Nähkästchen erzählt…

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.