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October 16, 2015

Wer darf was? – “Wir sind keine Barbaren!“ @ Carambolage in Bozen

Robin Wehe
Das moderne und derzeit sehr aktuelle Theaterstück "Wir sind keine Barbaren" von Philipp Löhle wurde erst 2014 in Bern uraufgeführt. Es könnte derzeit nicht besser passen, denn es handelt von der Flüchtlingskrise. Es zeigt uns, unsere Vorurteile und Ängste. Und ergreift Partei: Pro Asyl, Pro Integration. Wofür auch sonst?

Mein Vater hatte immer einen kleinen Rasierspiegel. So einer, der alles ein wenig vergrößert. Als pubertierender Junge wollte ich nie in diesen Spiegel schauen – jeden Pickel, jede Pore konnte ich sehen. Meine ganze Hässlichkeit wurde in diesem Spiegel besonders offensichtlich. Klar, etwas vergrößert, aber so hat man das ja erst richtig gesehen. So einen Spiegel hält uns auch das Theaterstück “Wir sind keine Barbaren” vor und vergrößert unsere Pickel – unsere moralischen Pickel, Hässlichkeit und Ungereimtheiten. Und wir sind verdammt pickelig. – Kann man derzeit zum Thema Flüchtlinge zu viel den Spiegel vorhalten? Ich glaube, nein.

Barbara und Mario haben neue Nachbarn bekommen: Paul und Linda sind ein wenig “speziell, aber ganz nett”. Man lernt sich kennen, trifft sich, redet über dies und das, Fitness, Ernährung, Alltagsdinge und den Umzug. In den Beziehungen gibt es die üblichen kleineren Konflikte, ein wenig Unzufriedenheit, aber eben alles im Rahmen. Alles ganz normal. Eines Abends ändert sich die Normalität in dem Haus. Es klopft ein Flüchtling an die Tür, da es stark regnet und er eine Unterkunft sucht. Soll man den Fremden bei sich herein lassen? Bald entwickeln sich zwischen den Paaren wilde Debatten: Woher kommt er, wie heißt er eigentlich? Ist er Islamist? Flüchtling? Rucksacktourist? Obdachloser? Darf man ihn überhaupt bei sich wohnen lassen? Ganz vorurteilsfrei scheint niemand in der Runde zu sein. Die Situation scheint sich zu entspannen, bevor sie sich wieder zuspitzt. Gespielt wird es von Eva Kuen, Margot Mayrhofer, Marc Bernhard und Peter Schorn. Regie führt Eva Niedermeiser.Wir-sind-keine-Barbaren_PresseDas Wort “Gutmenschenscheiße” fällt öfter in dem Theaterstück. So würde man es wohl beschreiben, wenn man abwertend über etwas sprechen wollte. Gutmensch ist sowieso ein Begriff, der gerne benutzt wird, um Leute, die Gutes tun, abzuwerten, um sich selbst moralisch aufzuwerten. Am Stammtisch, heimlich in der Kneipe, nach dem vierten Bier. Vielleicht wird auch noch der alte Satz: “Ich bin ja kein Rassist, aber…” nachgeschoben. Oder besser: “Ich bin ja kein Barbar, aber…”. Die Akteure versuchen voreinander permanent ihre Abwehrhaltung gegenüber dem Fremden zu begründen. “Barbar” ist eigentlich ein lautmalerisches Wort. So wurden im antiken Griechenland Menschen bezeichnet, die nicht Griechisch sprachen: die “Br-Br-Sager”. Für uns selbst können wir eigentlich gar keine Barbaren sein. Vielleicht sind wir es für die anderen? Zumindest kommt das Stück zu diesem Schluss. Unser kaltes Herz zum Thema Flucht macht uns dazu. Das Stück zeigt sehr schön Emotionalität, (irrationale) Angst, Scheinheiligkeit, Ungerechtigkeit und unseren (europäischen) Umgang und die Mitschuld daran. Auf unterhaltsame Art und Weise gibt es auch noch paar harte Fakten auf die Hand. Das Stück ergreift Partei, das Stück ist emotional, und es ist auch moralisch. Aber das muss es sein. Vielleicht öffnen wir ja Augen und Herzen danach. Bitte mehr von dieser “Gutmenschenscheiße”.

Nächste Aufführung: heute, Freitag 16.10., 20.30; und letzte Aufführung: Samstag, 17.10., 20.30; Karten gibt’s hier

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