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October 14, 2015

“Schreiben ist für Lebensform.” Norbert Niemann bei Kaltern Pop 2015

Robin Wehe

Kaltern Pop 2015 ist vielfältig und so gibt’s nicht nur Musik, sondern auch Literatur: Am ersten Tag, den 15. Oktober eröffnet Norbert Niemann um 15 Uhr im Kino am Bahnhof in Kaltern das Festival-Programm mit einer Lesung aus seinem Buch “Die Einzigen”. Interessant wird es ganz sicher. Lest hier, was uns der Schriftsteller aus Landau so schon alles zu sagen hat. 

Du schreibst nicht nur Romane, sondern hast auch einen musikalischen Hintergrund. Der Roman “Die Einzigen” handelt auch von einer New-Wave-Gruppe. Welche Parallelen siehst du zwischen Musik und Literatur oder prinzipiell zwischen verschiedenen Kunstformen?

Das stimmt. Ich hatte in den Achtzigern eine Band namens “Diebe der Nacht”. Ein paar Stücke kann man sich inzwischen auf Youtube anhören. Vorher habe ich Jazz gemacht, was mir bald ein bisschen langweilig wurde. Ich wollte vor allem auch mit Texten arbeiten. Das war im Grunde dann mein Einstieg ins Schreiben. Aber ich habe Ende der Achtziger richtig die Lager gewechselt, bin nicht mehr aufgetreten, habe mein Handwerk als Gitarrenlehrer zum Brot-Job gemacht und den ersten Roman geschrieben. Ich wollte aus der totalen Kommerzialisierung raus, die damals den Pop wie eine Krankheit befiel. Hat inzwischen allerdings auch die Schriftsteller eingeholt. Den Roman habe ich unter anderem geschrieben, um mir in der Fantasie auszumalen, wie sich die Dinge vielleicht entwickelt hätten, wenn ich bei der Musik geblieben wäre. Ich hatte damals wie meine Hauptfigur Marlene ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, Komposition zu studieren. Die Handlung von “Die Einzigen” setzt übrigens erst nach der Zeit in der New-Wave-Band ein, also ungefähr Anfang der Neunziger, und geht bis in die Gegenwart. Marlene beschäftigt sich vor allem mit elektronischer Musik. Was die Verbindungen zwischen den Kunstgattungen angeht, ist es ja grundsätzlich so, dass sie sich gegenseitig beeinflussen, dass sie versuchen, voneinander zu lernen. Wenn ich zeitgenössische Musik höre, Bilder oder Filme anschaue, entdecke ich neue ästhetische Formen und Techniken, wie man die Gegenwart, das Neue, das Spezifische an ihr einfangen kann. Und dann frage ich mich und probiere aus, ob und wie sich das mit Sprache, in der Literatur umsetzen lässt. Oder erfinde, davon inspiriert, etwas ganz anderes. Es ist ein ständiger Dialog. In jeder Kunstform sind ja alle anderen Künste mit anwesend.

Woher nimmst du die Inspiration für deine Romane? – Die Inspiration einerseits anzufangen und andererseits weiterzumachen, wenn es mal stockt?

Nun, im Zentrum meiner Literatur steht Zeitgenossenschaft. Ich suche und finde meine Stoffe aus dem Bedürfnis, unsere Gegenwart in Geschichten und Gedanken einzufangen. Jede Gegenwart verlangt danach, dass sie neu geschaffen wird in den Kunstwerken. Immer ist die Sprache, sind die Zeichen, die Klänge, die wir vorfinden, schon verbraucht, weil sie besetzt, vereinnahmt sind. Gerade jetzt stecken wir mit der ökonomischen und digitalen Globalisierung mitten in einem epochalen Umbruch, der sämtliche alten Gewissheiten aufweicht und umpolt. Die Herrschaftsmechanismen haben sich verschoben. Die Marktideologie hat ja nicht nur die äußeren Strukturen umgebaut, die Politik, die Arbeit, die Institutionen, die Bildung, die Kultur. Sie reicht bis weit in unsere Köpfe, in unsere Gefühle. Darum geht es letztlich auch in “Die Einzigen”, und zwar am Beispiel des Verhältnisses von Wirtschaft, neuen Technologien und Kunst. Hier lässt sich der Prozess besonders gut zeigen, der seit einem Vierteljahrhundert unsere Lebenswirklichkeit radikal verändert, weil er dort ganz verdichtet sichtbar wird. Der Stoff für meine Romane drängt sich mir also gewissermaßen jedes Mal von selbst auf. Ich weiß plötzlich: dieses Buch muss ich schreiben. Das hilft mir natürlich auch über die Klippen hinweg, wenn es hakt und stockt. Schreiben ist für Lebensform. Ich muss sowieso damit weitermachen.

Was ist das Besondere an deinen Werken?

Da bin ich ganz demütig, diese Frage zu beantworten, muss ich anderen überlassen. Aber ziemlich wahrscheinlich scheint mir, dass ich mit meiner Auffassung von Literatur und mit dem, was dabei herauskommt, wohl nicht gerade mainstreamverdächtig bin. Mein Einzelgängertum ist mir in der Öffentlichkeit auch schon attestiert worden. Ich würde mir allerdings eine größere Zahl von Kolleginnen und Kollegen sehr wünschen, die meine Auffassungen von Zeitgenossenschaft, Zeitkritik und unzeitgemäßem Eigensinn zumindest im Ansatz teilen – Mainstream hin oder her.

Am Donnerstag, 15.10.2015 liest du beim Kaltern Pop Festival. Was erwartest du von der Lesung und dem Festival?

Ich werde – wie immer – meinen Job so gut machen, wie ich irgend kann, und hoffe natürlich, mein Publikum anzuregen, staunen zu machen, begeistern zu können. Natürlich habe ich Textstellen ausgewählt, in denen die Musik im Vordergrund steht und sich der Musik anzunähern. Es geht dabei auch um Fragen zu unserer Identität in der heutigen Welt: schonungslos kritisch, aber auch durchaus hoffnungsvoll utopisch. – Und nach der Arbeit freue ich mich, jede Menge großartige Musik zu erleben.

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