Music

October 13, 2015

Der Liedermacher aus dem Wald:
Oachale van Toule

Marianna Kastlunger
Wos war die Welt ohne die Lauser? Weisheiten aus dem tiefsten Ahrntaler Wald. Über bizarre Sagenwesen, Schwingungen und wie das Chaos im Leben eventuell zu bändigen geht, kann das Oachale van Toule sinnieren UND Lieder singen. Und dabei ist es völlig egal, dass wir seinen richtigen Namen nicht erfahren.

In der kalten Jahreszeit hält er streng seinen Winterschlafrhythmus ein, bei angenehmeren Temperaturen ist er in Südtirol und der Welt unterwegs, musikalisch und reisend. Er liebt reduzierte Auftritte vor nicht allzu großem Publikum und ist fasziniert vom Ahrntaler Dialekt, dem Teldrarischn. “Wenn meine Mutter fluchen will, würde sie es dennoch nie wagen, den Namen des Belzebubs zu benutzen. Sie sagt einfach ‘Teigsl!’.” – Quasi eine dialektal verniedlichte Form für Teufel? “Genau,” lacht der Oacha. Diese harmlose Art des verbalen Stressabbaus ist wohl wirklich nur im Dialekt zu finden. 

Wir sitzen auf einer Holzbank im Wald, knapp oberhalb von St. Martin. Es ist ein heißer Sommertag, und die Schatten der Nadelbäume spenden etwas Erfrischung. Auf die Frage, wie er denn mit vollständigem Namen heiße, antwortet er ganz selbstverständlich mit: “I bin do Oacha.” Dann packt der Ahrntaler Liedermacher eine Jausenschachtel aus, gefüllt mit frischem Obst und – ganz stilecht – Mandeln und Haselnüssen. Dann fragt er, ob ich den “Keisfocke” (Suinus Glacialis) kenne? Ein mysteriöses Wesen nämlich, soll ein bisschen wie ein Hase aussehen, aber mit kürzeren Vorderpfoten. Und eine Vorliebe für Gletschergebiete haben. Detaillierter beschreiben ist leider nicht möglich, denn zu Gesicht bekommen hat ihn kaum jemand. “Der alte Fux-Vouto bezeugt, dass er ihn gesehen hat, und zwar früher, beim Schmuggeln über den Tauern,” erklärt das Oachale. Oachale van Toule Marianna KastlungerSo hat er also ein paar Konzerte in eher abgelegenen Orten geplant, auf Almen und Hütten, das Ganze unterm Motto “Save the Keisfocke“. Er fürchtet nämlich, dass dieses äußerst scheue (Fabel-)Wesen durch den Klimawandel aussterben könnte. Ob man nun die Gletscherschmelze oder lieber doch das Aussterben des “Keisfocken” ernster nehmen sollte, ist bei diesem Performer eigentlich egal. Der Oacha verfügt nämlich über beneidenswerte Geschichtenerzählerqualitäten, dem nicht nur Kinder gebannt zuhören müssen. Er schmunzelt zum Kompliment, und erwidert bescheiden: “Asöü isch’s im Wolde, wie fria ohne Fernseher.” 

Das Leben im Ahrntal wurde jahrhundertelang vom Bergwerk in Prettau geprägt, so verirrten sich gängige Begriffe rund um die Metallgewinnung auch in der hiesigen Sagenwelt. Der Oacha scheint mit dieser bestens vertraut zu sein, schließlich ist sie auch ein wichtiger Bestandteil seines Geschichten-Repertoires. So schildert er, was es mit der sogenannten “Ofensau” auf sich hat. “Kennsche die Ofensau?“, fragt er. Ich verneine. “Das ist eigentlich ein Abfallprodukt, das sich bei der Erzschmelze im Ofen ablagert. Es wurde teilweise neu eingeschmolzen oder einfach in die Ahr entsorgt,” sagt er. Aber das ist noch längst nicht alles. Die Künstler Peter Chiusole und Josef Oberhollenzer haben sich kürzlich dem Geheimnis der Ofensau in Bild und Text genähert und die “pepita malefica”, also die “Ofensau” wieder auferstehen lassen. “Neueste Gerüchte  besagen, dass durch die Verbindung eines angespülten “Keisfockn” mit der “Ofensau” in der Ahr, der sogenannte “Pochhaagse” entstanden sei, ein Ungetüm, das Kinder ins Wasser zog. Mit ihm warnten die Eltern ihre Kinder vor der Gefahr der Ahrströmungen,” erklärt der Oacha. Ja, der Zweck heiligt wohl die pädagogisch derben Mittel. Ein Faszinosum sind die mündlich überlieferten Horrorgeschichten allemal, und typisch Teldarisch noch dazu. Da ist es für diesen Liedermacher nur logisch, dass er seine Texte in Dialekt schreibt. Das Gitarrenzupfen hat der Oacha übrigens schon als Kind gelernt, was ihn aber bald langweilte. Erst die musikalische Begegnung mit Hans Söllner animierte ihn zur Kreativität. Prompt wurde eine billige Gitarre angeschafft, und Söllner nachgespielt – und zwar auf Teldrarisch. Der Oacha findet seinen Ahrntaler Dialekt nämlich schön: “Es ist nicht immer leicht zu texten, dafür lassen sich die Lieder leicht vertonen.” Kein Wunder, geizt der Teldra nur selten mit Umlauten.  

Ich kenne niemanden aus dem Ahrntal, der Oachales bekanntestes Lied nicht auswendig kennt: “Fa wou sat des? Wio san fan Toule” hat im Ahrntal mittlerweile Partyhymnenstatus. Die Melodie dazu hat er übrigens von Scott, einem Schotten, den er auf einer kleinen Insel im Atlantik kennenlernen durfte. Das fabrizierte Liedgut des Oachale ist vorwiegend im Netz zu finden. Videoplattformen wie Youtube findet der Tüftler nämlich sehr nützlich, Videos und Tonaufnahmen erledigt er mit Kumpels in Eigenregie. Er ist kein Fan von Studioaufnahmen, denn “jedes Lied könnte je nach Schwingung anders werden” sagt er. So lebt die musikalische Darbietung auch von der Stimmung und von der Interaktion mit dem Publikum. Doch was genau meint der “Oacha” mit Schwingungen? “Ganz allgemein das Harmoniebedürfnis zwischen Natur, Tier und Mensch, allem, was spürbar ist, und sich auch vertonen lässt”, antwortet er.Seine Lieder sind eigentlich sehr simpel, aber vielleicht liegt gerade in der Einfachheit ihre Stärke. “Laut einer Studie haben alle Musikrichtungen der Welt 18 grundlegende Merkmale gemeinsam. Als wären Lieder in allen Kulturen ein Weg, um das Chaos rundherum auszublenden, zumindest für kurze Zeit,” sagt der Oacha. “Vielleicht funktionieren solche Lieder gerade dank ihrer einfachen Form so gut, auch meine. Ich bin wahrscheinlich hier, um Seelen zu massieren und, wenn man so will, Kontemplation zu ermöglichen,” schmunzelt er. Solch positive Schwingungen sind aber meist nur in kleinem Rahmen möglich, wie vorletztes Jahr in einem Bergwerkstollen in Prettau, “Ein ganz besonderes Konzert,” schwärmt er. Das Oachale van Toule ist kein Bühnen-Act, der große Massen anziehen möchte. Qualität statt Quantität also. Und ganz frei nach Thoreau: “Die Hochzeit der Seele mit der Natur macht den Verstand fruchtbar und erzeugt die Phantasie.” 

Der Oacha ist nicht immer als Alleinunterhalter unterwegs, manchmal begleiten ihn auch andere Waldbewohner wie das “Reächl” (Geige), der “Alpine Wildhengst” (Klarinette), oder der “Plintschlauch” (Obertongesang und Dudelsack), und da sind noch lange nicht alle aufgelistet. Allerdings wäre es ein großer Fehler, Oachas ganzes Liedgut als bloß heitere Fetenmusik abzustempeln. Mit “Do Gaschtna” beweist er nämlich auch Tiefgang: “Diesen Text habe ich genau ein Jahr nach dem Tod meines Vaters niedergeschrieben – oder er selber hat ihn mir geschickt. Das war irgendwie heilsam. So sind er und auch andere Verstorbene immer dabei, und das ist auch manchmal notwendig.” Aus persönlichen Tragödien die Kraft für Neues zu schöpfen, ist Tugend und Überlebensstrategie zugleich. Der „Oacha“ vermittelt den Eindruck, dass man sich nicht ständig fortbewegen muss, sondern kann. Und dass man sich Einiges entgehen lässt, wenn man es nicht tut. Seine Liebe zum Reisen kommt auch nicht von ungefähr. Er erzählt von den bereichernden Erfahrungen auf dem alten Jakobsweg, dem „camino primitivo“, aber auch dass ihn der sportliche Ehrgeiz anderer Teilnehmer ziemlich irritiert habe. „Wie in der Piefkesaga?“ „Ja, genau – mit ihren Stempeln und den Wandernadeln“. Die Karibik und Teile Asiens hat der Waldbewohner auch schon gesehen. Der rasende Kapitalismus macht ihn ebenfalls stutzig, auch hofft er, dass Kuba nicht bald wie in einem billigen Ramschladen verscherbelt wird. Ob „Oachas“ Reisen nur die Flucht vor zu konservativen Wertevorstellungen im „Toule“ sei? „Nein“ antwortet er gelassen. „Selbst in einem engen Tal gibt es viele Meinungen, auch Toleranz und Offenheit. Manche verkünden ihre Meinung halt sehr laut, was aber noch lange nicht bedeutet, dass sie Recht haben, “ jetzt schmunzelt er wieder. Die Jause ist bald aufgegessen, unser Gespräch endet mit einer Zigarette. Ich biete ihm an, Stümmeln und sonstige Abfälle mit runter zum Parkplatzmülleimer zu nehmen. „Fraitmi dasse afn Wold schaugsch“ sagt er, und schon ist er weg. 

Am 24. Oktober 2015 spielt das Oachale von Toule zusammen mit Matthias Prieth im Ost West Club Meran auf.

…und sich durch seinen Youtube-Kanal zu klicken zahlt sich aus!

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